New Work
Buzz-Word mit wenig Substanz oder inspirierender Kosmos?
Es kommt auf den Blickwinkel an. Wenn man „New Work“ googelt, könnte man meinen, die ganze Welt redet nur noch über neue Formen der Arbeit: Heute, am 12. Juni sind es 159 Millionen Treffer in 0,58 Sekunden. Nicht gerade wenig, würde ich sagen. Wenn man andererseits mal aus der New Work Selbstinszenierungs-Blase aussteigt, dann sieht die Welt schon ganz anders aus. In der Realität von Kleinst-, Klein und mittelständischen Unternehmen ist diese Begriffswelle noch längst nicht angekommen. New was? Wie, Gehälter werden transparent gemacht? Oder gar durch das Team selbst festgelegt? Oder die Chefs werden gewählt? Wo gibt es denn sowas?
Ein sinnvoller und konstruktiver Umgang mit der anstehenden Erneuerung der Arbeit liegt irgendwo zwischen der Szylla des Hypes und der Charibdis der Unkenntnis. Denn natürlich wird die anstehende große Automatisierungswelle auch all diejenigen treffen, die von Neuer Arbeit oder verwandten Begriffen wie Arbeiten 4.0, Agilität, Unternehmensdemokratie etc. noch nichts gehört haben. Nichtwissen verschont nicht vor wirtschaftlichen Veränderungen. Also wäre ein bisschen Aufklärung möglicherweise hilfreich. Dabei haben die neuen Arbeitskonzepte, egal wie sie heißen mögen, verschiedene Dimensionen. Hier ein kurzer Überblick, ohne den Hauch eines Anspruchs auf Vollständigkeit.
New Work: Individuelle Dimension
Es beginnt beim Einzelnen. Und zwar auf verschiedene Weisen. Mitarbeiter sind anders betroffen als Führungskräfte. Aber beide Seiten stehen vor nicht unerheblichen Herausforderungen: Neue Arbeit, New Work bedeutet immer eine mehr oder weniger starke Ermächtigung der Mitarbeiter, eigenverantwortlich zu arbeiten, bis zu einem bestimmten Grad Entscheidungen selber treffen zu dürfen – und irgendwann auch zu sollen. Das hat Konsequenzen für beide Seiten. Die Führungskräfte müssen lernen, loszulassen von einer top-down Steuerung, von kleinteiligen Vorgaben bis hin zum Mikromanagement täglicher Arbeit. Das erfordert ein nicht unerhebliches Maß an Vertrauen in die Kompetenzen und den guten Willen der Mitarbeiter. Das – natürlich – nicht immer belohnt werden wird. Umgekehrt bedeutet Selbstorganisation auf Seiten der Mitarbeiter, auch tatsächlich die neue Verantwortung anzunehmen; bereit zu sein, Fehler zu begehen und dafür gerade zu stehen. Und eben nicht mehr dem Chef die Verantwortung zuzuschieben.
Für beide Seiten bedeutet die Veränderung der Arbeitswelt einen deutlich anderen Umgang mit Planungen und den damit verbundenen Scheinsicherheiten. Psychologisch nennt sich das Unsicherheitstoleranz. Wenn sich Märkte immer schneller verändern und von heute auf morgen Geschäftszweige oder sogar ganze Geschäftsmodelle Schnee von gestern sind; wenn Kunden zunehmend schneller und öfter den Anbieter wechseln; wenn unvorhergesehen Wettbewerber aus dem Nichts auftauchen, dann braucht es die Fähigkeit, diese Unsicherheit auszuhalten und handlungsfähig zu bleiben.
