Projektleiterwechsel – wer, wie, was?
“Karl, Du musst das Projekt übernehmen, sonst fährt es gegen die Wand!” Jetzt wird es schwierig für Karl. “Nein” sagen kann er eigentlich nicht, denn immerhin kommt die Aussage von seinem Geschäftsführer. “Ja” sagen will er aber vielleicht auch nicht. Was soll er tun? Und was würden Sie in Karls Situation tun? Worauf sollten Sie bei einer Projektübernahme achten, wie treffen Sie eine sinnvolle Entscheidung und wie führen Sie gegebenenfalls das Projekt zum Erfolg?
Der Grund für den Projektleiterwechsel
Ein laufendes Projekt zu übernehmen ist eine Herausforderung – für den neuen Projektleiter, für das Projektteam und auch für die Geschäftsführung. Wenn ein Projekt zu scheitern droht, wurden Fehler begangen, Situationen falsch beurteilt, Fähigkeiten über- oder Aufwände unterschätzt. Wer welche Fehler in welchen Situationen begangen hat, ist häufig nicht leicht zu beurteilen. Bei dem Wechsel eines Projektleiters ist es aber wichtig, den Grund für die Notwendigkeit des Wechsels zu verstehen. Sind es persönliche Gründe wie eine längere Krankheit des Projektleiters? Liegt es an der Verfügbarkeit des Projektleiters, der weitere Projekte parallel zu managen hat? Ist das Verhalten des Projektleiters nicht immer vorbildlich und die Kommunikation mit dem Projektteam gestört? Oder gibt es Leistungsgründe, liegt es also an den Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen des Projektleiters? Bei persönlichen Gründen oder mangelnder Verfügbarkeit des bestehenden Projektleiters lässt sich ein Projektleiterwechsel relativ einfach organisieren, zumal der derzeitige und der zukünftige Projektleiter das selbe Ziel verfolgen. Es ist quasi die gewollte Übergabe eines Staffelstabs. Liegt der Grund für den Projektleiterwechsel aber im Verhalten oder in der Leistung begründet, können die Motive variieren. “Macht doch Euren Kram alleine!” “Sucht Euch doch Eure Informationen!” Oder: “Wenn Du es besser kannst, brauchst Du meine Hilfe ja nicht.” Aussagen wie diese sind vermutlich schon mehr als einmal in vergleichbaren Situationen gefallen. Um so wichtiger ist hier die klare Kommunikation zwischen der Geschäftsführung (oder dem Project Management Office, dem Programmmanagement, etc.) und dem amtierenden Projektleiter über die Gründe des anstehenden Projektleiterwechsels und die Vorstellungen zur Projektübergabe. Leider klingt dies in der Theorie deutlich leichter als es sich dann in der Praxis darstellt. Kommt die Ablösung für den Projektleiter vollkommen überraschend und ohne Vorwarnung, hat die Geschäftsführung nicht ideal kommuniziert. Zusätzlich geht sie mit der Personalentscheidung auch ein Risiko ein, denn wenn das Projekt trotz des Wechsels scheitert, steht sie noch stärker in der Verantwortung als bereits ursprünglich. Dennoch wird sie gegebenenfalls das Risiko eingehen, um das Projekt zu retten.
Projektleiterwechsel – eine Option, um Projekte zu retten?
Allgemeine Projektinformationen und der Status Quo
Wie geht es dem zu übernehmenden Projekt? Bevor Sie sich entscheiden, ein Projekt zu übernehmen, müssen Sie wissen, worauf Sie sich einlassen. Welche Erwartungen werden mit dem Projekt verbunden? Wann ist das Projekt erfolgreich? Welche Erwartungen verbindet die Geschäftsleitung mit dem Projektleiter? Was erwartet der Projektleiter von seinem Team und das Team von ihm? Und welche Erwartungen haben Stakeholder? Je besser Sie solche Fragen beantworten können, bevor Sie eine Entscheidung zur Projektübernahme treffen, desto fundierter fällt diese aus.
Wenn die Geschäftsleitung möglichst wenig ändern möchte und gleichzeitig alles besser werden soll, könnte diese Vorstellung schon Teil des Problems sein. Auch wenn Termindruck, Unruhe und Ungeduld herrschen, ist es wichtig zu wissen, worum es geht, welche Ziele verfolgt werden und welche Probleme bestehen. Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen Plan und Ist. Ursprüngliche Projektziele können sich verschieben, Business Cases sich ändern. Das Überprüfen von verpassten Meilensteinen ist erst dann aussagekräftig, wenn Sie die Gründe für die Abweichungen kennen. Gab es verspätete Zulieferungen, haben sich Anforderungen geändert oder sind Mitarbeiter krank ausgefallen? Vielleicht finden Sie auch Aspekte, die sich im Projektverlauf als wichtig erwiesen haben, die aber nie eingeplant wurden, so dass Verzögerungen gar nicht zu vermeiden waren.
