Ja is denn heut scho Weihnachten?
Wir schreiben das Jahr 2000. Weihnachtsglöckchen erklingen, der Weihnachtsmann rauscht mit einem Schlitten voller Pakete auf die Erde zu und dem Kaiser fällt eines dieser Päckchen in die Hände. Er kommentiert sein Erstaunen mit dem oben zitierten Spruch. Ja, achtzehn Jahre ist das schon her. Franz B. war noch omnipräsent und freute sich – nicht gerade ekstatisch – über das unerwartet tolle Geschenk. Der Werbe-Clip eines Mobilfunkanbieters war damals ein Gassenhauer. Zum einen natürlich, weil unser erfolgsgekrönter Ex-Teamchef darin vorkam und zum anderen, weil das unerwartete Preis-Leistungspaket objektiv betrachtet überraschend gut war.
Wie schafft man es in der Realität, so zu beeindrucken? Wie kreiert man ein solch himmlisches Angebot, das wie ein Sterntaler vom Himmel fällt? Etwas, das unter allen Weihnachtsbäumen liegen soll und bei den Beschenkten das Gefühl erweckt, als ob Weihnachtsmann, Christkind und Nikolaus sich gemeinsam selbst übertroffen hätten. Ein Produkt von übermäßiger Begehrlichkeit oder einen Service mit völlig neuem Nutzen zum unschlagbaren Preis?
Morgen Kinder wird’s was geben
Im urbanen Raum sprießen dafür überall Labs und Hubs aus dem Boden. Sie sind oft Ausgründungen von großen Konzernen, die auf der Suche nach Innovation, erfolgreiche Start-Ups kulturell zu kopieren versuchen. In Fabrikbrachen entstehen getarnte Versuchslabore, in denen bärtige, hornbebrillte, Sneakers-tragende Youngsters umgeben von Vintage Möbeln, unverputzten, Post-it beschuppten Wänden und viel hipper Technik kreativ und agil Neues entwickeln sollen. Klar, einen Tischkicker gibt’s auch. Offensichtlich braucht es allerorts genau dieses Ambiente. Egal wie widersprüchlich dieses Setting zur Konzernmutter ist, die Masterminds von morgen sollen sich austoben und Ideen liefern. Und warum?
Süßer die Glocken nie klingen
Weil eine latente Angst herrscht, dass über Nacht heimlich still und leise das eigene Geschäftsmodell obsolet werden könnte. Das Ungeheuer hat einen Namen: Disruption. Eine zerstörende Kraft, die ungebremst vorherrschende Ertragsmodelle zum Platzen, Zerbrechen oder Zerreißen [von Lat. disrumpere] bringt. OH SCHRECK! Also muss man sich wappnen oder wenigstens versuchen, noch ein zwei Joker im Ärmel zu haben für den Ernstfall. Der tritt ein, wenn irgendein findiger Student urplötzlich mit einer App daherkommt, die einen Service bietet, der alles Dagewesene einfach aushebelt. Naja, das ist eher unwahrscheinlich. Selbst Uber konnte nur so immens wachsen, weil Google und Co. erhebliche Summen Risikokapital zugeschossen haben. Dennoch haben Transformationsexperten die vierte industrielle Revolution längst ausgerufen und warnen vor den Folgen für diejenigen, die noch dösen.
In agilis jubilo
Agilität wird als die neue Wunderwaffe für Innovation und kürzere Time-to-Market gehandelt. Nicht mehr nur Softwareentwickler, sondern sogar das Bundeskanzleramt ist nun schon agil. Naja, vielleicht auch erst auf dem Weg dorthin. Manche sind sogar schon wieder auf dem Rückweg. Je nachdem, wann sie damit angefangen haben. Sicherlich schadet es nicht, direkter zu kommunizieren, schneller auf Veränderungen zu reagieren und auf manche Dokumentation zu verzichten. Aber der agile Mindset lässt sich leider nicht verordnen. Nicht jede Organisation wird man so umgekrempelt kriegen. Und nicht alles, was agil tickt, hat automatisch einen besseren Output. In kurzen Zyklen, häppchenweise Neues zu liefern, um es dann gleich auf Tauglichkeit zu prüfen, ist ein sehr guter Plan. Aber die Gesamtdauer von der Idee bis zum marktreifen Produkt wird dadurch nicht unbedingt verkürzt. Die vielen Iterationen sorgen im Idealfall für eine permanente Verbesserung. So fällt eben viel schneller auf, wenn an Schrott herumgebastelt wird. Die Lehren agiler Gurus sind für viele erfrischend neu, aber in vielerlei Hinsicht Common Sense. Auch Johannes Gensfleisch alias Gutenberg ist schon inkrementell vorgegangen. Zugegeben, vielleicht war ein Sprint damals doch noch länger als 3 Wochen.
