Mehr Kreativität ins Team? Vergiss Brainstorming!
Montagmorgen: Meeting der Projektmanager, danach Teammeeting. Dienstag IT-Meeting, mittwochs Lenkungsausschuss, donnerstags die Online-Redaktion … Kommt Ihnen bekannt vor? Sie sind nicht allein. Nach breiter Einschätzung gibt es im Projektalltag viel zu viele Meetings – und zu viele Meetings bringen nicht die gewünschten Ergebnisse. Was viele Menschen aus eigener leidlicher Erfahrung längst wissen, wird auch durch Studienergebnisse belegt: Meetings sind oft ineffektiv, wenn nicht sogar überflüssig. Allein in den USA werden täglich 11 Millionen Meetings abgehalten. Führungskräfte verbringen knapp 100 Stunden pro Monat in Meetings, von denen sie aber nur 56 Prozent als produktiv einschätzen – eine Ressourcenverschwendung, die mit über 37 Milliarden Dollar jährlich beziffert wird.¹
Bei vielen solcher Besprechungen wäre es vielleicht am besten, sie würden gar nicht stattfinden. Natürlich gibt es aber auch eine Menge Meetings, die durchaus sinnvoll sind, zum Beispiel solche, bei denen es darum geht, Lösungsansätze für konkrete Probleme zu finden oder Ideen im Team zu entwickeln. Aber auch solche Kreativmeetings sind oft nicht effektiv. In diesem Beitrag gibt es konkrete Tipps, um solche Meetings effektiver zu machen.
Brainstorming: Gut gemeint ist nicht gut gemacht
Wenige Methoden sind im Alltag so etabliert und selbstverständlich wie das Brainstorming. Der „Vater“ des Brainstormings, der Werbefachmann Axel F. Osborn, der die Methode ab 1939 beschrieb und den Namen prägte, hatte beobachtet, dass die Produktivität von Gruppen in der Ideenfindung durch die Bewertung der Ideen zu einem frühen Zeitpunkt behindert war.² Osborn beschrieb die „brainstorming session“ als Methode, um eine Ideenliste zu erarbeiten, die später bewertet und weiter verwendet werden kann. Gruppenbrainstorming sah er zudem als Ergänzung zu den Ideen von Einzelpersonen, nicht als Ersatz.
Die Idee des Brainstormings ist gut. Der Ansatz nutzt Assoziationsketten, die Beteiligten bauen auf den Ideen anderer auf. Aber selbst wenn sich die Teilnehmer an die bekannten Regeln fürs Brainstorming halten, was häufig nicht passiert, sind diese klassischen Brainstormings oft kontraproduktiv.
Schon 1958 legten die Ergebnisse einer Studie von Taylor, Berry & Block³ nahe, dass Einzelpersonen, die die Brainstorming-Technik allein anwandten, mehr Ideen sammelten als Gruppen. Nachfolgende Studien sind später immer wieder zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Wenn man sich ansieht, wie Brainstorming in den meisten Unternehmen durchgeführt wird, dann wird auch schnell klar, warum das nicht funktionieren kann. Meistens läuft es nämlich so ab:
Einer steht am Flipchart – häufig der Chef. Er fordert die anderen auf, ihm Ideen zu zurufen.
Was passiert?
- Wer am Flipchart steht, fungiert als Filter. Wenn es viele Zurufe gibt, kann es sein, dass die eine oder andere Idee nicht aufgeschrieben wird. Ob das bewusst passiert, weil sie dem Menschen am Flipchart nicht passt, oder unbewusst, ist im Ergebnis ganz egal.
- Auch das, was aufgeschrieben wird, hat eine Filterfunktion. Der Mensch am Flipchart paraphrasiert, er schreibt einen Zuruf so auf, wie er ihn versteht oder verstehen will.
- In solchen Situationen kommen in der Regel die Menschen zu Wort, die auch sonst eher extrovertiert sind. Introvertierte trauen sich nicht, sich in einer größeren Runde zu Wort zu melden, oder halten sich bewusst zurück.
- Manche Menschen können sich nicht oder schlecht konzentrieren, wenn andere dazwischenreden.
- Menschen, die schnell denken und das Wort ergreifen, sind bevorzugt – langsame, die vielleicht sogar eher tiefgreifende Ideen haben, kommen nicht zum Zug.
Im Ergebnis werden viele gute Ideen niemals auf ein Flipchart geschrieben. Sie bleiben in den Köpfen der von den vielen Meetings genervten Menschen. Die gute Nachricht ist: Es gibt Alternativen, von denen ich zwei im Folgenden beschreibe – Brainwriting 635 und Braindumping.
Brainwriting 635
Die 6-3-5-Methode (oft einfach „Brainwriting“ genannt) ist eine verbesserte Version des Brainstormings. Im Gegensatz zum Brainstorming läuft sie vollkommen still ab. Die Teilnehmer schreiben bzw. skizzieren ihre Ideen auf ein Blatt Papier.
Die Methode kann sehr schnell und effizient sein und in wenigen Minuten mehr als 100 Ideen hervorbringen. Das gewisse Maß an Anonymität unterstützt besonders ausgefallene Ideen; eher zurückhaltende Teilnehmer können sich genauso einbringen wie extrovertierte Teilnehmer.
