Konflikte in Projekten mit Wahrnehmungspositionen beseitigen
Eine der Ursachen für Fehlschläge in Projekten sind Konflikte mit Team-Mitgliedern oder anderen Stakeholdern. In meinem Gastartikel vom 10. November 2014 hatte ich über Wahrnehmungsfilter geschrieben und wie damit verbundene Kommunikationsfallen vermieden werden können. Im vorliegenden Artikel beschreibe ich eine Möglichkeit wie durch die Einnahme verschiedener Wahrnehmungspositionen Konflikte – beispielsweise mit Stakeholdern – bearbeitet, aufgelöst oder sogar im Vorfeld vermieden werden können.
Klassische Ursache von Konflikten sind in der Regel mindestens zwei unterschiedliche Positionen, typischerweise zwischen mindestens zwei verschiedenen Personen oder Personengruppen. Man spricht daher von interpersonellen Konflikten (die intrapersonellen Konflikte, die auf zwei verschiedenen Positionen innerhalb einer einzigen Person beruhen, seien hier mal ignoriert).

Unterschiedliche Positionen und interpersonelle Konflikte
Der Umgang mit diesen unterschiedlichen Positionen und die Lösung eines resultierenden Konflikts kann je nach Schwere des Konflikts durch dritte Personen bewältigt werden. Der Konflikt und seine Lösung wird damit auf die eine oder andere Art und Weise an diese dritte Person(en) delegiert, sei es durch Entscheidungsgewalt bzw. Machteinsatz, Moderation oder Mediation. Je nach Szenario kann es jedoch sein, dass diese dritte (hoffentlich unabhängige) Instanz nicht existiert oder aus unterschiedlichen Gründen nicht verfügbar ist. Trotzdem kann auch in diesen Fällen der Beitrag einer dritten Instanz, wenn auch nicht physischen Person, zu Rate gezogen werden. Aus diesem Grund läuft das vorgestellte Format bzw. Werkzeug in NLP-Kreisen (Neuro-Linguistisches Programmieren) unter der Überschrift „drei Wahrnehmungspositionen“.
Die drei Wahrnehmungspositionen
Die ersten beiden Positionen sind die der beiden Konfliktparteien, seien es einzelne Personen oder Personengruppen. Das Besondere an dem Werkzeug ist jedoch, dass auch hier nur eine der Parteien physisch und wissentliche beteiligt ist. Die andere Partei hat keine Kenntnis von den Vorgängen. Der Grundgedanke des Werkzeugs besteht darin, dass die Position der anderen Partei willentlich eingenommen wird, um auf diesem Weg auch deren Wahrnehmung einer Situation zu erleben. Dazu gehört, dass das Einnehmen der anderen Position auch durch eine räumliche Veränderung realisiert wird. Im einfachsten Fall kann das durch zwei sich gegenüberstehende Stühle passieren. Einer dieser beiden Stühle entspricht dabei der eigenen Position, der andere der der anderen, opponierenden Position.
Begonnen wird dabei mit der eigenen Position und der Schilderung der hier selbst erlebten Wahrnehmung der betreffenden Position. Idealerweise wird das Werkzeug durch eine weitere Rolle unterstützt (nicht die namensgebende dritte Position, die weiter unten beschrieben wird), die jedoch selbst keine eigenen Beiträge einbringt – auch nicht die Rolle eines Moderators oder Mediator – sondern nur dafür sorgt, dass das Einnehmen der unterschiedlichen Positionen und die damit verbundenen Wahrnehmungen sauber getrennt werden.
Durch das aktive und räumlich getrennte Einnehmen der anderen Position und das Wahrnehmen und Betrachten der fraglichen Situation kommt es auf gewisse Weise zur Identifikation mit der anderen Position und man beginnt diese Situation („die Welt“) mit den Augen des anderen zu sehen und Verständnis (nicht notwendigerweise Billigung) für die andere Position zu entwickeln. Dieser Ablauf kann von der externen Person durch geeignete, Reflektion auslösende Fragen gefördert werden. Mögliche Fragestellungen beziehen sich sowohl in der eigenen als auch der anderen Position auf das Umfeld der Situation, das jeweilige Verhalten, die verknüpften Fähigkeiten, Absichten und Werte, sowie Identität, Selbstbild und Zugehörigkeit.
