Es war einmal ein Projektplan
Jeder kennt das, plötzlich ist etwas passiert, das in keinem schriftlichen oder gedanklichen Plan stand und das selbst mit größter Anstrengung nicht vorhersehbar war. Oft stehen dahinter Verkettungen von Ereignissen, die wir nicht wahrnehmen (können) und die unsere Planungen „über den Haufen werfen“: Eine Software funktioniert trotz bester Testung anders als erwartet, Infrastruktur fällt trotz Redundanz in dem Moment aus, wo der Go-Live vorbereitet wird, oder unerwartete Gewitter fluten die Baugrube.
Eigentlich wissen wir, Zukunft ist eben ungewiss. Und wenn genau das dann eben eintritt, und wir das „nicht auf dem Schirm hatten“, sind wir doch irritiert und oft hilflos.
Was ist eigentlich Ungewissheit?
Nicht immer ist es der Faktor Mensch, der das Unvorhersehbare auslöst, zunehmend entwickeln auch technische Systeme aufgrund ihrer zunehmenden Komplexität eine Art von „Eigenleben“. Und da technische Systeme unser Leben immer mehr beeinflussen und sich auch der Fokus unseres Lebens immer mehr globalisiert, bemerken wir Ungewissheit in zunehmendem Maße. Sie tritt gerade auch in Projekten auf, denn Projekte sind per Definition ein einmaliges Vorhaben, und es fehlen damit Erfahrungswerte aus der Vergangenheit, auf denen treffsichere Planungen üblicherweise fußen. Tritt Ungewissheit auf, sind gerade Führungskräfte in Linie und Projekt besonders gefordert, es gilt zumeist unter Zeitdruck und mit wenig Vorbereitungsmöglichkeiten Entscheidungen zu treffen, diese umzusetzen, den Erfolg zu prüfen und dabei auch Mitarbeiter und andere Betroffene „an Bord zu haben“. Oft kommt es im Rahmen des Auflösens solcher Situationen zu weiteren Situationen, die nicht vorhersehbar waren und auch diese gilt es zu (be-)stehen. Solche im Umgang mit der ursprünglichen Ungewissheit auftretenden, ebenfalls ungewissen Situationen werden auch „Ungewissheit zweiter Ordnung“ bezeichnet.
Wie kann man mit Ungewissheit umgehen?
Projektmanagement und Führungsmethodik geben uns Werkzeuge an die Hand, zu planen, zu steuern, abzustimmen. Aber diese Werkzeuge nehmen üblicherweise all das in den Fokus, was eben vorhersehbar war. Selbst die Disziplin des Risikomanagement befasst sich mit Ereignissen, von denen wir wissen, dass sie eintreten könnten.
All dies sind natürlich unverzichtbare Methoden, um eine Initiative, ein Projekt, eine Veränderung erfolgreich zu gestalten. Aber was ist zu tun, mit dem was eben nicht planbar, also ungewiss ist? Befragen wir Projektleiter nach solchen Situationen, begegnet uns immer wieder die Aussage „ich hab das einfach geahnt“, „ich habe da spontan gehandelt, indem…“. Hier scheint sich dann auf den ersten Blick „die Spreu vom Weizen zu trennen“: „Man kann das eben“, oder „man kann eben nicht“, ein Talent, das „man hat“ oder eben „nicht hat“.
Unsere Kernhypothese ist anders: Wir meinen, Menschen können Fähigkeiten (wieder-)erlernen und trainieren, um solche ungewissen Situationen erfolgreich zu bewältigen – das ist die gute Nachricht.
Die „schlechte“ Nachricht ist: Es gibt für Ungewissheit keine Werkzeuge, die wir (nach Analyse der Situation) einfach einsetzen; die notwendigen Fähigkeiten gilt es zu erlernen und zu fördern, wie bei allen Kompetenzen ein Prozess des lebenslangen Lernens.
Das führt uns zu den Fragen, welche Kompetenzen das sind, und wie sie zu erlernen sind? Bei der Auswertung von Situationen in Ungewissheit sehen die Sozialwissenschaftler des ISF München folgende Kernaspekte als nutzbringend an:
- Erkennen der Situation
Hierzu gehört u.a. ein Gespür, das „etwas nicht stimmt“ und ein Wahrnehmen dessen, was stattdessen ist; diese Wahrnehmung liegt eher auf einer sinnlichen Ebene als auf einer kognitiven.
- Situatives Handeln
Hierzu gehört in erster Linie Handeln und Denken miteinander zu verschränken, oft auch sogar intuitiv zu handeln, bevor „man denkt“; das dazu notwendige Denken ist eher assoziativ und weniger analytisch.
- Eingehen einer Verbindung mit der Situation und den Aktoren
Hierzu zählt vor allem auch ein Hineinspüren in das Projekt, und „was da gebraucht wird“, eine Art Empathie für oder sogar Identifikation mit dem Projekt.
- Ein experimentelles, interagierendes Vorgehen
Hierzu gehört, Dinge auszuprobieren, aus Fehlern zu lernen, sich heranzutasten und dabei immer wieder zu erspüren, wie zu handeln ist.
