Planlos zu strategischem Erfolg – geht das?
Seit Jahren kritisierten Experten das Planen in der Wirtschaft. Statistiken beweisen, unsere Unternehmen schaffen es gerade mal im einstelligen Prozentbereich, ihre Pläne zu erfüllen. Wenig überraschend winken Führungskräfte verdrossen ab, dreht man wieder mal eine Planungsrunde. Soweit so bitter, denn was wollen wir tun? Sollten Firmen und ihre Entscheider das Nachdenken über die Zukunft bleiben lassen? Oder kann ein Mittelständler aus dem Südwesten Deutschlands als Beispiel dienen, der einen anderen Weg geht, um Marktturbulenzen intelligent zu begegnen? Anstatt geplante Strategien aufwändig in die Firma zu kaskadieren, zeigt der Unternehmer ungeschönt die wirtschaftlichen Ergebnisse des Firmenhandelns. So erschließt er sich die Intelligenz seiner Mitarbeiter als Wert-Ressource. Ich begleitete den Betrieb in der Entwicklung seines zeitgemäßen Controllings.
Wozu den Blickwinkel ändern?
Friedrich Dürenmatt schrieb in den Physikern: „Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.“ Was bringt es mit sich, diesen Satz ernst zu nehmen? Bei einem meiner Kunden bedeutete es, eine Transformation der Führungskultur zu beginnen. Wir wollen den turbulenten Herausforderungen unserer Zeit mit intelligenter Eigenverantwortung begegnen. Alles rund um Wirtschaftlichkeit ist hier eine besonders harte Nuss. Zum einen brauchen wir ungeschönte Kassentransparenz. Zum anderen verlangen wir von den Kollegen, dass sie mit den Risiken der Zukunftsbetrachtung verantwortlich umgehen. Schlussendlich ist die Verknüpfung von Zukunft und Ökonomie gefordert – gerade so wie beim Planen. Nach einigen Überlegungen entschieden wir uns für die Kombination aus Wetten mit einem allgemeinen wirtschaftlichen und qualitativen Feedback.
Warum nennen wir es Wette?
Allein das Wort erzeugt bei vielen Misstrauen. Schnell schließen wir zurück auf Pferderennen etc. Hier steht der Reiz des Zockens im Mittelpunkt. Daneben eignet sich der Begriff allerdings sehr gut für den klugen Umgang mit einer anerkanntermaßen unsicheren Zukunft. Er beinhaltet Hoffnungen, Wahrscheinlichkeiten und Chancen ebenso wie Risiken und Verluste. Letztere blendet Planung dahingegen systematisch ab dem Zeitpunkt aus, ab dem wir sie in die Tat umsetzen. Intelligent eigenverantwortlich kann nur handeln, wer auch ständig die möglichen Gefahren einbezieht. Außer dem Blick in die Zukunft enthält Planung den Aspekt der Kontrolle. In Soll-Ist-Vergleichen erfahren wir, ob wir gut (im Plan) oder schlecht (neben demselben) unterwegs sind. Lassen wir es zu planen, wie ermitteln wir dann, ob wir wirkungsvoll oder schädlich operieren? Was wir benötigten war ein Feedback-System als Selbstkontrolle.
Wie geht die Wette?
Zugunsten von Planungsrunden entwickeln die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heute gemeinsam Handlungsvorschläge. Aus diesen heraus entscheiden sie sich für die Alternative, auf die sie ihre Arbeitsleistung setzen. Beispielsweise erarbeiten sie einen Weg, wie sie ein weiteres Kundensegment gewinnen wollen. Gibt es die ausgereifte Idee, schraubt man die Vertriebsbemühungen in den anderen Kundengruppen herunter. So entsteht Kapazität für die Umsetzung der neuen Überlegung(en). Ohne Feedback-System wird die Belegschaft an diesem Punkt unsicher. Bestehende Kunden zu vernachlässigen, um vielleicht unbekannte zu bekommen – da wäre es doch besser, man hätte einen genauen Plan oder?
Charakter der Wette ist, die Unberechenbarkeit auszuhalten und anstatt von stupider Planerfüllung mit Vernunft darauf zu reagieren. Das ermöglichen wir in der Firma, indem wir den Angestellten zeigen, ob ihr Tatendrang Erfolg hat.
Wie funktioniert ein dynamisches Feedback zur Selbststeuerung?
In einschlägiger Fachliteratur schlagen Experten an dieser Stelle gerne den Wettbewerbsvergleich vor. Danach vergleicht sich das Unternehmen in entscheidenden Kennzahlen mit der direkten Konkurrenz. Schneidet sie besser ab, ist man mit dem gegebenen Einsatz erfolgreich. Leider stehen die Nummern der Wettbewerber im Mittelstand nur selten einfach so zur Verfügung. Also doch zurück zum Plan?