Die dritte (virtuelle) Wahrnehmungsposition ist dann die Rolle eines unabhängigen Beobachter der fraglichen Situation. In dieser Position finden sowohl die Beobachtung der eigenen Rolle wie auch der des Gegenübers statt, um auf diesem Weg zusätzliche Eindrücke der Beteiligten wie auch der Situation zu gewinnen. Dadurch entstehen oft neue Handlungsoptionen, die zur Auflösung oder im Vorfeld zur Vermeidung eines Konflikts führen können.
Ein wichtiger Bestandteil des Formats ist das laute Denken, das dann von der Begleitungsrolle gegebenenfalls aufgenommen und auch wiederholt werden kann, um neue Impulse zu setzen bzw. diese zu verstärken.
Die Wiederholung führt zum Erfolg
Die drei Wahrnehmungspositionen werden in der Regel mehrfach durchlaufen, weil sich durch die geschilderten Wahrnehmungen in der zweiten und dritten Position und die damit verbundenen Rückkopplungen Dynamiken ergeben, die den Ball in der sprichwörtlichen Bewegung halten. Der Zyklus wird so lange fortgesetzt, bis die „Beteiligten“ den konsistenten Eindruck schildern, dass neue Lösungen und Handlungsansätze entstanden sind, die in der Realität getestet werden können. Dabei kann auch dieser Realitätstest in einem weiteren Durchlauf vorgenommen werden.
Aus den unterschiedlichen Wahrnehmungsschilderungen lassen sich in weiteren Durchläufen auch unterschiedliche Bedeutungsgebungen ableiten, die ebenfalls in die verschiedenen Positionen gekoppelt sind. Diese Bedeutungsgebungen können dann gegebenenfalls durch die unterschiedlichen Kontexte der einzelnen Positionen reflektiert, verändert bzw. zumindest neu bewertet werden.
Mögliche Einsatzgebiete der drei Wahrnehmungspositionen sind real auftretende Konflikte, retrospektive Betrachtungen am Projektende ebenso wie die Konfliktvorbeugung und -vermeidung zu Beginn oder im Verlauf eines Projekts, speziell im Umfeld des Stakeholder- und Risiko-Managements. Weitere Informationen finden Sie unter http://www.geemco.de/artikel/wahrnehmungspositionen-stakeholder-konflikte/ und den dort verlinkten Seiten.
Um in komplexeren (Konflikt-) Situationen neue Einsichten zu gewinnen, lassen sich auch systemische Organisationsaufstellungen nutzen. Diese sind dann zwar durch die notwendigen Stellvertreterrollen aufwändiger, können jedoch auch impersonell (Gegenstände, Figuren und ähnliches) realisiert werden. In diesem Fall, insbesondere bei menschlichen Stellvertretern ist eine professionelle Begleitung ratsam.
Hinweis:
Weitere Informationen zu Wahrnehmungspositionen finden Sie unter http://www.geemco.de/artikel/kvp-eine-frage-der-veraenderung/
Das könnte Sie auch interessieren:
Das X und Y in der Teamarbeit
Die Formulierungen im Gastbeitrag provozieren Widerspruch. Es scheint der Eindruck vermittelt zu werden, dass ein Mediator eine dritte Entscheidungs- / Machtinstanz sei, die die Konflikte für die Konfliktparteien löst. Dies ist aus meiner Sicht höchst problematisch, denn genau das ist nicht die Aufgabe eines Mediators. Ein Mediator bewältigt keine Konflikte sondern unterstützt die Medianten bei dem Prozess einer möglichen Konfliktbearbeitung und dem Finden eine Lösung. Die „Aufgabe“, den Konflikt lösen zu wollen und eine solche Lösung zu finden, bleibt Aufgabe der Medianten. Der Mediator, so wie ich ihn verstehe und praktiziere, unterstützt die Medianten dabei, wieder miteinander zu reden, einander zu verstehen / Meinungen zu respektieren, ohne dass der Mediator sie berät, Vorschläge unterbreitet oder Entscheidungen trifft. Er ist neutral, hinterfragt, ohne zu werten oder zu bewerten. Er wiederholt das Gesagte, um so zu ermöglichen, dass Meinungen, Standpunkte, Positionen und Interessen vom Gegenüber wieder wahrgenommen werden. Integrierten Mediation eine vollständige Konfliktlösung. Sie hat alle Parteien und alle Möglichkeiten einer konstruktiven Konfliktbeilegung im Sinn und kann die gesamte Komplexität einer Fall- oder Problemstellung erfassen.
