Projektabbruch – wieso, weshalb, warum?
Projekte scheitern – und das nicht erst am letzten Tag des Projektes. Sie scheitern selten überraschend und dennoch tun sich Organisationen und ihre Mitarbeiter schwer, Projekte abzubrechen. Mit dem Abbruch eines Projektes werden Imageschäden und finanzielle Verluste verbunden, so dass Projekte lieber fortgeführt werden. Doch wieso ist das so? Wie kommt es zu den Sorgen beim Projektabbruch, wann kann ein Projektabbruch erfolgen und worauf ist beim vorzeitigen Beenden von Projekten zu achten?
Die Sorgen beim Projektabbruch
Wenn Sie die Wahl hätten, würden Sie einen Projektleiter wählen, der bisher alle seine Projekte erfolgreich zu Ende geführt hat oder einen, der in seiner Laufbahn bereits zwei wichtige Projekte abbrechen musste? Sehr viele Manager würden den ersten Projektleiter wählen. Natürlich. Erfolg in der Vergangenheit ist ein Indikator für Erfolg in der Zukunft. Abgebrochene Projekte hingegen sind kein Erfolg. Vorgaben und Ziele wurden nicht erreicht. Erfahrungen mit Misserfolgen tauchen in keiner Vita auf. Wie entscheiden Sie sich, wenn Sie wüssten, dass der zweite Projektleiter durch sein Handeln jeweils eine Millionen Euro Kosten vermeiden konnte und durch die freiwerdenden Ressourcen andere Projekte gewonnen und erfolgreich gestaltet wurden? Könnte es sein, dass Misserfolg nicht gleich Misserfolg ist?
Organisationen tun sich mit einem Projektabbruch schwer, weil es ein Eingeständnis ist, dass sie Fehler machen, sie nicht perfekt sind und so ihr Image leidet. Und genau aus demselben Grund tun sich auch Mitarbeiter damit schwer. Bei allem Erfahrungsgewinn, bei allen Lessons Learned, bei allen tatsächlichen Vorteilen, ein Projektabbruch ist ein Makel. Gleichermaßen für den Projektleiter, das Projektteam und die gesamte Organisation.
Zusätzlich gibt es bei einem Projektabbruch eine zeitliche Komponente. Zu Beginn eines Projektes, während der Planungsphase, dürfte ein Imageverlust nicht feststellbar oder zumindest sehr gering sein. Je länger ein Projekt andauert, desto größer wird der angenommene oder auch tatsächliche Imageverlust. Dabei ist es nicht erheblich, ob der Imageverlust linear zur Projektdauer oder in einzelnen Fällen überproportional verläuft. Je länger ein notwendiger Projektabbruch hinausgezögert wird, desto größer wird der Schaden. Erfolgt ein Projektabbruch erst gegen Ende eines Projektes, so ist der Imageschaden garantiert. Maximal wird der Imageverlust, wenn eine neue Lösung oder ein neues Produkt zum Projektende ausgeliefert wird, die Inbetriebnahme aber nicht funktioniert.

Imageverlust bei Projektabbruch über den Zeitverlauf
Sunk Cost Fallacy
“Wir haben bereits 10.000 Mannstunden investiert, wir können das Projekt jetzt nicht abbrechen. Sonst wäre alles umsonst gewesen.” Oder: “Das Projekt hat uns schon 2 Millionen Euro gekostet, jetzt müssen wir es auch zu Ende führen.” Solche Aussagen werden häufig getätigt, wenn ein Projekt nicht ideal verläuft, ein Projektabbruch aber unbedingt vermieden werden soll. Sie basieren auf einem Trugschluss, denn die Kosten sind bereits angefallen und werden als Begründung zum Weitermachen genutzt, auch wenn objektiv betrachtet ein Projektabbruch sinnvoller wäre. Dieses Phänomen wird “Sunk Cost Fallacy” oder “Concorde Effekt” genannt. “Die Concorde war das Paradebeispiel eines staatlichen Defizitprojektes. Selbst als die beiden Partner England und Frankreich schon lange eingesehen hatten, das sich der Betrieb des Überschallflugzeuges nie rechnen würde, wurden weiterhin Unsummen investiert – bloß um das nationale Gesicht zu wahren. Aufgeben wäre einer Kapitulation gleichgekommen.”¹
Die Aussage, dass bei einem Projektabbruch nichts bleibt außer den vergeblichen Anstrengungen und den Kosten stimmt natürlich nicht. Vielleicht wurden Funktionen für eine Software entwickelt, die an anderer Stelle verwendet werden können. Oder ein Vorgehen hat sich bewährt, das fortan in neuen Projekten zum Einsatz kommt. Im Laufe eines Projektes werden Erfahrungen gesammelt, die – wenn auch schwer zu quantifizieren – sehr wertvoll sein können. Neue Ideen, andere Ansätze, bessere Abläufe, klarere Ziele und Vorstellungen – all das kann auch bei einem nicht idealen Projektverlauf entstehen. Die Schwierigkeit der Quantifizierung solcher Werte lenkt den Blick zusätzlich in die Vergangenheit, in Richtung der bereits geleisteten Arbeitsstunden und der angefallenen Kosten.