Folgende Informationen sind interessant:
- Welche Stakeholder wurden identifiziert und welche Ziele verfolgen diese Stakeholder? Wie erfolgt die Stakeholderkommunikation und wurden tatsächlich alle wichtigen Stakeholder identifiziert?
- Wie lautet das Projektziel und der Business Case? Welche Anpassungen gab es im Laufe des Projekts?
- Wie sieht der Terminplan aus, welche Abweichungen gibt es und warum?
- Wie sieht der Ressourcenplan und die tatsächliche Ressourcenverfügbarkeit aus?
- Wie ist der Stand der Anforderungen, was wurde bereits realisiert, was ist noch zu erledigen und welche Herausforderungen bestehen dabei?
- Wie ist das Projekt organisiert? Wie wird gearbeitet, mit welchen Tools und Methoden? Und wie zufrieden sind die Projektbeteiligten damit?
- Wie erfolgt die Projektkommunikation intern mit dem Team, mit den Fachbereichen, mit der Geschäftsführung, dem Lenkungsausschuss oder dem Project Management Office? Und wie wird mit externen Partnern kommuniziert?
- Wie ist der Stand der Dokumentation? Wie wird intern und wie extern dokumentiert? Welche Nachweispflichten sind einzuhalten?
- Wie sind die geplanten und die tatsächlichen Aufwände? Wie steht es um die Kosten?
- Welche Risiken gibt es und welche Maßnahmen zur Risikominimierung und -vermeidung wurden getroffen? Sind Risiken bereits eingetreten?
- Und: Wie wichtig ist das Projekt – für die Geschäftsleitung, das Unternehmen, die Kunden und die Mitarbeiter?
Für den Projektleiterwechsel ist es übrigens nicht entscheidend, in welcher Phase sich das Projekt befindet. Zwar lässt sich ein Projektleiterwechsel leichter realisieren, je früher er stattfindet, doch ganz gleich, ob sich das Projekt in der Vorbereitung, der Definition und Initialisierung, der Realisierung, im Abschluss oder im Betrieb befindet – entscheidend ist immer, ob sich das zukünftige Investment in das Vorhaben lohnt, nicht das bereits getätigte. Selbst wenn mehrere Mannjahre investiert wurden, stellt sich lediglich die Frage, ob sich die zukünftige Investition lohnt. Die Antwort könnte auch zum Projektabbruch führen – eine Option, die immer auch im Blickfeld der Geschäftsleitung sein sollte.
Die persönliche Analyse
Der kommunizierte und möglicherweise dokumentierte Status Quo und der tatsächliche Status Quo können sich unterscheiden. Das Team, einzelne Teammitglieder oder die Geschäftsführung können eigene Eindrücke haben. Es ist bestimmt kein Nachteil, diese zu kennen. Dafür ist eine eigene Bestandsaufnahme unerlässlich. Und eine Beurteilung der Machbarkeit des Vorhabens. Übernehmen Sie ein Projekt, obwohl Sie glauben, dass es nicht wie geplant realisiert werden kann, dass Voraussetzungen fehlen und Rahmenbedingungen nicht stimmen – dann tun Sie sich selbst keinen Gefallen.
Kennen Sie das Gefühl, wenn Ihnen zwar viele Informationen zur Verfügung gestellt werden, aber der Kern, die Ursache der Probleme nicht wirklich klar wird? Die Information zu den Plänen und dem Status Quo, zu den qualitativen und terminlichen Herausforderungen sind sehr wichtig – aber wo liegen die Probleme? Nennen Sie Probleme ruhig Probleme. Nicht jedes Problem muss immer eine Chance sein. Listen Sie einfach alle vorhandenen Probleme auf und gewichten Sie diese. Mit der Geschäftsführung, mit dem Team und eventuell sogar mit dem bestehenden Projektleiter. Und dann überlegen Sie sich gemeinsam mit den Beteiligten was passiert, wenn diese Probleme nicht beseitigt werden. Darüber muss Klarheit herrschen. Und die Geschäftsführung muss wissen, dass es vermutlich nicht reicht, nur den Projektleiter zu wechseln.
Für die persönliche Analyse und Ihre Entscheidung sollte es unerheblich sein, ob Sie ein Mitarbeiter des Unternehmens oder ein externer Berater sind. Angestellten fällt es nicht immer leicht, ihre Meinung offen zu sagen und der Witz “Wissen Sie, was Meinungsaustausch ist? Wenn Sie mit Ihrer Meinung zum Chef gehen und mit seiner Meinung zurückkommen.” ist leider nicht nur lustig. Wenn Sie also Ihre Meinung nicht sagen dürfen oder können, sollten Sie vermutlich das Projekt nicht übernehmen. Weder als Angestellter noch als externer Berater.