Vielen Dank für Ihren Kommentar, Herr Semmling. Sie haben völlig Recht mit der Rolle eines Mediators. Möglicherweise hat die etwas vereinfachte Aufzählung im Absatz unter dem Bild Ihren Widerspruch ausgelöst. Um mögliche weitere Missverständnisse zu vermeiden: An dem beschriebenen Formal ist KEINE Mediator-Rolle beteiligt. Wie beschrieben, hat die Coach-Rolle nur die Aufgabe die drei Wahrnehmungspositionen – die nacheinander vom Coachee selbst eingenommen werden – sauber zu trennen und ggf. durch Fragen Reflektionen zu initiieren.
Sehr spannende Frage!
Ich sehe nicht, dass ein Mediator Macht haben sollte. Er muss jedoch Rechte haben.
Für mich ist immer das Recht sehr wichtig, als Außenstehender „dumme Fragen“ stellen zu dürfen. Das Recht zu haben, etwas noch nicht verstanden zu haben. Das Recht zu haben, erklären zu können, was ich verstanden habe, mit dem Anspruch, korrigiert zu werden.
Ich denke aber, dass es in den meisten Projektsituationen eines zusätzlichen Schrittes bedarf, bevor in der Mediation die drei Wahrnehmungspositionen eingenommen werden.
Ich erlebe es immer wieder, dass unterschiedliche Positionen ihre Ursache in der Komplexität und Abstraktheit der Projektthemen haben, mit denen wir konfrontiert werden. Jeder macht sich sein Bild im Kopf und diese Bilder sind in unserer komplexen Welt schnell unterschiedlich. Es entstehen Konflikte, weil man das Bild des anderen nicht nachvollziehen kann (Noch gefährlicher ist Einigkeit dort, wo man eigentlich unterschiedliche Meinungen diskutieren müsste!)
Erst dadurch, dass ich mir als neutraler Dritter die verschiedenen Perspektiven erklären lasse und mein Verständnis von beiden Parteien akzeptiert wird, kommen die Parteien in die Lage, andere Wahrnehmungspositionen auch einzunehmen. Vorher sind Sie dazu nicht in der Lage, da sie das Weltbild der anderen Partei nicht verstehen können.
Das funktioniert allerdings nur dann, wenn ich als „Vermittler“ in der Lage bin, beide Weltbilder zu verstehen und verständlich wieder zu geben. Ich brauche also Sachverstand. Den Sachverstand brauche ich nicht für die Mediation, dort kann er sogar hinderlich sein. Ich brauche den Sachverstand, eine schnelle Auffassungsgabe und ein hohes Abstraktionsvermögen nur um den Parteien die Möglichkeit zu schaffen, die gegenseitigen Weltbilder zu verstehen. Häufig reicht dies schon aus, um einen Konflikt zu lösen.
Wenn nicht, dann hilft nur noch die Mediation, bei der ich wiederum den Sachverstand außen vorlassen muss damit ich nicht zu „Richter“ werde. Da dieser Switch nicht ganz einfach ist, macht es schon mal Sinn zu zweit zu arbeiten: ein „Klärer“ und ein Mediator.
Viele Grüße, Andreas Bungert
Vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar, Herr Bungert.
Das Format der Drei-Wahrnehmungspositionen könnte auch als Ansatz zur Selbstmediation bezeichnet werden. Für die 3WP ebenso wie die Mediation braucht es m.E. die grundsätzliche Bereitschaft, sich auch die anderen Positionen „anzusehen“ und den Konflikt konstruktiv zu lösen. Durch das aktive Einnehmen der anderen Positionen kann es bei diesem Format zu erstaunlichen Entwicklungen kommen, die in der Regel damit beginnen, dass durchaus Verständnis für die andere Position entsteht, ohne dass wirklich eine zweite bzw. dritte Person beteiligt ist. Das interessante an dem Format ist dabei, dass es ausreicht, wenn nur eine Partei bereit ist, an einem Konflikt zu arbeiten. Die andere Partei braucht davon überhaupt nichts zu wissen. Oft erklärt sich bei dem Format die eine teilnehmende Partei die Position der anderen Partei, ohne dass diese beteiligt ist. Die dadurch entstehende Offenheit, Veränderung und andere Haltung bleibt dann wiederum nicht ohne Wirkung bei der anderen Partei.
