Klassisch und agil – eine explosive Mischung?
“Viel hilft viel”, hat früher immer mein Chemielehrer gesagt. Seine Experimente waren nicht umsonst äußerst unterhaltsam und haben manch andere Lehrer erschreckt. Vielleicht hat es deswegen zu meinen Lieblingsfächern gezählt.
Auch im Projektmanagement gibt es zwei Elemente, die auf den ersten Blick eine explosive Mischung ergeben könnten: die klassische Vorgehensweise und die agile. Weil die Welt selten schwarz oder weiß ist, müssen beide manchmal trotzdem zueinander geführt werden. Zwar entsteht dadurch keine chemische Reaktion oder gar Explosion, womöglich aber rauchende Köpfe und erhitzte Gemüter. Die Mindsets können sich jedoch vertragen und das sehr gut. Warum das so ist und wie Sie die Vorteile von beiden nutzen können, ist Thema des heutigen Blog-Beitrags.
Die zwei Stoffe: Klassisch und agil
Warum kommt es eigentlich zu dem (Trug-)schluss, dass sich beide schwer miteinander mischen ließen? Nun, auf der einen Seite haben wir die Klassiker. Sie erheben in der Regel zu Anfang des neuen Projekts die Anforderungen und planen die gesamte Umsetzung detailliert mithilfe eines Gantt-Diagramms, Aktivitäten, Arbeitspaketen und Meilensteinen. Um die Anforderungen umzusetzen, schrauben sie lieber an den Terminen oder ihren Kosten, als den definierten Projektumfang zu hinterfragen. Auf Veränderungen flexibel zu reagieren, fällt ihnen schwer, und ihre produzierten Ergebnisse stellen häufig die Stakeholder nicht zufrieden.
Genau deshalb ist die „Gegenbewegung“ der Agilen entstanden. Sie akzeptieren, dass sich Anforderungen immer wieder ändern, weil sich die Ziele und Wünsche der Stakeholder immer wieder ändern oder unvorhersehbare Ereignisse auftreten, auf die sie schnell reagieren müssen. Daher arbeiten sie mit Backlogs, in denen sie die Anforderungen sammeln, regelmäßig neu priorisieren und schätzen. Die Agilen planen in kurzen Implementierungsintervallen, die häufig eine feste Dauer haben, wie z.B. zweiwöchige Sprints in Scrum; und für die sie erst kurz vorher die umzusetzenden Anforderungen festlegen. Definierte Termine wie Releases oder der geplante Mitarbeitereinsatz bleiben jedoch fix – daran lässt sich nicht rütteln.
Es stehen sich also eine plangetriebene Vorgehensweise und eine (Geschäfts-)wertgesteuerte Vorgehensweise gegenüber. Diese Idee ist Ihnen vielleicht durch das sogenannte Magische Dreieck bekannt [1].
Das Magische Dreieck wird von den Agilen auf den Kopf gestellt.
Soweit die Theorie. Dass es in der Praxis in den jeweiligen Vorgehensweisen anders laufen kann, steht außer Frage. Dass in der Praxis aber auch häufig in einem traditionellen Umfeld der Satz fällt “Wir müssen agil werden!”, ist ebenso bekannt. Schließlich liegt der größte Vorteil auf der Hand: Flexibel auf Veränderungen am Projektumfang reagieren. Ein direkter Umstieg auf eine agile Entwicklung ist in vielen Unternehmen jedoch mit erheblichem Aufwand verbunden: Zu groß das Unternehmen, zu schwer die Prozesse, zu eingeschnürt das Umfeld. Und selbst wenn man diesen Knoten aus Regeln und Vorgaben lösen will, muss für jeden konkreten Fall geprüft werden, ob es überhaupt Sinn macht. Prozesse, Rollen und Workflows sind in vielen Branchen notwendig, denn sie erhöhen die Qualität und geben den Mitarbeitern Sicherheit. Wie also vorgehen? Richtig: Man mischt die Vorteile beider Mindsets zusammen und erhält als Ergebnis eine hybride Vorgehensweise.
Das Ergebnis: das hybride Projekt
Diese Mischung sieht beispielsweise wie folgt aus:
Innerhalb der einzelnen Teams arbeiten Sie agil, während Sie gleichzeitig die durch die Unternehmensprozesse definierten Vorgaben einhalten. Zu diesen Vorgaben zählt z.B. die Erstellung spezieller Dokumente, die Ermöglichung der klassischen Projektkontrolle durch ein Gantt-Diagramm oder die Lieferung von Kennzahlen, die die Agilen durch kein Burn-Down- oder Burn-Up-Chart erhalten – z.B. die Kosten- und Zeiteffizienz des Projekts. Gut, die Dokumente lassen sich irgendwie erstellen. Aber ein Gantt-Diagramm in der agilen Entwicklung? Geht das? Und wie sollen Sie die gewünschten Kennzahlen liefern?
So viele Fragen und doch ist es eigentlich ganz einfach: Sie behandeln Implementierungsintervalle wie Sprints und Releases als Aktivitäten, die Sie in das Gantt-Diagramm integrieren. Ihre Anforderungen planen und priorisieren Sie weiterhin mithilfe von Backlogs. Und diese Backlogs verbinden Sie nun mit den Sprint- und Release-Aktivitäten. Weiterhin können Sie Kontrollflüsse zwischen “normalen” Aktivitäten und Sprints und Releases herstellen, sodass Sie nachvollziehen können, wie sich Verzögerungen auf den Projektplan auswirken.
Hier sehen Sie, wie ich Release- und Sprint-Aktivitäten farblich hinterlegt und dem Team Berlin Sprint 1.1 ein Backlog zugeordnet habe.
Die Backlog-Sicht: Anforderungen der Releases den Teams zuteilen und priorisieren.
Es lässt sich nun auch ohne Probleme das Projekt sowohl agil als auch klassisch kontrollieren. Burn-Down- und Burn-Up-Charts können Sie nach wie vor für die Sprints und Releases erzeugen. Durch die Arbeit mit Aktivitäten ist außerdem die Earned Value Analyse möglich – ein Mittel bekannt aus dem klassischen Projektmanagement. Sie rechnen dann einfach mit den Plan- und Ist-Aufwänden der Anforderungen, anstatt mit einem prozentualen Fortschritt der Aktivitäten. Falls dieser Satz merkwürdig klingt, lesen Sie sich gern einmal unsere Wissensseite zur EVA (wie wir sie hier liebevoll nennen) durch. Und schon wissen Sie in Ihren hybriden Projekten auf einen Blick: die Kosteneffizienz liegt bei 0,5 – Sie haben also aktuell doppelt so hohe Kosten wie geplant.
Die klassische Earned Value Analyse ist auch in hybriden Projekten möglich.
Fazit
Sie sehen also: Gänzlich zerstörende Explosionen müssen durch eine Mischung zweier vermeintlich gegensätzlicher Stoffe gar nicht entstehen – auch nicht im Projektmanagement. Die hybride Mischung bewährt sich für alle, die die Vorteile der agilen Vorgehensweise für ihre Teams nutzen wollen und gleichzeitig die Anforderungen, die ihnen ihr klassischen Umfeld vorgibt, einhalten müssen.
Ich lade Sie ein, einen praktischen Ausflug in solche Projekte zu unternehmen und sich die kostenlose Testversion von objectiF RPM herunterzuladen, unserer Application Lifecycle Management-Lösung. Dort finden Sie alle hier vorgestellten Vorteile der hybriden Vorgehensweise. Denn die Mischung macht’s!
Hinweise:
[1] : Was ist agiles Projektmanagement? microTOOL Wissen online
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