Die ersten Schritte nach dem Projektleiterwechsel
Sie entscheiden sich für die Übernahme des Projekts. Sie vereinbaren neue Ziele mit der Geschäftsführung oder bestätigen vorhandene. Sie versuchen Forderungen an die Geschäftsführung zu formulieren (z.B. mehr Mitarbeiter, mehr Zeit, mehr organisatorische Kompetenzen) und Maßnahmen für den Projekterfolg zu definieren. Sie treffen mit der Geschäftsleitung eine Sprachregelung zur Projektübergabe – intern mit einer Benennung der Gründe und falls nötig auch extern. Sie nutzen das Wissen aus vergleichbaren Projekten. Und dann? Soll das Projekt wie gehabt weiterlaufen? In der Politik wird neuen Amtsinhabern eine 100-Tage-Frist zugestanden, um sich einzuarbeiten und erste Erfolge vorzuweisen. Vereinbaren Sie eine Übergangsphase (natürlich angepasst an das Projekt) und kommunizieren Sie den “ungeschönten Status”. Die Übergangsphase ist eine Art Versicherung für Sie. Die vorab kommunizierten Projektinformationen und Ihre persönliche Analyse sind immer Einschätzungen von “außen”, erst wenn Sie selbst das Projekt von “innen” erleben, können Sie es tatsächlich beurteilen. Somit sind die gewonnenen Erkenntnisse in der Übergangsphase die Basis für Ihre weitere Projektarbeit und bieten Ihnen die Möglichkeit, die Ursachen für die Schieflage des Projekts zu beseitigen und das Projekt doch noch erfolgreich zu gestalten.
Fazit
Ein laufendes Projekt zu übernehmen ist keine leichte Aufgabe. Wenn Sie sich mit einer Projektübernahme beschäftigen, ist es wichtig, zu einer fundierten Einschätzung des Status Quo und der Machbarkeit des Projekts zu gelangen. Wer zu diesem Zeitpunkt die Gelegenheit für eine Analyse verpasst, wird sie später nicht mehr bekommen. Gleichzeitig wollen Sie unnötige Aufwände, unzählige Meetings, Workshops und längere Interviews vermeiden. Sie sind in einer Zwickmühle – das Projekt droht zu scheitern und Sie müssen dennoch die Ruhe bewahren, um eine gute Entscheidung zu treffen. Lassen Sie sich nicht von der Unruhe im Projektumfeld anstecken. Das Angebot der Geschäftsführung, ein laufendes Projekt zu übernehmen, ist ein Kompliment für Sie, denn die Geschäftsführung traut Ihnen zu, das Projekt zu retten. Dennoch ist dies kein guter Grund, sich zwischen Tür und Angel für die Projektübernahme zu entscheiden. Wenn Sie sich für die Übernahme entscheiden, ist es elementar über die Probleme des Projekts zu sprechen, entsprechende Prioritäten zu definieren und Maßnahmen festzulegen. Die Übergangsphase gibt Ihnen dann zusätzlich die Möglichkeit, weitere Erkenntnisse zu gewinnen und als “Insider” noch besser die Weichen für den Projekterfolg zu stellen.
Natürlich ist ein Projektleiterwechsel keine Garantie für das Gelingen eines Projekts. Welche Erfahrungen haben Sie in vergleichbaren Situationen gemacht? Und was würden Sie Karl raten?
Ein ausgezeichneter Artikel, sehr geehrter Herr Schenkel, mit sehr guten und konkreten Empfehlungen. Bei den zu beurteilenden Projektinformationen zum Status Quo würde ich a) noch neue externe Umfeldeinflüsse (neue Gesetze, Wettbewerb etc.) ergänzen und b) differenzieren nach denjenigen, die auf das Verhalten des Projektleiters entfallen und nach denjenigen, die der bisherige Projektleiter schwer beeinflussen konnte. Letztere sind die größeren To Do´s, deren Lösungsansätze auch mit den Stakeholdern zu vereinbaren sind.
Beste Grüße
Karl Kuhlen
Hallo Herr Kuhlen,
vielen Dank für Ihr Feedback. Sich ändernde Rahmenbedingungen sollten sicherlich berücksichtigt werden und das nicht nur beim Wechsel des Projektleiters. Welche To Do’s haben Sie denn im Sinn, die mit den Stakeholdern zu vereinbaren wären?
Sonnige Grüße
Michael Schenkel