Davon abgesehen, stimmte ich Ihnen über die Ursachen von (Projekt-)Konflikten und die Vorteile fehlenden Sachverstands eines Dritten völlig zu. Oft spielen sich Konflikte auch nur vermeintlich auf der Sachebene ab, haben jedoch ihre Ursachen auf der Beziehungsebene oder werden dort ausgetragen, unabhängig von der „technischen“ Komplexität oder Abstraktheit einer Situation (in einem Projekt). Ebenso haben Verständnisfragen einer dritten Person dann auch die von Ihnen beschriebenen hilfreichen Auswirkungen auf die eigene Erkenntnis und das Gesamtverständnis einer Situation.
Grundsätzlich gibt immer mehr als eine Lösung – auf der inhaltlichen Ebene wie auch beim Lösungsweg :-)
Ein guter Mediator muss sich um „Macht“ keine Gedanken machen. Die Befähigung, gut zu lenken, definiert sich meiner Meinung bereits im Vorfeld, bei der Projektdefinition, bei der Mitarbeiter-Auswahl.
Wenn, dann sind hierbei die Rechte und Befugnisse des Projektleiters, Mediators etc. entscheidend. Wird diese Vorauswahl gut abgestimmt, gelingt es meiner Erfahrung nach recht gut, den Spagat zwichen Konfliktparteien zu lenken. Zu lenken; aber nicht zu steuern – denn Steuerung bedeutet ggf. Verluste von Ideen, Power, Dynamik. Eine gezielte Steuerung kann die unterschiedlichen Antriebe bündeln und kanalysieren – und damit potenzieren.
Diese Kunst liegt weniger an Macht oder Recht, sondern ist entscheidend von der richtigen Vor-Auswahl eines konfliktlösungsorientierten Moderators abhängig. Ich persönlich sehe das Problem eher darin, dass eben nicht die am Besten geeigneten Mediatoren eingesetzt werden, sondern gerne mal diejenigen, die eben daraus „Macht“ gewinnen möchten.
Natürlich ist es schön für einen Projektleiter, sich seine Teammitglieder (selbst) aussuchen zu können. Die gelebte Realität ist in meiner Erfahrung allerdings leider viel zu oft eine andere. Die Auswahl bzw. Zuordnung der Teammitglieder kann dabei auch eine Ursache von Konflikten sein. Bspw. zwischen konkurrierenden Projekten und/oder zwischen Projekt- und Linienorganisation. Machtorientierte Mediatoren haben natürlich die Aufgabe völlig missverstanden.
Hallo Herr Müller,
Sie haben – leider – durchaus nicht unrecht. Oft werden Projektmitarbeiter „freigestellt“, auf die man – sagen wir mal – verzichten kann. Das muss nicht immer die beste Wahl sein.
Aber ich halte es eben auch für die Pflicht der Projektmanager – also insbesondere Auftraggeber und Projektleiter – bereits diese Auswahl als entscheidendes Instrument zu benennen. Meine Erfahrung zeigte mir bisher recht gute Ergebnisse. Die Widerstände klingen am Anfang gern mal an – die Erläuterung, dass das Projekt selbst entscheidend von den Mitgliedern abhängig ist und andernfalls ggf. Verzögerungen, höhere Kosten oder sogar niedrigere qualititative Umsetzung zu befürchten sein könnten (niemals: müssen!), zieht aber im Regelfall eindeutig.
Kein leichter Weg; aber eine grundlegende Aufgabenstellung in der Projektfindungs-/Planungsphase. Ein Projekt kennzeichnet sich doch in erster Linie auch durch Offenheit ggü. Neuem.
Ich sehe es als erste Aufgabe eines im Projektverlauf „guten“ Mediators an, rechtzeitig die Weichen zu stellen.
Gelingt dies einmal dennoch nicht, musste ich feststellen, bleibt nur der aufwändigere Weg, ständig ausgleichend zu wirken.
Richtig, Herr Westermair. Das Aufzeigen der Konsequenzen von suboptimalen Teams ist eine wichtige Aufgabe eines PM/PL. Speziell im Bereich der Software-Entwicklung gibt es ja erhebliche Leistungsunterschiede, die durchaus mal den Faktor 10 haben können. Leider kommt es, speziell bei noch unerfahrenen PL oder Lenkungskreisen/Auftraggebern, die ihre Aufgabe nicht ganz verstanden haben, dazu, dass Aufwandsabschätzungen verhandelt werden. Das ist in meiner Erfahrung ein häufiger Grund von Projekt-Fehlschlägen, wenn Kostenüberschreitungen als Kriterien dazu herangezogen werden.