Vom Himmel hoch, da komm ich her
Kreativitätsforscher sind sich einig, dass Erfindungen nicht vom Himmel fallen, sondern sich eher zweistufig entwickeln. Insofern ist dem Kaiser Franz ein wahrliches Weihnachtswunder widerfahren – naja, das war keine neue Erfindung, sondern nur eine neue Vermarktungsidee. Das Geneplore Model von Ronald A. Finke beschreibt den erfinderischen Prozess so: In der ersten (generativen) Phase werden sogenannte vor-erfinderische (preinventive) Formen entwickelt. In der zweiten (explorativen) Phase werden die Formen hinsichtlich ihrer Funktion interpretiert und verbessert. Herausgefunden haben die Forscher das mit Versuchsgruppen. Gruppen mit konkreten Vorgaben von Formen lieferten kreativere Ergebnisse als Gruppen, die einfach drauflos experimentiert haben. Merke also: function follows form.
So lässt sich auch der Unterschied zwischen Erfindung (Invention) und Innovation erklären. Inventionen sind neue Ideen bis zum Status Prototyp. Von Innovation kann erst gesprochen werden, wenn die Nützlichkeit bereits erkannt und ein Produkt, Prozess oder ein Geschäftsmodell entsprechend neu eingeführt oder verändert wird. Den Wert erhält eine Innovation erst, wenn sie für Anwender sinnstiftend, also nützlich ist. Dieser Wert kann sogar noch zunehmen, wenn Anwender in der Interaktion Eigenschaften entdecken, die der kreative Schöpfer gar nicht vorgedacht hatte. Beispiele dafür gibt es reichlich: Die Luftpolsterfolie sollte ursprünglich eine Tapete sein, die Frisbee Scheibe war eigentlich ein Teller zum Kuchentransport und Coca-Cola sollte als Heilmittel die Nerven beruhigen. Ergo, einiges kommt anders als man denkt.
Es gibt also immer noch kein Geheimrezept für das Kreieren eines Topsellers, der auf jedem Wunschzettel steht. Der Zufall spielt nach wie vor mit. Außerdem ist Nützlichkeit sehr subjektiv. Und nicht alles, was sich gut verkauft, ist überhaupt nützlich. Manches verbreitet sich auch über reines Schwarmverhalten. Den Influencern sei Dank. So gesehen war der Kaiser seinerzeit schon einer, nur seine Follower waren eher analog. Das Gute an diesen viralen Strömen ist aber, dass sie meist ohne den Einsatz von Medikamenten schnell vorbeiziehen. Bless you!
O Digitalbaum
Wer weiß, vielleicht wird uns in nicht so ferner Zukunft ein 3D Hologramm als Weihnachtsbaum anstrahlen, Alexa uns Weihnachtslieder singen und die Geschenke werden von einer als Weihnachtsmann getarnten Drohne pünktlich am 24. durchs geöffnete Fenster direkt unter die Lichtinstallation geliefert. Das wäre schon praktisch, dann müsste man nicht x-mal im Vorweihnachtsstress den Wunschnachbarn aufsuchen. Aber wo bleibt denn da die Besinnlichkeit?! Lassen wir uns überraschen. Besinnlichkeit wird ja auch sehr individuell empfunden und nicht jedem steht der Sinn danach.
Wie auch immer Sie Ihre Weihnachtszeit verbringen werden, wir wünschen Ihnen ein frohes Fest, Weihnachtsfeiertage mit vielen genialen Geistesblitzen und einen guten Rutsch in ein erfolgreiches, gesundes und glückliches Jahr 2019.
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