Genauso wichtig ist für Führungskräfte und Mitarbeiter die Einsicht und innere Haltung, dass Kommunikation wichtiger wird, wenn Prozesse nicht mehr so strikt vorhanden sind, wie ehedem. Und dass es dann keinen Sinn mehr macht und völlig dysfunktional wäre, in alten top-down Strukturen und Kulturen weiter arbeiten zu wollen. Dazu gehört auch die Einsicht, dass Führung in solchen Umfeldern fluide wird: Heute in Führung, morgen Mitarbeiter, übermorgen wieder in Führung und so weiter.
New Work – wie gelingt der konstruktive Umgang mit Veränderungen?
New Work: Methodische Dimension
Das ist eine Krux an der ganzen Sache: Neue Arbeitsformen werden häufig reduziert auf selbstorganisierende und agile Methoden. Eine der bekanntesten dürfte zweifelsfrei Scrum sein. Es gibt keine prinzipiellen Probleme mit derartigen Methoden – außer der Vorstellung, dass die Einführung neuer „Tools“ ausreichend wäre. Wer nicht in diese Falle tappt, hat immer noch genügend zu lernen. Denn die Werkzeugkiste Neuer Arbeit ist durchaus anspruchsvoll und fordernd.
Es macht zum Beispiel einen fundamentalen Unterschied, ob in einem Unternehmen individuelle, variable Vergütungen Bestandteil des Gehaltssystems sind, die an ebensolche individuellen Zielvereinbarungen gebunden sind, oder ob es nur noch ein dreizehntes Monatsgehalt für alle gibt, wenn die zuvor gemeinsam festgelegten Gesamtziele des Unternehmens erreicht werden. Spätestens hier dürfte deutlich werden, dass es nicht einfach mit der Einführung eines neuen Instruments getan ist.
Oder wenn nicht mehr der Team-, Abteilungs- oder Bereichsleiter eine wichtige Entscheidung alleine trifft, sondern die entsprechenden Mitarbeiter in die Entscheidung miteinbezogen werden – per Konsent (als Alternative zum bekannten Konsens). Sprich: Eine Idee, ein Vorschlag oder was auch immer wird durchgeführt, solange niemand einen „schwerwiegenden Einwand hat“. Überflüssig zu erläutern, dass auch das nicht einfach implementiert wird und dann reibungslos läuft.
New Work: Organisationale Dimension
Organisationen, die alte Arbeitsformen hinter sich gelassen haben und nun als New Work Vertreter unterwegs sind, unterscheiden sich auch in ihrer organisationalen Dimension. Sie verfügen über deutlich andere Aufbau- und Ablauforganisationen. Das zeigt sich dann trivialisierend in anderen Organigrammen als den bekannten Tannenbaum oder Pyramidengebilden. Entweder ist die Pyramide auf die Spitze gestellt, so wie dies beispielsweise die Volksbank Heilbronn gemacht hat, nachdem sie zum 01. Januar 2011 alle Hierarchieebenen bis auf den gesetzlich vorgeschriebenen Vorstand aufgelöst hat. Oder das Organigramm zeigt eine irgendwie geartete Kreisform.
Wer irgendwann mal New Work aufgeschnappt hat, könnte schon mal etwas von Organisationsmodellen wir Soziokratie oder Holacracy gehört haben. Dabei hat Holacracy in den letzten zwei bis drei Jahren einen geradezu grotesken Hype erfahren, der sich in keiner Weise durch langjährig nachweisbare, empirisch gestützte Erfolge rechtfertigen ließe. Da wird, anders als in der eher verstaubt daherkommenden Soziokratieszene, der fast identische Ansatz als „revolutionäres Management-System für eine volatile Welt“ verkauft. Aber was sind die Unterschiede, was die Vor- und Nachteile dieser eng verwandten Organisationsmodelle?