Es war einmal ein Projektplan, doch dann passierte etwas Unvorhersehbares …
Wenn Sie wie wir ein Fan von Raumschiff Enterprise sind, kennen Sie sicherlich Scotty. Wenn das Warp-Triebwerk versagt, weiß er das bereits zwei Minuten, bevor es passiert. Tritt das Versagen dann ein, tastet er sich an das Problem heran, spürt sich quasi in den Antrieb hinein. Es gibt keine langatmigen Analysesitzungen, dafür ist die Zeit zu knapp. Druck wird ausgehalten, Ideen entstehen im Team und aus der Kombination aller Erfahrungen der Beteiligten. Das beschreibt gut, wie der Umgang mit Ungewissheit ist, und daher heißt der Ansatz der Wissenschaftler aus München auch „subjektivierendes Handeln“ oder „erfahrungsbasiertes Arbeitshandeln“.
Stellt sich die Anschlussfrage, wie man in einer unbekannten Situation erfahrungsbasiert handeln kann, die Situation ist ja neu, und so hat man keine wirklich passenden Erfahrungen.
Dazu braucht es zum einen fundiertes Wissen um das Projekt, und hier kommen die klassischen Methoden des (Projekt-)Managements zum Tragen, die uns helfen, dieses Wissen zu erarbeiten: Der Projektplan, die Stakeholder-Analyse, das Wissen um Ziele, Vision und Strategie, das Kennen von potentiellen Störfaktoren. Solches Wissen ist die Basis für die notwendige, oben erwähnte Verbindung mit dem Projekt und seinen Akteuren, eine unverzichtbare Voraussetzung, sich das Projekt „zu eigen zu machen“. Es entsteht ein „Gespür für das Projekt“ und darauf aufbauend bleiben die Beteiligten in Situationen der Ungewissheit handlungsfähig: Lösungs- und Handlungsideen entstehen spontan intuitiv (als Bilder) und basierend auf den bisherigen Erfahrungen aller Beteiligten.
Die Handlungsideen werden erprobt und – sofern nicht erfolgreich – durch weitere ersetzt. Erfahrungen mit nicht erfolgreichen Lösungsideen ergänzen das bisherige Erfahrungswissen, das sich so erweitert: Lernen im Lösungsprozess. All das geschieht spontan und fast spielerisch, eine Art Not anwendender Flow, selbst bei hochkritischen Situationen.
Dieser Form des Handelns liegen Kompetenzen zugrunde, die erlernt und trainiert werden können:
- Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern: Aus Fehlern lernen
- Achtsamkeit: Ein Wahrnehmen von sich selbst und dem, was uns umgibt, zunächst als reine Sammlung von bewertungsfreien Beobachtungen
- Ein Loslassen von eigenen Erwartungen an potentielle Lösungen, existierende Pläne, andere Betroffene
- Ein Loslassen der Idee von perfekter Kontrolle und Steuerung, die in der Situation wegen der (doppelten) Ungewissheit eh nicht möglich sind
- Ein flexibler Umgang mit Drucksituationen
- Sich selbst und seine Reaktionen gut kennen
- Und vor allem: Sicherheit, die nicht aus Kontrolle der Situation entsteht, sondern aus der eigenen Person: Wir bezeichnen dies als „innere Stabilität“.
An dieser Stelle kommt nun der von uns entwickelte Ansatz ins Spiel. Er kombiniert Körperarbeit mit systemischem Denken und Handeln. Mittels Körperarbeit und systemischen Ideen kann man die beschriebenen Kompetenzen in einer idealen Umgebung erwerben und fördern und die dabei gemachten Erfahrungen kognitiv auf Situationen in professionellen Kontexten reflektieren. Körperlich verankert, sind diese Fähigkeiten dann auch in unbekannten Situationen quasi als Metakompetenzen (zu-)greifbar und legen eine Basis für erfahrungsbasiertes Handeln in Situationen der Ungewissheit.
Kompetenzen für den Umgang mit Ungewissheit
(Meta-)Kompetenzen für den Umgang mit Ungewissheit sind erlern- und trainierbar. Wesentlicher Faktor dabei ist es, ein Gefühl von Sicherheit jenseits von Kontrolle zu erwerben. Diese Kompetenz gilt es zu fördern. Impulse für das Erlernen sind durch Workshops und/oder begleitendes Coaching möglich. Unabdingbar ist aber darüber hinaus, dass durch solche Impulse ein Prozess des lebenslangen Lernens und Übens ausgelöst wird, ein Prozess, sich mit sich selbst und der eigenen Entwicklung auseinanderzusetzen und dabei Stabilität in Flexibilität zu erlangen. Sukzessive von eigenen Erwartungen und Glaubenssätzen loszulassen, ist wesentlicher Bestandteil dieses Prozesses.
Körperarbeit und Systemik, miteinander kombiniert, bieten hierfür einen sehr gut geeigneten Ansatz. Als Führungskraft haben Sie nun sicherlich ein paar ganz praktische Fragen und Anmerkungen, von denen wir hier einige aufgreifen möchten:
- Muss ich nun mein ganzes Arbeitshandeln ändern?