Die Bezeichnung 6-3-5 resultiert aus der ursprünglich von Bernd Rohrbach 1986 formulierten Standardanwendung und steht für sechs Teilnehmer, drei Ideen und fünf Wechsel.
Ablauf:
- Die Teilnehmer sitzen an einem Tisch und werden in die Aufgabenstellung eingeführt. Jeder Teilnehmer erhält ein vorbereitetes A4-Blatt mit der Aufgabenstellung und sechs Zeilen mit je drei Spalten, also 18 Feldern. In die oberste Zeile tragen die Teilnehmer je drei erste Ideen ein.
- Dann werden die Blätter eingesammelt, gemischt (Anonymität!) und neu verteilt. Die Teilnehmer fügen je weitere drei Ideen hinzu – entweder aufbauend auf dem, was bereits auf dem Zettel steht, oder ganz neue Ideen.
- Insgesamt werden die Zettel fünf mal weitergegeben.
- Nach Abschluss eines Durchgangs können so bis zu sechs mal 18, also 108 Ideen zusammengekommen sein.
- Anschließend werden die Blätter nochmals verteilt, und jeder Teilnehmer überträgt die besten zwei bis fünf Ideen auf Haftnotizen , die dann an einem Whiteboard präsentiert und diskutiert werden können.
Beispiel einer Ideensammlung für ein Seminar-Handout mit der 6-3-5-Methode
Die Methode ist gut geeignet für Gruppen von sechs bis zwölf Teilnehmern, lässt sich aber auch mit mehr oder weniger Teilnehmern durchführen.
Braindumping
Diese Methode setzen wir am liebsten in Workshops und Seminaren aber auch in unseren internen Meetings ein. Sie kombiniert die Vorteile von Brainwriting und klassischem Brainstorming und ist dynamischer als die 635-Methode.
Dabei schreibt jeder Teilnehmer für sich allein in einer kurzen Zeitspanne so viele Ideen wie möglich auf bunte Haftnotizen. Dieses Abladen von Ideen (to dump = abladen) ermöglicht den Teilnehmern, sich auf die eigenen Gedanken zu konzentrieren und alle Ideen ungestört zu erfassen, was insbesondere den sonst eher reservierteren Teilnehmern entgegenkommt.
Ablauf:
- Jeder Teilnehmer nimmt einen Stift und Haftnotizen und schreibt in einer vorgegeben Zeit – meist zwei oder drei Minuten – so viele Ideen und Vorschläge wie möglich auf.
- Pro Idee wird eine Haftnotiz verwendet.
- Anschließend stellen sich die Teilnehmer ihre Ideen gegenseitig vor und kleben die Haftnotizen auf ein Flipchart oder ein Whiteboard. Oft entstehen während der Präsentation weitere Ideen. Diese können ebenfalls auf Haftnotizen geschrieben und ergänzt werden.
- Die Haftnotizen haben den Vorteil, dass das anschließende Ordnen und Bündeln der Ideen einfacher und schneller geht.
Braindumping Session: Jeder schreibt seine Ideen auf
Braindumping Session: Nach 15 Minuten ist das Whiteboard gefüllt mit vielen Ideen.
Technik allein reicht nicht
Die Technik allein macht es nicht. Auch wenn unterschiedliche Methoden dabei Kreativität anregen und Denkhürden überwinden hilft, braucht es einer grundsätzlichen Kultur, die Kreativität und Innovation fördert bzw. überhaupt erst möglich macht. Dazu gehört die gegenseitige Wertschätzung der Teilnehmer über alle Hierarchie-Ebenen. Und dazu gehört eine Fehlerkultur, ohne die etwas wirklich Neues erst gar nicht entstehen kann. Das gilt nicht unbedingt für Routine-Aufgaben. Bei einem Piloten im Landeanflug finde ich eine Null-Fehler-Strategie erstrebenswert. Sobald es aber um die Entwicklung von neuem geht, um das Verlassen eingefahrener Wege; darum, in die Zukunft zu blicken, ist es unvermeidlich Fehler zu machen. Wenn im Kreativmeeting verrückte oder auf den ersten Sinn unsinnige Ideen sanktioniert werden, wird sich irgendwann keiner mehr trauen, out-of-the-box zu denken. Ideen bauen aufeinander auf und manchmal ist eine schlechte Idee die Basis für eine wirklich gute.
Regelplakat für eine neue Innovationskultur im Meeting
Wir verwenden in unseren Workshops und Seminaren ein Plakat mit Regeln, die für eine solche Innovationskultur sorgen und haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
Hinweise:
[1] http://www.athenahealth.com/leadership-forum/the-hidden-costs-and-consequences-of-bad-meetings
Ähnliche Ergebnisse („Rund 15 Prozent der Arbeitszeit der gesamten Belegschaft entfallen auf Meetings“) finden Sie auch unter http://www.bain.de/press/press-archive/your-scarcest-resource.aspx
[2] “How to Think Up!” von Alex Osborn, erschienen bei McGraw-Hill Book Company Inc., First Edition 1942, ASIN: B0007DR4EA
[3] Studie von D. W. Taylor, P. C. Berry & C. H. Block, erschienen 1958 im Administrative Science Quarterly, Ausgabe 6, Seiten 22-47
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