Noch viel unbekannter ist das systemisch-kybernetische Framework des Viable System Model (VSM), entwickelt von dem britischen Betriebswirt und Gründer der Managementkybernethik Stafford Beer. Er untersuchte, sehr verdichtet beschrieben, was die Gemeinsamkeiten verschiedener lebensfähiger Systeme sind. Und daraus entwickelte er das VSM, das im Unterschied zur Soziokratie oder Holacracy keine Vorgaben macht, wie genau zum Beispiel bestimmte Typen von Meetings durchgeführt werden sollten oder wie Entscheidungen zu treffen sind (wie im oben erwähnten, soziokratischen Konsent). Statt dessen bietet das VSM einen äußerst intelligenten Ansatz, um auf einem hohen Abstraktionsniveau zu verstehen, welche Strukturmerkmale Organisationen brauchen, um dauerhaft lebensfähig zu sein.
New Work: Kulturelle Dimension
Die bisherigen Dimensionen dürften verdeutlicht haben, das New Work eine völlig andere Arbeits- und Organisationskultur als bislang üblich erfordert. Pointiert lässt sich das an der jeweils geltenden Organisationsmetapher verdeutlichen: Das Unternehmen als gut geölte Maschine oder als lebendiger Organismus. Natürlich gibt es noch eine Vielzahl weiterer Metaphern, wie der Britisch-Kanadische Organisationstheoretiker in seinem Standardwerk „Bilder der Organisation“ zeigte. Aber das erwähnte Polpaar pointiert die verschiedenen kulturellen Ansätze kurz und bündig.
Mit dem Maschinenmodell sind dann noch tayloristische Gestaltungsmerkmale der Arbeit verbunden, allen voran die Trennung von Denken und Handeln, von Planen und Ausführen. Diese Trennung führt dann zwangsläufig mit einer starken inneren Logik zu einer Command-And-Control Kultur, geprägt von einem misanthropen Menschenbild, das seinen Ausdruck im theoretischen Modell des Homo oeconomicus findet. Die Mitarbeiter sind, verkürzt gesagt, faul und eigennutzenmaximierend und müssen zur Arbeit extrinsisch motiviert werden. Womit wir den Kreis zu den damit verbundenen Instrumenten wie individuellen Boni schließen.
Ein gänzlich andere Kultur finden wir in Organisationen, deren Mitglieder sich als lebendigen Organismus betrachten. So wie es im Gehirn keinen CEO gibt, der uns anweist, welche Daten wir unbewusst aufnehmen und verarbeiten sollen, so führen verschiedene Verwirklichungen von New Work zu kulturellen Merkmalen, die viel stärker von Selbstorganisation, Vertrauen und Ko-Kreation geprägt sind. Was sich wiederum in der Wahl entsprechender Instrumente und Methoden äußert, wie einem kollektiven Bonus.
Von der Skizze zum 3D-Film in HD
Das alles ist, wie eingangs erwähnt, nur eine mit groben Strichen gezeichnete Skizze. Hinter dem Begriff New Work verbirgt sich ein ganzer Kosmos mit den erwähnten Dimensionen. Dabei gibt es nicht die eine korrekte New Work, sondern eine Vielzahl an verschiedenen Ausprägungen, die zu jeder Organisation passend gestaltet werden müssen. Es gibt eine Menge Bücher, Artikel und Filme, die die neue Arbeitswelt in ihrer Gänze Stück für Stück detaillierter erschließen. Wer sich auf den Weg macht, darf sich die Weisheit zu eigen machen, das auch die längste Reise mit dem ersten Schritt beginnt.
… dann muss sich aber auch die Gehaltsschere schließen! Die höheren Gehälter der Manager wurden ja immer mit mehr Verantwortung gerechtfertigt. Diese verteilt sich ja nun mehr, oder???
Aber, wie sagte schon Fred Feuerstein immer: “Niemals nicht!!” :-)
Was geschieht, wenn ein Top-Manager seine Verantwortung wahrnimmt, zeigen ja einige “gute” Beispiele aus der Vergangenheit. Baut riesen Mist und geht mit Riesen-Abfindung, um ein halbes Jahr später woanders wieder auf gleicher (Gehalts-)Höhe aufzutauchen.