Ostern digital
Die Digitalisierung ist in vollem Gange, überall, rund um die Uhr, manchmal ohne dass man es merkt. Quasi nebenbei nutzen wir immer mehr digitale Lösungen, im Alltag und natürlich auch im Beruf. Die Kommunikation mit Geschäftspartnern läuft außerhalb des Büros und der üblichen Bürozeiten per E-Mail über das Smartphone. Zugriffszahlen auf Webseiten werden per App überwacht. Der Stand der Softwareentwicklung wird im Dashboard auf dem Tablet-PC kontrolliert. Der technische Fortschritt vereinfacht unser Wirken und macht es in vielen Bereichen deutlich bequemer. Wie sehr die Digitalisierung inzwischen Einfluss auf unser Denken und Handeln genommen hat, ist einem wahrscheinlich gar nicht so richtig bewusst.
Der digitale Alltag
Kürzlich habe ich einen Artikel gelesen, der sich unter anderem mit der Frage beschäftigt hat, wie digital unser Alltag eigentlich ist und ob sich das herkömmliche und ursprüngliche langsam aber sicher verabschiedet. Ich bin in Gedanken mein letztes Wochenende durchgegangen auf der Suche nach dem digitalen Einfluss bzw. nach den noch verbliebenen digitalfreien Zonen in meinem Alltag. Da das Osterfest kurz bevorsteht, wollte ich am Samstag erste Vorbereitungen für die Feiertage treffen. Ostern, die Zeit in der man im Christentum an die Auferstehung Jesu Christi erinnert , ist für mich geprägt von traditioneller Handarbeit und frei von jedem digitalen Schnickschnack. Mit den Kindern Eier bemalen, die besten Verstecke ausfindig machen und gut merken wo man etwas versteckt hat, Eierschecke oder einen Hefezopf backen und Goethes „Osterspaziergang“ fehlerfrei aufsagen. Was soll das mit Digitalisierung zu tun haben? Nun, das Feiern an sich wahrscheinlich eher wenig, aber was die Vorbereitung angeht, da war ich am Ende doch ziemlich erstaunt.
Beobachtungen bei den Ostervorbereitungen
Ich hatte mir vorgenommen in diesem Jahr einen schön geschmückten Osterstrauß mit selbstbemalten Eiern im Wohnzimmer aufzustellen. Zum Einen schafft er eine fröhliche, frühlingshafte Atmosphäre und außerdem kann die Familie dann an Ostern meine selbst kreierten Werke bewundern und sieht vielleicht gnädig darüber hinweg, dass die Eierschecke diesmal glutenfrei und low-carb sein wird (aber das ist ein anderes Thema). Also benötigte ich eine größere Anzahl Eier und einiges an Zubehör. An dieser Stelle fiel mir die erste Veränderung auf, die ich der Digitalisierung verdanke: Inzwischen tätige ich meine sämtlichen Einkäufe, seien es Lebensmittel oder Klamotten, bevorzugt online. So hatte ich mir alles bereits am Vortag liefern lassen. Ist schon praktisch, wenn das Anstehen an einer Kasse entfällt (auch hier könnte ich von zahlreichen Erlebnissen berichten) und die Einkaufstüten bis vor die Haustür gebracht werden. Neben den Eiern hatte ich auch bereits alle Zutaten für meinen „gesunden“ Osterkuchen mitbestellt. Das Rezept dafür fand ich in einem Forum für ernährungsbewusste Menschen und Allergiker. Und da hätten wir den zweiten Strich auf der Liste für Veränderungen durch die Digitalisierung. Die Auswahl im Internet an Rezepten ist ja riesig. Auch wenn zahlreiche wirklich gute Kochbücher mein Bücherregal zieren, möchte ich irgendwie doch nicht auf die Meinungen der Leser des Forums verzichten, die bereits ihre Sternchen zur Bewertung für die verschiedenen Backrezepte abgegeben haben. Außerdem kann man sich Onlinerezepte jederzeit bequem im Supermarkt anzeigen lassen und man muss nicht erst alle Zutaten auf einen Zettel aufschreiben, den man dann sowieso zu Hause liegen lässt. Vorausgesetzt natürlich man geht noch in den Supermarkt. Ich habe tatsächlich schon lange nicht mehr in die wirklich schön gestalteten und teilweise kostspieligen Kochbücher hineingeschaut, obwohl ich ein großer Freund des gedruckten Wortes bin und nach wie vor kein eBook mein eigen nenne.
