Gefahrenzone Projekt
Projekte gibt es heute überall. Es gibt sie bei der Einführung von Neuem, bei Veränderungen von Produkten, Software, Organisationen oder Geschäftsprozessen. Es gibt sie in Konzernen ebenso wie in kleinen Unternehmen oder kleinsten Unternehmungen¹. Projekte faszinieren: Sie verwandeln einen unbefriedigenden Ist-Zustand in einen ersehnten Ziel-Zustand. Einer geht voraus: Sie, als Projektleiter (w/m), gehen voraus. Sie organisieren und halten das Projekt in Bewegung zum Ziel.
Projekte machen Etwas zum ersten Mal². „Das gab es hier so noch nie.“ Sie wagen sich auf unbekanntes Gebiet. Plötzlich und unerwartet werden Sie, der Projektleiter, oder Sie, das Projektteam, oder Sie, der Projekt-Sponsor, von Etwas aus heiterem Himmel getroffen. Etwas, das das Projektziel sofort in unerreichbare Ferne entrückt. Etwas, das beschädigt und Schaden anrichtet. Eine Bestie, die ab sofort in Ihrem Projekt wütet.
Was unternehmen Sie? Wie bewältigen andere diese Gefahren?
Vorbetrachtungen
Dieses Kapitel zeigt Ihnen, warum Sie Gefahren statt Risiken betrachten sollten, und wie Projekte häufig auf eintretende Gefahren reagieren.
Was macht die Gefahr so gefährlich für Sie?
Sie sollten diese Frage, bevor es weitergeht, für Ihr Projekt konkret beantworten. Vergessen Sie dazu alle Eventual-Risiken, denn so ein Sammelsurium behindert Sie. Konzentrieren Sie sich stattdessen auf jedes Projektziel: Wie gerät dieses eine Ziel hoffnungslos in Gefahr? Wie genau, wodurch, wann, durch wen wird dieses Ziel durch diese Gefahr zur Illusion? Nur einen Atemzug von der Katastrophe entfernt lauert diese Gefahr: Die ist Ihr Fokus.
Ich möchte mit Ihnen im Folgenden ein Schadens-Szenario beleuchten: Eine konkrete Gefahr (G) tritt ein, sie verändert Ihre Projektziele (Z) so massiv, dass Sie wenigstens ein Projektziel garantiert verfehlen (Z_verfehlt). Daraus ergeben sich Lösungs-Szenarien und Aufgaben für Ihr Projektmanagement.
Schadens-Szenario
Wenn etwa Ihr bedeutendster Mensch im Projekt verunglückt (G), werden Ihr Projekt und seine Ziele hart getroffen. Sie müssen dessen Genesung abwarten oder für Ersatz sorgen. Das wirkt sich massiv auf Ihr Projekt aus, denn viele Projekte vereinbaren Termine, Budgets und Ergebnisse als Ziele (Z).
Wie gehen andere mit solchen Situationen um?
Ad hoc – Gefahr ausgleichen
Praktiziert wird oft: Man lässt es darauf ankommen.
Lösungs-Szenario: Die Gefahr (G) tritt ein, ihre Auswirkung auf Projektziele (Z) wird sichtbar, Sie überlegen und finden eine lückenlos kompensierende Gegenmaßnahme (X).
Aufgabe: Finden Sie Ihr konkretes X, das „den Schaden an Z durch G ausgleicht“.
Gefahrenwirkung ausgleichen
Beispielsweise bedrohen Budgetkürzungen (G) Projekte. Kürzungen werden Ihr Projekt so verändern, dass wenigstens ein Projektziel (Z) unerreichbar zu werden droht (Z_verfehlt). Sie finden jedoch einen alternativen Geldgeber (X) und wenden so die Gefahr vom Projektziel ab.
Der Vorteil der ad hoc Methode ist: Niemand muss sich im Vorwege mit theoretisch denkbaren Risiken herumquälen, sie mühsam sammeln, ordnen, bewerten, auswählen. Wir wissen jetzt, in diesem Moment der einzigen Gefahr, genau, womit wir uns auseinandersetzen müssen.
Ein Nachteil ist sicher, dass Sie reagieren, hinterherrennen, Schäden begrenzen. Oft geht es nicht anders. Ich kann Ihnen dennoch nur nahelegen: Setzen Sie dieses Verhalten sparsam und bewusst ein.
Tipp: Seien Sie wachsam, um wenigstens die nahende Gefahr (G) früh zu bemerken.
Handlungsalternativen
Es gibt fünf weitere Ansatzpunkte, mit den Gefahren für Ihr Projekt umzugehen.
Vor Gefahr geschützt
Es kann gelingen, das Projekt, die Projektziele vor oder nach Eintreten der Gefahr zu schützen.
