Moderation: Auf Augenhöhe mit dem Alphatier
Neulich begegneten wir mal wieder einer Workshopteilnehmerin der ganz besonderen Art – nennen wir sie Tanja. Tanja sorgte schon in der Vorstellungsrunde für Wirbel. Sie sei nur hier, weil sie vorgeladen worden sei und sie halte sich für vollkommen fehl am Platz. Überhaupt sei die gesamte Veranstaltung unnötig! Tanjas Widerstand war auch sichtbar: Als einzige Teilnehmerin behielt sie ihre Jacke an. Wie mit einem Schutzanzug oder in einer Rüstung saß sie mit verschränkten Armen auf dem Stuhl. Jede ihrer Wortmeldungen war eine Anklage. Tanja drohte den gesamten Workshop zu sprengen.
Wie geht man in Workshops und Meetings mit mehr oder weniger offenem Widerstand um? Diese Frage stellen uns auch die Teilnehmer unserer Innovations-Seminare immer wieder.
Tanja nahm an einem Innovationsworkshop teil, den wir für die Marketingabteilung eines mittelständischen Unternehmens durchführten. Ganz im Sinne des user-zentrierten Innovationsansatzes wollte der Marketingleiter die Fachabteilungen des Hauses mit dem Workshop abholen und ihren Bedarf bei einer Neuausrichtung im Marketing erfahren. Ohne Moderator hätte der ganze Workshop scheitern können.
Aber auch ohne solchen offenen Widerstand ist die Rolle eines Moderators oder einer Moderatorin für den Erfolg von Meetings oder Workshops sehr wichtig. Moderierte Veranstaltungen laufen viel effizienter ab, erzielen bessere Ergebnisse und hinterlassen bei den Teilnehmern ein besseres Gefühl. Welche Aufgaben hat ein Moderator?
Widerstand im Meeting – Eine Aufgabe für Moderatoren
Struktur statt Inhalt
Der Moderator arbeitet nicht im Inhalt, er arbeitet an der Struktur der Veranstaltung: Damit ist der Moderator auch nicht dafür verantwortlich, dass ein bestimmtes Ergebnis erreicht wird. Seine Aufgabe ist es, eine Veranstaltung zu strukturieren – ganz egal ob es sich um eine Sitzung von einer Stunde oder einen mehrtägigen Workshop handelt. Er sorgt dafür, dass das Team arbeitsfähig ist, erkennt mögliche Hindernisse und räumt sie gegebenenfalls aus dem Weg.
Ziel und Zeit im Fokus
Der Moderator behält das Ziel der Veranstaltung im Auge und ist der Wächter über die Zeit. Viele unmoderierte Meetings laufen aus der Zeit. Oft wird zu einzelnen Tagesordnungspunkten viel zu lange diskutiert, sodass für andere wichtige Punkte dann keine Zeit mehr bleibt. Der Moderator sorgt deshalb dafür, dass die vorgesehene Zeit pro Thema eingehalten wird. Kann ein Thema in der vorgesehenen Zeit nicht erledigt werden, kann als Konsequenz ein separater Termin dafür vereinbart werden.
Tipp: Wenn Sie die zur Verfügung stehende Zeit für alle Anwesenden visualisieren, fördert das die Selbststeuerung der Gruppe und erleichtert dem Moderator die Arbeit. Dafür eignen sich zum Beispiel die Workshop-Uhren von Time Timer:
Das Wohl der Gruppe im Blick
Da der Moderator nicht inhaltlich in die Diskussion einsteigt, hat er viel Zeit für seine wichtigste Aufgabe: die Teilnehmer der Gruppe zu beobachten. Eine breite Wahrnehmung ist das allerwichtigste. Nur wer mit seiner Aufmerksamkeit bei der Gruppe und den einzelnen Teilnehmern ist, hat eine Chance, rechtzeitig zu erfassen, wenn es irgendwo hakt, wo genau Konflikte entstehen und Gefahr besteht, einen der Teilnehmer zu verlieren.
Nur durch aufmerksame Wahrnehmung hat der Moderator überhaupt die Chance zu intervenieren – je früher, desto größer ist seine Chance, das Problem zu lösen.
Wie lassen sich nun Konflikte in der Gruppe auflösen? Ein allgemeines Patentrezept dafür kann es leider nicht geben. Jede Gruppe, jeder Mensch und jede Situation ist anders. Wer als Moderator seine Wahrnehmung schärft und anhand von Äußerungen, Mimik und Körpersprache erkennt, dass bei einem Teilnehmer etwas im Argen liegt, kann reagieren und eine Intervention ausprobieren. Grundsätzlich gilt dabei: Wenn die Intervention nicht funktioniert, dann probieren Sie etwas anderes aus.
Halten Sie sich vor Augen, dass die Ursachen für das Verhalten eines Störers oder eines geistig abwesend Teilnehmers oft nicht im Thema oder gar bei Ihnen als Moderator, sondern in seiner Person selbst liegen. Menschen geben ihr Leben ja schließlich nicht am Eingang ab, wenn Sie einen Workshop besuchen. In unserer Ausbildung zum Innovationsmoderator machen wir dafür eigens Rollenspiele, damit die Moderatoren lernen, sich in die einzelnen Teilnehmer hineinzuversetzen. Das Ziel ist dabei immer, jeden einzelnen Teilnehmer bestmöglich zu unterstützen, damit die Gruppe gute Ergebnisse erzielen kann.
