Ist Projektmanagement Kunst oder Wissenschaft?
Sind Sie als Projektmanager eher Künstler oder eher Wissenschaftler? Ist es eine Kunst, ein Projekt zum Erfolg zu führen oder eher eine Wissenschaft, Projekte mit definierten Methoden erfolgreich zu steuern? Wenn es eine Wissenschaft wäre, warum scheitern dann so viele Projekte? Und wenn es Kunst wäre, warum taucht dann weder in der ISO-Norm 21500, der DIN 69901 oder dem PMBOK vom Project Management Institute das Wort „Kunst“ auf? Liegt die Kunst etwa in der Anwendung von Fähigkeiten, Methoden und Techniken?
Finden Sie sich in einer der vier folgenden Thesen wieder?
- These: Projektmanagement ist Kunst und Wissenschaft
- These: Projektmanagement ist mehr Kunst als Wissenschaft
- These: Projektmanagement ist mehr Wissenschaft als Kunst
- These: Projektmanagement ist weder Kunst noch Wissenschaft
Projektmanagement – Kunst oder Projektmanagement oder doch etwas anderes?
Projektmanagement ist Kunst und Wissenschaft
Ein Projekt ist ein neuartiges, einmaliges Vorhaben. Vermutlich nutzen Sie eine definierte Methode, einen Prozess oder Ihre Best Practices zur Planung, Durchführung und Kontrolle in Ihren Projekten. Da das Projekt aber neuartig ist, müssen Sie bei der Planung Vermutungen anstellen. Und Sie abstrahieren, das heißt, Sie versuchen Ihr Projekt zu vereinfachen und dadurch zu strukturieren. Sie fassen Arbeitsschritte zusammen und stimmen Termine und Meilensteine mit vorzulegenden Ergebnissen ab. Natürlich definieren Sie auch Verantwortlichkeiten. Kurz gesagt: Sie versuchen, alle wichtigen, vorhersehbaren und wahrscheinlichen Projektbestandteile zu berücksichtigen. Und was ist mit den nicht vorhersehbaren Bestandteilen? Was passiert, wenn wider Erwarten ein Mitarbeiter ausfällt oder ein Risiko eintritt? Schlagen Sie dann ein Buch auf und suchen darin nach einer wissenschaftlichen Lösung, einer Formel oder Handlungsanweisung? Natürlich werden Sie versuchen, die neue Situation mit Weitsicht zu lösen. Eventuell müssen Sie Ihre Mitarbeiter motivieren, etwas mehr zu arbeiten. Vielleicht verlassen Sie sich auf Ihre Intuition und treffen eine Bauchentscheidung. Oder Sie vertrauen auf die Erfahrung Ihres Teams, eine kreative Lösung zu finden. Projektmanagement ist also mehr als methodisches Vorgehen. Es ist Vertrauen, Zuversicht und Erfahrung. Projektmanagement ist Kunst und Wissenschaft.
Projektmanagement ist mehr Kunst als Wissenschaft
Natürlich können Sie das Wissen zur Planung und Gestaltung von Projekten erlernen. Sie können Projektmanagement-Kurse besuchen, Methoden studieren und Zertifikate erwerben. Aber nur weil Sie wissen, dass ein Bild aus einer Leinwand und Farbe besteht, werden Sie noch kein neues Meisterwerk produzieren. Sie benötigen mehr als nur ein gutes Verständnis von Farben und Formen, von Material und geeigneten Produktionstechniken. Im Projektmanagement ist es genauso: selbst mit dem besten Plan, einem angepassten Vorgehen, genügend Ressourcen und verfügbaren Tools muss ein Projekt nicht erfolgreich verlaufen. Darüber hinaus ist es in Firmen häufig so, dass nicht einmal Klarheit über derzeit laufende Projekte herrscht. Hier von Wissenschaft zu sprechen, fällt schwer.
Damit Projekte also erfolgreich durchgeführt werden können, benötigen Sie Softskills. Sie benötigen eine gute Kommunikation im Team und mit den Stakeholdern. Sie benötigen Kreativität und diplomatisches Geschick in der einen oder anderen Projektsituation. Und ohne die richtige Motivation des Projektteams werden Sie das Projektziel nur sehr schwer erreichen. Diese Softskills sind viel essentieller als eine gute technische Grundlage zur Durchführung des Projekts. Projektmanagement ist also mehr Kunst als Wissenschaft.
Projektmanagement ist mehr Wissenschaft als Kunst
Ein Projekt ist ein einmaliges Vorhaben mit definierten Rahmenbedingungen wie Anfangs- und Endtermin, Ressourcen (verfügbare Mitarbeiter, vorhandene Finanzen, etc.) und Zielen. Die Projektdurchführung basiert auf Prinzipien, Abhängigkeiten, Vorgaben und definierten Resultaten. Dies hat wenig mit Kreativität zu tun, wenig mit Softskills. Natürlich benötigen Sie weiche Faktoren im Laufe des Projekts, aber ohne ein definiertes Vorgehen, ohne entsprechende Werkzeuge, ohne Methoden und Hardskills können die Softskills gar nicht zum Tragen kommen. Ohne Vorgaben werden Sie sich in Meetings verlieren, Sie werden sich mit Details beschäftigen und das große Ganze aus den Augen verlieren. Für den Projekterfolg ist ein methodisches, im weitesten Sinne auch wissenschaftliches Vorgehen wesentlich. Ein Projekt bewerten Sie anhand von Kennzahlen. Sie erkennen den Projektfortschritt anhand der Anzahl realisierter Anforderungen. Und sie wissen wie Sie strukturell mit den Änderungswünschen Ihrer Kunden umgehen können. So beachten Sie stets die definierten Rahmenbedingungen des Projekts. Projektmanagement ist also mehr Wissenschaft als Kunst.