Lösungs-Szenario: Die Gefahr (G) tritt unabwendbar ein, aber sie kann durch Ihre Schutzmaßnahme (X) die Projektziele (Z) nie gefährden.
Aufgabe: Finden Sie Ihr konkretes X, das „G von Z isoliert“.
Gefahrenwirkung isolieren
Ihr bester Projektmitarbeiter fällt für längere Zeit aus (G)? Macht nichts, denn Sie haben ja einen Ersatz (X) an der Hand, der auf dem Laufenden blieb und im Handumdrehen Ergebnisse bringen wird. Ihre Termine oder Projektkosten laufen aus dem Ruder (G)? Macht nichts, Sie haben ja eine abgestimmte Prioritätenliste parat, nach der Sie ausgewählte Arbeitspakete (X) weniger intensiv oder gar nicht bearbeiten. Sie halten so diese Gefahren auf Abstand zum Projektziel (Z).
Es ist unwichtig für die Schutzwirkung, ob Ihre wirksamen Gegenmaßnahmen vorher bereit lagen, oder ob Sie sie im Moment der Gefahr erst entwickeln. Vorbereitend hilft für die Praxis, wenn Sie die wirksamsten Schutzmaßnahmen wenigstens ansatzweise früh herausarbeiten.
Tipp: Vermeiden Sie ziellose Brainstormings über eventuelle Schutzmaßnahmen. Lernen Sie erst Ihren Gegner genauer kennen: die fatalsten konkreten Gefahren (G) für Ihr Projekt.
Vor Gefahr in Sicherheit gebracht
Manchem Projektleiter gelingt es, ihr Projekt vor der Gefahr in Sicherheit zu bringen oder von ihr tragen zu lassen (Arche Noah Ansatz).
Lösungs-Szenario: Die Gefahr (G) tritt unabwendbar ein und richtet Schaden (an X) an, aber Ihr Projekt ist gleichsam an einem sicheren Ort, an dem die Gefahr Ihr Projekt und seine Ziele (Z) einfach nicht erreicht.
Aufgabe: Finden Sie Ihr konkretes X, das „G auf sich zieht und so Z unberührt lässt“.
Gefahrenwirkung umlenken
Sie sollten dieser konkreten unabwendbaren Gefahr wenigstens einmal in die Augen schauen, damit diese Strategie gelingt. Noahs Strategie wirkte bei der heraufziehenden Flut. Bei Schlamm-, Fels- oder Schneelawinen hätte sie vermutlich versagt.
Steht Ihr Projekt im Fokus (G)? Können Sie es in ein angenehmeres Licht rücken? Liegt Ihr Projekt in einem typischen Gefahrenweg (X)? Können Sie es daraus wegbewegen? Können Sie die eintretende Gefahr zu Ihrem Vorteil nutzen? Wie wird diese eine Gefahr zu einem lohnenden Träger Ihres Projektes?
Sogenannte U-Boot Projekte sind ein Beispiel für diese Strategie. Manchmal zwingen Umsatzeinbußen (G) Verantwortliche dazu, Projekte (X) zu stoppen oder zu verzögern. Ein abgetauchtes Projekt (nicht-X) kann dem an einem sicheren Ort entgehen und sich weiter darauf konzentrieren, die Projektziele (Z) zu erreichen.
Tipp: Untersuchen Sie Gefahren (G), die Sie mittlerweile erkannten, unter dem Aspekt der Arche Noah Strategie.
Gefahr gezähmt
Manchen Projektleitern gelingt es, konkrete Gefahren zu zähmen.
Lösungs-Szenario: Die Gefahr (G) tritt gewiss ein, aber Sie konnten diese Gefahr so verändern (G*), dass sie nicht mehr nachteilig Ihre Projektziele (Z) verändert.
Aufgabe: Verändern Sie G so zu G*, dass Z unempfindlich für G* wird.
Gefahr gezähmt
Gefahr droht in manchen Projekten von innen: Ein Projektmitglied ist unzufrieden (G) und verhindert so normales Arbeiten. Ein klärendes Gespräch (G*) kann Wunder auf vielen Seiten bewirken. Manchmal möchten die Adressaten des Projekts das Projektergebnis gar nicht haben: Es droht die Gefahr der Ablehnung und damit der Verschwendung (G). Diese Gefahr verändert sich (G*), sobald das Projekt Wünsche, Anforderungen und Interessen der Nutzer des Projektergebnisses beizeiten erfragt.
Tipp: Legen Sie sich eine Liste mit konkret erkannten Gefahren (G) für Ihr Projekt an. Prüfen Sie immer wieder, welche dieser Gefahren Sie wie verändern und so zähmen können.