Es gibt viele Gründe weiterhin in laufende Projekte, trotz einer möglichen Schieflage, zu investieren. Entscheidend für eine Fortführung sollte aber nicht der Blick in die Vergangenheit, sondern ausschließlich der Blick in die Zukunft sein. Lohnt sich das weitere Investment in das Projekt oder entstehen zusätzliche Defizite? Wie sind die Ziele noch zu erreichen? Oder zögern Sie die Abbruchentscheidung lediglich heraus und verursachen dadurch weitere Kosten?
Der strukturierte Projektabbruch
Führen Sie in Ihrer Organisation gleichartige Projekte gleichartig durch? Gibt es bei Ihnen verschiedene Projektarten, die jeweils mit einem gleichbleibenden Schema geplant, gesteuert und kontrolliert werden? Dann haben Sie auch eine gute Chance, einen Ansatz für einen strukturierten Projektabbruch zu finden. Fehlt bei Ihnen ein solches Vorgehen – viel Glück. Ohne definierte Abläufe zur Initiierung, Planung und Durchführung von Projekten sind auch organisatorische Standards für kontrollierte Projektabbrüche unwahrscheinlich. Bevor Sie sich Gedanken über sinnvolle Schritte zum Beenden von Projekten in Schieflage machen, sollten Sie sich Gedanken zum generellen Umgang mit Projekten überlegen.
Viele Prozessstandards, Vorgehensmodelle oder Methoden definieren Punkte, an denen Entscheidungen zur Fortführung eines Projektes getroffen werden. Die britische Projektmanagementmethode PRINCE2 kennt ein Stage-Gate-Konzept, das deutsche Vorgehensmodell V-Modell XT definiert Entscheidungspunkte. Gemeinsam ist diesen sogenannten Quality Gates, dass eine Person mit einer entsprechenden Rolle oder eine Gruppe von Personen, beispielsweise ein Lenkungsausschuss, die bis zu diesem Zeitpunkt im Projekt erreichten Ergebnisse bewertet und beurteilt, ob die Fortführung des Projektes wie geplant sinnvoll ist. Bei geänderten Rahmenbedingungen, neuen Anforderungen oder Erkenntnissen über neue Probleme kann es vorkommen, dass das Projekt fortgesetzt, aber der bis dahin zugrunde liegende Business Case angepasst werden muss. Im Idealfall werden die nächste Phase, benötigte Ressourcen und notwendige Finanzmittel freigegeben. Aber: an diesen Punkten könnte auch der Abbruch eines Projektes beschlossen werden. Zumindest in der Theorie, denn die Ausgestaltung des Projektabbruchs überlassen Vorgehensstandards dann auch gerne den betroffenen Projektbeteiligten selbst.
Ein Ablauf könnte also so aussehen:

Vorgehen mit optionalen Projektabbruch bei Phasenfreigabe
Abbruchindikatoren und Post-Projektabbruch-Perspektive
Wenn der Blick in die Vergangenheit eines Projektes nicht hilft, anhand welcher Indikatoren sollten Sie entscheiden, ob ein Projektabbruch sinnvoll ist? Nun, die Indikatoren sind projektspezifisch. Ändert ein wichtiger Stakeholder seine Meinung über ein Projekt, gibt es neue Gesetze oder Normen, verschieben sich Ziele, entstehen große Terminnöte durch fehlende Ressourcen, zieht ein Projektsponsor seine Zusagen zurück – es gibt viele Indikatoren, die auf die Projektfortführung oder den Projektabbruch Einfluss nehmen können. Auf gesetzliche Änderungen haben Sie keinen Einfluss, aber es gibt Unternehmen, die bereiten verschiedene Lösungsoptionen für mögliche Gesetzesalternativen vor und trennen sich dann bei Bekanntwerden der neuen Regelung von den unbrauchbaren Alternativen. Ein solches Vorgehen mit verschiedenen Varianten setzt entsprechende Finanzmittel und Ressourcen voraus – und der Projektabbruch einiger Alternativen wird bewusst erwartet. Natürlich ist diese Herangehensweise in den meisten Projekten undenkbar, denkbar ist aber die Definition von Rahmenbedingungen und wichtigen Faktoren eines konkreten Projektes, die es anschließend regelmäßig – idealerweise bei der Erreichung von Quality Gates – zu überprüfen gilt.