Ostern digital – natürlich habe ich auch dieses Motiv digital erworben …
Zurück zu den Eiern. Diese standen nun jungfräulich weiß in meiner Küche, bereit ihr Äußeres drastisch verändern zu lassen. Als ich dann die rohen Eier in der Hand hielt, fiel mir ein, dass ich sie ja vorher erst auspusten musste. Hart gekochte Eier eignen sich nicht ganz so gut für einen Osterstrauß. Ich griff also zum – Achtung hier kommt Strich Nummer drei – Handy und googelte „Eier ausblasen“. Nach kurzer Sichtung kam ich zu dem Schluss, dass mir das alles aber viel zu anstrengend und unappetitlich aussieht, und ich beschloss, dass mein Papa diese ehrenvolle Aufgabe des Ausblasens übernehmen durfte. Ich nahm also erneut mein Handy – Strich Nummer vier – zur Hand. Auf meine erste Whats App Nachricht, ob ich kurz mit meinen Eiern bei ihm vorbeikommen könnte, kam keine sofortige Antwort. Nach fünf Minuten wurde ich ungeduldig und schrieb eine zweite Nachricht mit dem Vermerk, er solle doch bitte sofort antworten, es sei dringend. Wieder nichts. Was bitte ist denn so schwierig daran, regelmäßig auf sein Handy zu schauen und zu prüfen, ob vielleicht jemand dringend Hilfe benötigt? Etwas genervt wählte ich dann seine Festnetznummer, während ich die Augen verdrehte und sowas wie „Eltern und Technik“ vor mich hin grummelte. Bereits nach dem ersten Klingeln nahm mein Papa den Hörer ab und ich erfuhr, dass das Handy noch in seiner Jackentasche auf dem Flur steckte und er deshalb nichts von meiner Hilflosigkeit mitbekommen konnte. „Ruf doch gleich an“ meinte er nur. „Na, wozu hast du denn ein Handy“ erwiderte ich. Schließlich durfte ich ihn dann kurz besuchen.
Digitale Hilfe, gute Laune und Ablenkung
Nach dem Aufblasen bereitete ich zuhause alles für das Bemalen der Eier vor. Leider fehlte mir nur noch ein kreativer Einfall für die Gestaltung. Als der auch nach zwei Minuten intensivem Nachgrübelns noch nicht in Sicht war, beschloss ich mir online ein paar Ideen zu holen – hier folgt nun erschreckenderweise bereits Strich Nummer fünf. Ich fand neben genialen Motiven auch genaue Videoanleitungen und fing an diesen zu folgen. Zur musikalischen Untermalung spielte ich eine meiner Playlists mit Lieblings-Gute-Laune-Songs über den iPod ab – ja ganz genau Strich Nummer sechs. Zwischendurch signalisierte mir mein Handy ab und an, dass sich irgendetwas getan hatte, dass meine Aufmerksamkeit erforderte. Jedes Mal war ich hin und her gerissen, ob ich den Pinsel nun extra bei Seite legen und nachschauen sollte, ob mir nicht vielleicht jemand geschrieben hatte. Ich entschied mich jedes Mal dafür – es folgt ein kommentarloser siebter Strich. Dieses Gefühl nicht genau zu wissen, warum das Handy jetzt geklingelt hat, ist manchmal kaum auszuhalten. Kennen Sie das auch? Sollte ich mir vielleicht mal Gedanken darüber machen?