Projekt verändert
Manche Gefahren lassen sich einfach nicht aus der Welt schaffen: Man muss mit ihnen leben. Pfiffige Projektleiter passen daher ihr Projekt an diese Randbedingung an.
Lösungs-Szenario: Die Gefahr (G) tritt unabwendbar ein, aber Sie verändern Ihr Projekt so, dass die entfesselte Gefahr Ihren Projektzielen (Z* oder P*(Z)) nicht mehr schadet.
Aufgabe: Verändern Sie das Projekt P oder sein Ziel so, dass G nicht mehr stört (und Z* oder P*(Z) akzeptabel bleibt).
Projektziele immunisieren
Alle Projekte stehen in einer Gefahr: Praktisch nie wird es Termine, Budgets und Ergebnisse zu 100 % treffen (G). Eine Anpassung hat sich dabei bewährt: Sie vereinbaren einen Termin-Bereich (Z*), einen Budget-Bereich (Z*), einen Ergebnis-Bereich (Z*) sowie einen Qualitäts-Bereich (Z*) für jedes Ergebnisziel³. Alle bisher im Artikel genannten Lösungs-Szenarien können ebenfalls zu sinnvollen Projektanpassungen an konkrete Gefahren führen.
Tipp: Halten Sie regelmäßig gefahrenorientiert (G) nach sinnvollen oder notwendigen Projektanpassungen (Z*, P*(Z)) Ausschau.
Wechselwirkung verändert
Manchmal ist es verborgen, welcher Projektteil in welche Gefahren gerät. Manche Projektleiter halten daher ihre Projekte flexibel in Gang.
Lösungs-Szenario: Die Gefahr (G) tritt unabwendbar ein, aber Ihr Projekt reagiert nun so darauf (**), dass Ihre Projektziele (Z) der Gefahr entgehen.
Aufgabe: Betrachten Sie die Wechselwirkung zwischen G und Z noch genauer, insbesondere auf Veränderungsmöglichkeiten.
Veränderte Wechselwirkung
Zum einen nutzen Projektleiter an das Projekt sinnvoll angepasste Entscheidungsgremien (**), die sie bei der Veränderung des Projekts, seiner Besetzung, seines Ablaufs, seiner Ziele, seiner Öffentlichkeitsarbeit unterstützen4 . Zum anderen kommen die bisher genannten Strategien umgekehrt zum Einsatz. Um eine konkrete Gefahr (G) ins Leere laufen zu lassen, verändern Sie die Wechselwirkung (**) mit Ihrem Projekt so, dass:
- jede spontane Suche nach Gegenmaßnahmen unnötig wird,
- kein Gefahrenschutz mehr nötig ist,
- Sie Ihr Projekt nicht länger an einen sicheren Ort zu verlegen brauchen,
- die Gefahr nicht mehr verändert und gezähmt werden muss,
- keine weitere Projektveränderung mehr nötig sein wird.
Tipp: Entdecken Sie die Kraft und die Möglichkeiten, die in der Wechselwirkung (**) zwischen einer konkreten Gefahr (G) für Ihr Projekt und den Möglichkeiten Ihres Projektes und dessen Umfeld verborgen liegt.
Fazit
Sobald eins Ihrer Projektziele in Gefahr gerät, kommen Sie mit einem der 6 Lösungs-Szenarien erneut auf Kurs. Es verbleibt für Sie brenzlig, solange Sie in Ihrem Projekt Zielgefährdungen verpassen. Es ist wichtig, die lauernde Katastrophe, die Ihr oberstes Projektziel gefährdet, so früh wie möglich zu bemerken und entsprechend der aufgezeigten Szenarien zu handeln. Nur wenn Sie Gefahren erkennen und entsprechend handeln, haben Sie die Chance, mit Ihrem Projekt die gewünschten Ziele zu realisieren.
Hinweise:
Dieser Artikel zeigt Ihnen, wie Sie mit erkannten Gefahren umgehen können. Die Schwierigkeit ist oft, die lauernden Gefahren überhaupt wahrzunehmen. Wenn Sie die technischen oder nicht-technischen Gefahren in Ihrem konkreten Projekt noch klarer herausarbeiten wollen, unterstützt Sie Michael Schlüter gerne.
[1] Zur Stellung von Projekten in beliebigen Organisationen siehe „Integriertes Management System (IMS)“ in „Management. Das A und O des Handwerks“, Fredmund Malik, Band 1, 2005
[2] Projektmerkmale [Internet]. Wikipedia 2017. Verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Projektmerkmal
[3] „PRINCE2. Managing Successful Projects with PRINCE2“, OGC, 2009
[4] „Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM3)“, GPM/IPMA, 2. Auflage 2009
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