Nein! Wir entwickelten stattdessen ein internes agiles Feedback-System. Es sucht zuerst nach dem Leistungsengpass. Bei uns war es die Montagekapazität. Sie begrenzte als erster Prozessfaktor den möglichen Leistungsoutput. Wir errechneten daraus den theoretisch maximal erreichbaren Umsatz. Die Faktoren:
- Anwesenheitstage der hauseigenen Servicemitarbeiter (exklusive Urlaub & Krankheit) plus
- Maximal möglicher Fremdumsatz bei externen Servicedienstleister
= Service-Kapazität in Montagetagen
- Ø Montagen pro Montagetag
- Ø Gesamtumsatz pro Montage
Daraus ergibt sich:
theoret. max. Umsatzerlöse = Service-Kapazität x Montagen pro Montagetag x Gesamtumsatz pro Montage
Dieser Wert ist faktisch jeden Tag anders, da er von Fluktuation, Krankheit, Urlaub und Selbstbestimmung abhängt. So gesehen sind Handlungsvorschläge erfolgreich wenn sie:
- die Service-Kapazität stabil erhöhen (ohne die Servicequalität zur verschlechtern)
- die Montagen pro Montagetag erhöhen
- den Umsatz pro Montage erhöhen (ohne die Aufwände linear zu steigern)
Was berücksichtigen wir im Feedback-System?
Wir melden der Belegschaft übergreifend Quantität und Qualität zurück. Zählbar laufen gegen die gedanklich möglichen (theoretisches Ist-Maximum), die tatsächlichen Erlöse sowie die wirklichen Kosten im selben Zeitraum. Jeweils auf einer Wochen- (Balken & Rauten) und einer Monatsbasis (Linien). Die Qualität leiten wir von den Ist-Reklamationen im Prozess ab (sowohl interne, wie externe).
So zeigen wir den Leuten: Ihr arbeitet in einem bestimmten qualitativen Rahmen mit Ertrag oder ohne. Und wie pflanzt sich das in der Zukunft fort. Dafür nehmen wir das Vormonatsergebnis immer in den neuen Monat mit. Wir vergleichen so Ist mit Ist. Verfehlt das Handeln den notwendigen Erfolg, verändern die Menschen es. Man variiert das eigene Tun, statt über Sinn und Unsinn eines Plans zu politisieren. Mit der Realität als Spiegel geht das unbürokratisch schnell.
Was bringt’s?
Weniger Diskussionen, warum etwas erforderlich ist. Heute kommen vermehrt Fragen, wie man intelligent mit den Problemen umgeht. Die Mitarbeiter begreifen: Wir ändern was und schauen auf die Resonanz. Sind unsere Handlungsideen „klug“, dann ändert unsere Wette das Ergebnis zum Positiven, sind wir „unklug“ zum Negativen. In dieser neuen Sichtweise ist die Kommunikationskultur vitaler Bestandteil des Gelingens. Anweisungen, Steuerung über Leistungskontrolle, Anreizsysteme und dergleichen mehr, wirken kontraproduktiv. Wir brauchen eine Verständigung, die laufend Vorschläge generiert, auswählt, umsetzt, die Leistungsbewertung aus unserem Feedback-System annimmt, um daraus erneut vorzuschlagen.
Bei meinem Kunden bauen wir dazu sukzessiv Beziehungskompetenz bei einer Vielzahl der Beschäftigten auf. Konflikte, Abstimmungen, alltägliche, strukturelle und strategische Entscheidungen finden in der Belegschaft statt. Der Anspruch ist, dass sie auch selbst damit umgehen kann. Was früher eine zentrale Forderung an Führung war, verlangt in dieser Organisation heute nach uneigennützigen Moderatoren, Mediatoren, Change-Agents, Coaches, etc. Die gesamte Kommunikation hat sich somit verändert, sie wurde professioneller und eine überbordende Kaffeekränzchenkultur wurde vermieden.
Das Unternehmen verzichtet inzwischen komplett auf eine klassische, strategische Planung sowie deren Controlling. Stattdessen befähigen wir die Mitarbeiter sich alleine zu controllen. Anstatt darüber zu diskutieren, warum man Pläne verfehlt, hat die Führung jetzt Zeit, Menschen bei der Verbesserung ihrer Arbeit zu unterstützen.
Wir begannen das Wetten kombiniert mit dem Feedback vor ca. 18 Monaten. Seitdem ist es selbst ständigen Verbesserungsschleifen unterworfen. Wir erkennen, dass sich zunehmend mehr Angestellte für die Stärkung der Firmensituation einbringen. Veränderungen wurzeln im Erfolg/Misserfolg der eigenen Handlungsideen. Dadurch sinken die Widerstände gegen notwendige Anpassungen merklich. Wann immer wir die Kolleginnen und Kollegen auffordern sich einzubringen, geschieht das engagiert und klug. Für eine belastbare Aussage zur dauerhaften wirtschaftlichen Entwicklung ist es noch zu früh. Doch die Chancen stehen gut, dass die Wette aufgeht.
Hinweise
Weitere Informationen und Praxisbeispiele finden Sie im aktuellen Buch von Dagmar Woyde-Koehler und Gebhard Borck: »Wetten statt Planen« als Paperback und eBook bei Amazon erhältlich.
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