Digitales Eierfärben
Zusätzlich zu den Eiern für den Osterstrauß, wollte ich noch einige hart gekochte Eier einfärben und ein Osternest basteln. Wie lange braucht ein Ei bis es hart ist? Da ich fast nie Eier koche, war ich mir unsicher. Die Eier sollten ja schließlich eine Weile halt- und essbar sein. Im Zweifel könnte man sie natürlich extra lange kochen lassen. Ich wollte es aber genau wissen. Strom kommt ja schließlich nicht kostenlos aus der Steckdose und Bildung schadet nie. Wieder hielt ich mein Handy in der Hand und öffnete Google – Strich Nummer acht. Die Antwort fand ich sehr schnell, aber das reichte mir nicht. Dafür muss es doch eine App geben, dachte ich. Eine die mir genau anzeigt, was ich wann zu tun habe – oh, oh Strich Nummer neun. Und tatsächlich wurde ich schnell fündig und eine kurze Downloadminute später konnte es losgehen: Nachdem ich die Kochmethode, den Durchmesser der Eier, die Höhenmeter (diesen Punkt muss mir irgendwann mal jemand erläutern), die Eier-Ausgangstemperatur und den gewünschten Härtegrad eingegeben hatte, konnte ich die Eier bereits ins kochende Wasser legen und die App starten. Wirklich beeindruckt war ich dann von den wechselnden Abbildungen auf dem Display, die zeigten, wie die Eier jetzt gerade von innen im Vergleich zum Bild des gewünschten Zustands aussahen. Beeindruckend, was es nicht alles gibt, oder?
Der nächste digitale Wunsch und das Wetter
Mein Herd ist übrigens nur ein einfacher Ceranherd mit einfachen Plastikdrehknöpfen und einem Backofen, der irgendwie nur heiß oder kalt kennt und bei dem die Innenbeleuchtung nicht funktioniert. Ich glaube, sie hat auch noch nie funktioniert. Ich finde, an dieser Stelle dürfte ich mir eigentlich einen Strich von der Liste entfernen, oder? Jedenfalls hätte ich viel lieber so ein Sensor-gesteuertes Gerät, welches einem exakt den Garzustand des Gerichtes im Backofen anzeigt und die optimale Art des Heizens, die Temperatur und Garzeit vorgibt und der sich auch von unterwegs per Smartphone oder Tablet-PC steuern lässt. Irgendwann werde ich mir so ein Schmuckstück mal zulegen. Wer weiß, was die Technik in den nächsten Monaten und Jahren noch so für Fortschritte macht. Nachdem die Eier final bemalt bzw. gekocht waren (und die Küche leicht unordentlich aussah), verließ mich die Lust am Basteln und ich überlegte, ob ich etwas für meine Fitness tun und mich aufs Fahrrad schwingen sollte. Ich warf einen Blick auf meine Wetter-App – hiermit wären wir bei Strich Nummer zehn angelangt. Dem Display meines Handys entnahm ich, dass es aktuell leicht bewölkt war und die Regenwahrscheinlichkeit 40 Prozent betrug. Klingt gut, dachte ich. Als ich auf den Hinterhof trat, um mein Fahrrad zu holen, stellte ich enttäuscht fest, dass es regnete und ich fragte mich warum zum Kuckuck ich nicht einfach aus dem Fenster geschaut hatte.
Fazit
Um nun auch noch den elften Strich auf meiner Liste mit digitalen Veränderungen in meinem Leben zu malen, verbrachte ich die nächsten 45 Minuten damit, mit meinem Laptop auf dem Schoss auf der Couch zu sitzen und nach Apps zu suchen, über die man elektronische Ostergrüße versenden konnte. Im Hintergrund lief im Fernsehen irgendein alter Film in HD – nein hierfür gibt es keinen Strich auf der Liste, ich habe schließlich nicht ein einziges Mal wirklich hingeschaut. Innerhalb weniger Stunden habe ich aber trotzdem elfmal auf digitale Techniken zurückgegriffen, die es so vor einiger Zeit auch in meinem Leben noch gar nicht gegeben hat und auch wenn es in meinen Fällen nur eher kleine unbedeutende Einflüsse sind, bin ich nicht sicher, ob es die bemalten Eier auch ohne all das gegeben hätte. Frohe Ostern.
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