Projektmanagement ist weder Kunst noch Wissenschaft
Wo liegt die eigentliche Wissenschaft im Projektmanagement? Die Wissenschaft hat längst belegt, dass Arbeiten in Teams nicht immer vorteilhaft ist, denn viele Teammitglieder reduzieren ihren persönlichen Einsatz bei der Arbeit in Teams. In der Folge ist die Gesamtleistung eines Teams dann sogar geringer als die Summe der Einzelleistungen. Auch die gemeinsame Aufwandsschätzung im Team – wie beispielsweise bei Methoden wie Scrum – führt nachweislich zu höheren Werten als tatsächlich notwendig. Welche großartige Wissenschaft bildet also die Basis für Projektmanagement? Wenn Projektmanagement eine Wissenschaft ist, müssten dann gescheiterte, überteuerte oder verspätete Projekte nicht eine seltene Ausnahme sein?
Softskills lassen sich vermitteln. Unzählige Institute, Gesellschaften und Fachbücher beschäftigen sich mit Kommunikation, neurolinguistischer Programmierung oder Mitarbeiterführung. Dabei werden typische Situationen durchgespielt, Verhaltensmuster trainiert und Techniken erlernt. Natürlich sind Softskills wichtig, aber warum sollten diese Fähigkeiten als Kunst gelten? Ob etwas als Kunst gilt, entscheidet das Publikum, im Projektumfeld also vermutlich der Auftraggeber. Und wie viele Auftraggeber kennen Sie, die ein Projekt, seine Planung, Durchführung und Kontrolle als Kunstwerk bezeichnen? Vermutlich freut sich der Auftraggeber über die Realisierung innerhalb der zeitlichen Vorgaben, über eingehaltene Budgets, über neue Funktionen und Möglichkeiten. Wenn es also für ihn keine Kunst ist, warum sollte es dann für den Projektmanager Kunst sein?
Ergo: Projektmanagement ist weder Kunst noch Wissenschaft.
Und was glauben Sie?
Welche dieser Thesen gefällt Ihnen am besten? Haben Sie einen Favoriten? Ist Projektmanagement für Sie eher Kunst oder eher Wissenschaft? Vielleicht ist Projektmanagement für Sie eher ein Handwerk, eine Fähigkeit mit gegebenen Mitteln bestmögliche Ergebnisse zu erzielen? Und vermutlich hängt Ihre Beurteilung von Ihren persönlichen Erfahrungen, von Ihrer Ausbildung und Ihrem typischen Projektumfeld ab. Meiner Meinung nach ist Projektmanagement weder Kunst noch Wissenschaft, Projektmanagement ist viel mehr. Für mich ist erfolgreiches Projektmanagement Zauberei.
Sehr geehrter Herr Schenkel,
ich bin der Auffassung, dass eine wachsende Projektplanung, ein arbeitsfähiges Projektteam und vernünftige Kommunikation (einschliesslich Pendenzenkontrolle) die Basis für ein erfolgreiches Projekt darstellen. Technische Tools sind ein sehr hilfreiches Mittel – wenn man sie konsequent anwenden und nutzen kann…
Freundliche Grüsse
Dr. Detlef Hell
Sehr geehrter Herr Schenkel,
Projektmanagement ist weder Kunst noch Wissenschaft sondern Können.
Projektmanagement ist eine Unterform des normalen Managements, deshalb ist ein PL auch ein Unternehmer auf Zeit und niemand fragt ob Management Kunst oder Wissenschaft sei. Und ich war noch ohne Prince, IPMA etc. pp. schon PL und muss es also wissen.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Schwarze
Weder, noch, Herr Schenkel, sondern: Projektmanagement ist Krieg!:
1. Der Kunde will mehr als das, wofür er gezahlt hat.
2. Ich als PM bekomme nicht mal all die Ressourcen, die mein Boss mir versprochen hat. Die EMV-Kammer hat sogar einer meiner Kollegen „besetzt“ – und „verteidigt“ seinen „Besitz“ mit Zähnen und Klauen :-).
3. „Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der größte einer ziemlichen Ungewißheit unterworfen.“ (Carl von Clausewitz)
4. „Kein Plan übersteht den ersten Feindkontakt“ (Feldmarschall Rommel) – Wer perfekt plant, der erstickt im Änderungswesen.