Auf Augenhöhe mit Alphatieren
Gerade wenn es um Innovation geht, sind heterogen zusammengesetzte Teams der Standard. Auch im Arbeitsalltag kann es hierarchieübergreifende Veranstaltungen geben. In solchen Konstellationen können einige Teilnehmer gehemmt und die Redeanteile dadurch sehr unterschiedlich verteilt sein. Auch in Workshops sind es eher die extrovertierten Menschen und Alphatiere, die das Wort führen. Das heißt aber nicht, dass die eher ruhigen und introvertierten nicht auch wichtige Beiträge beizusteuern hätten. Hier darf der Moderator für Augenhöhe sorgen. Konkret bedeutet das, die lauten, redegewandten Menschen ein wenig zu bremsen und den leisen Raum und Zeit zu geben, um sich zu artikulieren.
Die Bedeutung der richtigen Haltung
Ein weiterer wichtiger Faktor, der die Energie der Gruppe beeinflusst, ist die Haltung des Moderators. Sind Sie als Moderator davon überzeugt, dass jeder einzelne Teilnehmer, jede einzelne Teilnehmerin wertvoll ist – und strahlen Sie das auch aus! Ich verstehe die Moderation von Gruppenprozessen auch als einen Akt der Potenzialentfaltung. Um das Potential jedes Teilnehmers zu entdecken und stärken, müssen Sie zunächst von diesen Potenzialen überzeugt sein. Diese Haltung hat starke Auswirkungen auf Ihre unterbewussten Signale und Handlungen und überträgt sich auf die Gruppe. Das gleiche funktioniert natürlich auch umgekehrt: Wenn Sie davon überzeugt sind, von Idioten umgeben zu sein, werden Sie auch recht behalten.
Arbeitsteilung im Alltag
Gerade für kleinere Meetings steht oft kein externer Moderator zur Verfügung. Trotzdem ist es sinnvoll, auch hier eine Moderationsrolle zu besetzen. Der Moderator ist dann in einer Doppelrolle – als Teammitglied mit inhaltlicher Verantwortung und als Prozessverantwortlicher. Diese Doppelbelastung ist nicht wünschenswert, aber manchmal nicht zu vermeiden. Seien Sie sich der doppelten Rolle bewusst und artikulieren Sie gegenüber dem Team, wenn Sie die Moderatorenrolle verlassen und stärker inhaltlich einsteigen.
Mein Tipp: Lassen Sie die Moderationsrolle im Team immer wieder wechseln. Wenn jeder einmal in der Rolle des Moderators war, steigt die Bereitschaft, den Moderator in seiner Arbeit zu unterstützen, generell an.
Wie ging es nun mit Tanjas Widerstand weiter?
Zunächst hat der Moderator versucht, auf Tanja einzugehen und sie aktiv in die Gruppe zu integrieren. Er hat sie immer wieder aktiv angesprochen – ohne Erfolg. In der ersten Kaffeepause suchte er ein persönliches Gespräch unter vier Augen, um herauszufinden, was die Gründe für die Ablehnung sind und um sie vom Nutzen des Seminars zu überzeugen. Auch das führte nicht zum Erfolg. Wir haben uns dann im Moderationsteam abgesprochen und ein anderer Moderator nahm Tanja in der Mittagspause zur Seite. Er vermittelte ihr, dass er das Gefühl habe, dass sie sich sehr unwohl fühle in dem Workshop und dass sie offenbar glaubte, nichts beitragen zu können. Er und das Team würden nicht wollen, dass sie sich unwohl fühle und würden ihr daher freistellen, den Workshop zu verlassen, ohne dass sie dadurch negative Konsequenzen zu erwarten hätte. Damit hatte Tanja offensichtlich nicht gerechnet – nein, so sei es ja nun auch wieder nicht und sie hätte ja schon einiges gelernt! So ist es uns gelungen, ihre eigene Widerstandshaltung zu nutzen. Manche Menschen sind einfach immer dagegen – und nun ging sie in Widerstand zur Möglichkeit, den Workshop zu verlassen. Für den Rest des Tages war sie wesentlich besser integriert – am Schluss sogar ohne Jacke.
Hinweise:
Kostenlose Moderationstipps als Video: Wenn Sie mehr über das Thema Moderation und Innovation erfahren wollen, dann können Sie sich für ein kostenloses Videoseminar zum Thema Moderation anmelden, oder Sie werfen hier einen Blick auf unser viertägiges Seminar „Innovations Moderator“.
[1] Gruppen Time Timer von K2-Verlag GmbH, http://time-timer.de/
Es gibt kein Konzept, das über dem der Psychologie liegt. Wenn jemand negative Erfahrungen mit Marketing gemacht hat, ist es nicht einfach Ihn von Marktwirtschaft zu überzeugen. Welchem Menschenbild soll sich denn jemand unterwerfen, der in einem Matriach aufgewachsen ist? Man glaubt nicht, dass es dem Moderator ernst ist, und es Ihm wirklich um Tanjas Wohl geht. Könnte das so sein? Tanjas Problem liegt in Dimension 4. – wie soll sie Selbstvertrauen aufbauen?
Als Moderator gilt es abzuwägen zwischen dem Wohl der Gruppe (und damit ihrer Arbeitsfähigkeit) und dem Wohl des Einzelnen. Der Moderator ist primär der Gruppe verpflichtet. In obigem Beispiel wurde mehrfach versucht, Tanja zu integrieren und ‚abzuholen‘. Das hat viel Aufmerksamkeit und Energie von der Gruppe abgezogen. Darum muss der Moderator dann irgendwann zugunsten der Gruppe handeln und sollte das möglichst so machen, dass dabei auch ein ’schwieriger‘ Einzelner sein Gesicht wahren kann.
Super Artikel direkt aus dem Leben. „Tanja’s“ gibt es viele, sie zu erreichen ist eine Kunst. Sehr gut!
Danke, Mona!