Wer trifft bei Ihren Projekten die Entscheidung, ein Projekt vorab zu beenden? Ist das immer der jeweilige Projektleiter, das Projektmanagement Office, ein Lenkungsausschuss oder ein Programmmanager? Ist das bei jeder Projektart, bei jedem Projektumfang und Projektvolumen identisch? Für eine Organisation ist es wichtig, sich auf Verantwortlichkeiten zu verständigen. Es ist elementar, alle Informationen zu besitzen, die relevant für eine Fortschrittsentscheidung sind. Es ist zu klären, wer diese Informationen wie, in welcher Art und bis wann zusammen trägt. Durch die Definition dieser Aspekte entwickeln Unternehmen nach und nach eine Methode, mit der sie fortan leichter sinnvolle Entscheidungen über die Fortführung oder den Abbruch von Projekten treffen können. Gleichzeitig steigern sie die Kompetenz zur Steuerung ihrer Projekte. Und so kommen diese Organisationen auch ihrem wichtigsten Ziel deutlich näher: Projekte im Hinblick auf Stakeholder, Inhalte, Termine, Ressourcen und Budgets erfolgreich zu gestalten.
Zwei Aspekte beim Projektabbruch sollten Sie noch beachten:
- Die Kommunikation über den Projektabbruch
- und das Vorgehen nach dem Projektabbruch.
Mit beiden Aspekten erhöhen Sie die Transparenz in Ihrem Unternehmen. Wenn es Gründe für einen Projektabbruch gibt, dann müssen diese auch kommuniziert werden. Es passiert, dass sich Projektteams zu viel vornehmen oder dass sie zu viele Aufgaben in zu kurzer Zeit von der Unternehmensführung erhalten. Offensichtlich sind solche Situationen nicht optimal – wichtig ist aber der Umgang mit diesen Erkenntnissen. Was tut Ihr Unternehmen, um solche Situationen in Zukunft zu vermeiden? Haben Sie einen Stakeholder bei der Projektdefinition übersehen, der sich im Laufe des Projektes als sehr wichtig herausstellt – was tun Sie zukünftig, um so etwas zu verhindern? Wurden die Aufwände in Ihren Projekten falsch eingeschätzt, da die User Stories nicht vollständig verstanden wurden – was können Sie fortan besser machen? Die offene Kommunikation mit einem Projektabbruch kann zusätzliches Vertrauen schaffen. Fehler zu erkennen, sie zu benennen und es zukünftig besser machen zu wollen – das sind die Zutaten für einen Imagegewinn.
Fazit
Ein Projektabbruch ist immer ein mögliches Szenario. An sich können Sie davon ausgehen, dass ein Projekt klappt oder scheitert. Zwei Optionen = 50% Wahrscheinlichkeit für einen Projektabbruch. Halt, jetzt werden Sie einwenden, durch strukturiertes Planen und Vorgehen, durch die Definition von Zielen und Inhalten, die Bereitstellung der richtigen Mitarbeiter für die richtigen Aufgaben mit der richtigen Verfügbarkeit steigen die Chancen für erfolgreiche Projekte. Stimmt. Absolut richtig. Dennoch sprechen Studien seit vielen Jahren von mehr als 50% gescheiterter Projekte. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Projektabbruch kommt oder zumindest über einen Projektabbruch nachgedacht werden muss, ist also gegeben. Idealerweise sollten sich Projektverantwortliche nicht erst kurz vor einem Projektabbruch Gedanken machen, sondern sich bereits im Vorfeld Klarheit über Kriterien, über die benötigte Transparenz, über Lessons Learned und eine sinnvolle interne und gegebenenfalls externe Kommunikation verschaffen.
Es gibt Stimmen, die fordern einen Projektabbruch als Chance zu sehen – und sie haben Recht, denn in jedem Scheitern liegt die Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen. Aber diese Haltung – ähnlich gelagert auch bei dem Wunsch nach einer Fehlerkultur in einem Unternehmen – geht vielleicht etwas weit. Konsequent zu Ende gedacht, macht ein bisschen “Abbruchkultur” wenig Sinn. Der Abbruch eines Projektes kann schlicht und einfach die richtige Maßnahme sein. Aber ein Projekt erfolgreich zu planen und durchzuführen, sollte das übergeordnete Ziel sein. Erfolg ist das Ziel eines Unternehmens, ein Projektabbruch eine von bestimmten Indikatoren abhängende Option, den Verlust von Aufwand, Kosten und Image zu vermeiden.