Hier gibt es ein klares Nein. All Ihr bisheriges, eher analytisch/kognitiv orientiertes Handeln und Entscheiden hat seinen Wert und ist Kernkompetenz für Sie. Aber es gibt Situationen, in denen der Projektplan nicht mehr zutrifft oder die Energie dafür, diesen einzuhalten verschwendet wäre. Diese Situationen gilt es zu erkennen und dann das Arbeitshandeln darauf anzupassen.
- Wie kann ich erkennen, dass ich in einer solchen Situation bin?
Signale für solche Situationen sind nach unseren Erfahrungen sehr stark im Körper verortet. Intuition kommt aus dem Unbewussten. Verspannungen, Unwohlsein, Unruhe, Träume können solche Signale sein. Das Wahrnehmen von Signalen, die unterhalb unserer bewussten Schwelle liegen, ist trainierbar.
- Dieses „versuchende“ Handeln klingt nach Improvisation und damit Chaos und nicht nach klar zum Ziel führendem Handeln …
Nun, zunächst einmal ist Improvisation alles andere als chaotisch, es braucht eine hervorragende Expertise und ein breites Wissen, um dann situativ und harmonisch zu agieren. Und tatsächlich gilt es in oder nach solchen Situationen auch das Ziel noch einmal in den Fokus zu nehmen und zu prüfen.
- Was heißt eigentlich Kontrolle loslassen?
Wir betrachten hier Situationen der Ungewissheit, die wir eben nicht kontrollieren oder „im Griff haben“ können.
Kontrolle erzeugt in uns Sicherheit und manifestiert sich im Körper als Spannung, die uns festigt. In Situationen der Ungewissheit wird diese Sicherheit zur Scheinsicherheit, Spannung wird zu Verkrampftheit, Energie wird verschwendet, um die (Über-)Spannung zu halten. Grundsätzlich ist Kontrolle wichtig und gibt uns Halt. Aber es gilt achtsam wahrzunehmen, wann Kontrolle zu Verspanntheit und Energie-Verschwendung führt und sie dann (bewusst) loszulassen.
- Was ändert sich im Umgang mit meinem Team?
Über Erfahrungen mit dem Körper können Sie unbewusstes Führungsverhalten und Verhalten als Geführter erkennen. Ihr Team mach Erfahrungen, dass es auch als Geführter Verantwortung für ein Gelingen hat. Gemeinsam können Sie sich neue Handlungsoptionen für Drucksituationen erarbeiten. So entsteht eine zusätzliche Form der Sicherheit durch innere Stabilität der Einzelnen und des Teams per se, die „durch unsichere Zeiten trägt“. Und last but not least, durch die Reflektion der Körperübungen kann jeder Einzelne viel über seine Grenzen und Räume erfahren.
- Wie lange brauche ich, um all das zu erlernen?
Wie bei Kompetenzen grundsätzlich geht es auch bei Körperarbeit und der damit einhergehenden persönlichen Entwicklung um lebenslanges Lernen und Üben. Was für Fachwissen gilt, gilt auch hier: Es braucht Impulse von außen und das eigene möglichst beständige Üben und Erarbeiten ohne Außeneinfluss.
- Wo kommt dieser Ansatz her?
Der Ansatz verbindet altes Wissen aus dem ostasiatischen Kulturraum mit modernem systemischem Wissen und ökonomischer Erfahrung aus Projekten und Führungssituationen. Wissenschaftlich wird er zusätzlich durch die Neurowissenschaften untermauert.
Wenn Sie sich näher mit dem Thema beschäftigen wollen, wir freuen uns Sie in unserer nächsten Veranstaltung zu begrüßen, nähere Informationen finden Sie hier: http://sicher-durch-veraenderung.de/
Ich bin jetzt seit einigen Jahren (1985) als Projektleiter und anderen PMO-Funktionen tätig und habe mit viel Vergnügen den Artikel gelesen. Anbei ergänzend noch einige Zitate.
Gesetz der Praxis! ==> Goethe: “Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum”.
Auch für Projekte und Teams gilt! ==> Darwin: „Survival of the Fittest” = Überleben des Anpassungsfähigsten
Das spricht für agiles Projektmanagement
Frühere oder auch spätere Erkenntnis für jeden Projektleiter! ==>„Es bleibt alles ganz anders“
mit freundlichen Grüßen :=)
Andreas Müller
Dieser Artikel harmoniert mit meinen Projekt-Turnaround Erfahrung. Wenn Kontrollmechanismen, organisatorische Prozesse und Task-Forces sich ohne Wirkung im Kreis drehen, halfen mir immer: (a) Lösen der hektischen Angespanntheit, (b) Zurückgewinnung von Ruhe und Selbstbewusstsein und (c) intuitives, assoziatives Aufspüren von neuen Aspekten und Schlüsselpersonen, die bisher übersehen wurden (oft halfen Personen, die zuvor keine Stimme hatten).
Herzlichen Dank für diesen exzellenten Artikel.