5. „Die Söldner und Hilfstruppen sind unnütz und gefährlich, und wer seine Macht auf angeworbene Truppen stützt, der wird nie fest und sicher dastehen, denn diese sind uneinig, ehrgeizig, unbändig, treulos, frech gegen ihre Freunde, feig gegen die Feinde, ohne Gottesfurcht und ohne Glauben gegen die Menschen. Man verschiebt seinen Untergang nur so lange, als man den Angriff verschiebt; im Frieden wird man von ihnen selbst beraubt, im Kriege vom Feinde. Der Grund dafür ist, daß sie keine andre Liebe und keinen anderen Anlaß haben, im Felde zu liegen, als den geringen Sold, um dessentwillen sie ihr Leben für dich nicht preisgeben wollen … “ (Niccolò Machiavelli)
6. Ich suche noch einen passenden Spruch für die „Partnerschaft“ unter Partnern in einem „Joint Venture“.
Nee, Herr Schenkel, wo das Geld anfängt, da hört die Liebe auf und das Scharren und Eingraben der Hufe, um seine „Partner“ gegen Projektabschluss in der „Nacht der langen Messer“ über den Haufen rennen zu können. Wer sich für das „Schwarze-Peter-Spiel“ nicht gut genug vorbereitet hat, der wundert sich, wie viele Karten dieses Namens sich in seiner Hand sammeln.
Ob Krieg nun Kunst der Wissenschaft ist, das beantworten lieber jene, denen noch keine Granaten um die Ohren geflogen sind.
Ciao
Wolfgang Horn, Projektsanierer und Trainer
Quelle: XING, Gruppendiskussion PMI – Project Management Institute, https://www.xing.com/communities/posts/ist-projektmanagement-kunst-oder-wissenschaft-1009348967?comment=32980664
Sehr geehrter Herr Horn,
ein sehr interessanter Beitrag dessen Schlussfolgerung, „wer sich für das “Schwarze-Peter-Spiel” nicht gut genug vorbereitet hat, der wundert sich, wie viele Karten dieses Namens sich in seiner Hand sammeln“, nur zuzustimmen ist.
Der Satz „Kein Plan überlebt die erste Feindberührung“ ist viel älter und stammt von Helmuth von Moltke. Aus dieser Erfahrung heraus führte er die Auftragstaktik ein, was ja wieder der Vorgehensweise im Projektmanagement nahe kommt.
Außerdem haben Sie vergessen aus den Theoremen von Sun Tzu zu zitieren.
Mit vielen Grüßen
Ulrich Schwarze
Grüß Gott aus München, Herr Schwarze,
„von Moltke“: Klar. Die Weisheit selbst müßte falst so alt sein wie Pläne.
„Aus dieser Erfahrung heraus führte er die Auftragstaktik ein, was ja wieder der Vorgehensweise im Projektmanagement nahe kommt.“
Ich kenne keine bessere. Aber sie erfordert ein hohes Maß an Vertrauen, sogar der Lincoln’schen Zustimmung:
„Niemand ist gut genug, einen anderen ohne dessen Zustimmung zu regieren.“ (Abraham Lincoln )
Aber in welchen Unternehmen gibt es die Voraussetzungen für solch hohes Vertrauen?
„Wüsste ich, wie Vertrauen entsteht, wäre ich King.“ (Berliner Politiker, in einer TV-Talkshow. Anonym gehalten, weil seine Kollegen wohl auch rätseln.)
Diejenigen aufzuklären, die dies Vertrauen nutzen können, wie sie das tun können, wie sie sich eine „Oase des Miteinander in einem Ozean des Gegeneinander“ schaffen und bewahren, das ist mein Geschäft.
Ciao
Wolfgang Horn, AknF
„Hallo Herr Schenkel,
Projektmanagement soll – zumindest im Bereich der Privatwirtschaft – helfen sehr konkrete Projektziele zu erreichen. Weder Kunst noch Wissenschaft sind hier wirkliche hilfreiche Alternativen. Gefragt ist solides Handwerk für ein ergebnisorientiertes Vorgehen.
Viele Grüße aus Unterföhring“
Natürlich, Herr Schopka,
aber das Kriegshandwerk ist auch eines.
Worte bewirken nichts, Gedanken noch viel weniger. Erst der Hände Arbeit hat Wirkung. Ob im Mit- oder im Gegeneinander.
Ciao
Wolfgang Horn
„ex unitate vires!“
Wenn Handwerk eine Kunst ist, ist Projektmanagement sicherlich in Teilen eine Kunst, die man erlernen kann. Wobei die Erwartung an die kreative Leistung eines Projektteams aus unserer Sicht oft zu kurz kommt, um diesen Teil von „Kunst“ zu beleuchten (siehe auch http://blog.projektmensch.com/2011/08/25/was-muss-die-projektleitung-leisten-kreativitat-als-dritte-dimension-im-projektmanagement/).
Allerdings ist Projektmanagement auch eine Haltung, eine bestimmte Art, Dinge anzugehen, eine innere Einstellung. In diesem Punkt wird es dann besonders spannend. Wenn Projektmanagement Wissenschaft wird, dann leidet leider oft die Praxis. Und zu guter Letzt lebt Projektmanagement von der praktischen Anwendung, nicht vom Diskurs.
Herzliche Grüße!