Hinweise
[1] Rolf Dobelli, Die Kunst des klaren Denkens, 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen, Seite 21-23, erschienen im Carl Hanser Verlag München
Guten Tag Herr Schenkel,
ein interessantes Thema, das Sie ansprechen. Ich denke, man kann nicht einfach die Anzahl der Projekte zählen bzw. die der erfolgreich abgeschlossenen Projekte, um jemanden als Projektleiter beurteilen zu können. Wohl jedes Projekt wird mit einem Ziel (einer Verbesserung oder Veränderung) gestartet, aber im Laufe des Projekts gibt es neue Faktoren, die dazukommen, es müssen Anpassungen gemacht werden und eben auch mal ein Projekt abgebrochen werden, wenn man merkt, dass es so keinen Sinn macht. Wie Sie schreiben, bei jedem Projekt werden Erfahrungen gesammelt, die für neue Projekte nützlich sind. Ein Projektabbruch ist besser als mit Gewalt ein Projekt zu Ende zu führen, um unnötige Kosten und ein nicht zufriedenstellendes Ergebnis zu vermeiden. Der Hintergrund, ein Projekt nicht abbrechen zu wollen, ist oft die Befürchtung eines Imageverlusts, dabei ist der Imageverlust noch viel größer, wenn ein sinnloses Projekt trotzdem durchgezogen wird.
Freundliche Grüße
Claudia Dieterle
Hallo Frau Dieterle,
das sehe ich sehr ähnlich. Schwieriger wird es vermutlich, wenn wir uns fragen, wann ein Projekt eigentlich erfolgreich ist? Wenn der Termin und das Budget eingehalten wurde? Aber was wäre, wenn dann die Firma mit der neuen Lösung Ihre Ziele doch nicht erreicht? Oder umgekehrt: Termine und Budgets nicht eingehalten, das neue Produkt wird dennoch ein Verkaufsschlager …
Sonnige Grüße
Michael Schenkel
Hallo Herr Schenkel,
mit keinem Wort erwähnen Sie den Vertrag. Haben Sie eine Vorstellung darüber wie teuer ein “Breach of Contract” ist? Und was den Imageschaden angeht, was vermuten Sie, wie sich der Markt und der Wettbewerb bei neuen Ausschreibungen verhält.
Vermutlich meinen Sie unter Projekt aber nur hausinterne F&E-Vorhaben, die quasi zu jeder Zeit abgebrochen werden können, wenn sich die Bedingungen im Markt und Wettbewerb hinsichtlich Qualität, Kosten/Preis bspw..geändert haben oder die interne Kompetenz hinsichtlich Knowhow, Expertise bspw. die Zielerreichung unwahrscheinlich werden lässt.
Hallo Herr Schwarze,
Sie haben Recht: den zugrunde liegenden Vertrag habe ich nicht erwähnt. Und dieser hat sicherlich einen maßgeblichen Einfluss auf eine mögliche bzw. unmögliche Abbruchentscheidung. Andererseits: ist ein Vertrag mit eventuellen Vertragsstrafen oder möglichen Schadensersatzforderungen nicht auch “nur” eine kaufmännische Größe, die es bei einer Fortschritts-/Projektabbruch-Entscheidung zu berücksichtigen gilt?
Viele Grüße
Michael Schenkel
Hallo Herr Schenkel, ich finde es wichtig, das Regeln bestehen, und der Projektleiter die Führung übernimmt. Die offene Diskussion im Team, ist sicherlich wichtig. Und jeder sollte seine Verantwortung tragen, und in der Projektplannung versiert sein. Das Pflichtenheft und Lastenheft, nach dem V-Modell, oder Wasserfall-Modell hilft sicherlich weiter. Wenn alle dieselbe Vorstellung von der Projektplannung ohne Differenzen verinnerlicht haben, kann ein intern diskutierter Projektabbruch wohl auch, zu einer Imageaufwertung führen.
Hallo Herr Rottmann,
danke für Ihren netten Kommentar. Regeln und Verantwortung sind auch nach meiner Einschätzung sehr wichtig. Ob wir allerdings wirklich zu einem Status der gemeinsamen Vorstellung von Projektplanung ohne Differenzen kommen können …
Sonnige Grüße
Michael Schenkel