Projektmanagement mit Haltung: seemännische Gelassenheit
Erfolgreiche Projektmanager gehen mit der Haltung der seemännischen Gelassenheit hinaus in die Organisation. Wach und kooperationsbereit bilden sie Koalitionen, jonglieren mit unterschiedlichen Interessen und kümmern sich um den Fortgang des Projektes. Als Mann auf der Brücke profitiert ein Projektkapitän von seinem Erfahrungs- und Methodenschatz. Er weiß, dass er aufkommende Probleme aus der Situation selbst heraus lösen wird und nicht vorab regeln kann; daher redet ein erfahrener Seebär seiner Mannschaft niemals einen aufziehenden Sturm schön, beordert aber auch nicht gleich alle Mann an Deck und verteilt vorsorglich Schwimmwesten. Vielmehr rechnet er mit schlechtem wie gutem Wetter und hat die Lage und Funktionsfähigkeit der Schwimmwesten bereits vorab überprüft.
Umdenken im Projektmanagement
Der Begriff seemännische Gelassenheit beschreibt eine besondere innere Haltung: anzuerkennen, dass Dinge anders laufen können als geplant, und dass die Wirklichkeit nicht linear, sondern höchst komplex ist. Es geht um den Abschied vom „Wenn-Dann“-Denken. Die alten Kategorien „richtig“ und „falsch“ werden ersetzt durch „angemessen“ und „unnütz“. Das bedeutet für einen Projektleiter, immer in Alternativen zu denken und Pläne als einen möglichen Verlaufspfad zu begreifen, der jederzeit angepasst und verändert werden kann – und dies auch gegenüber den Projektmitarbeitern zu vertreten!
Ein seemännisch gelassener Projektleiter handelt hellwach, konzentriert, gut vorbereitet und unter Einsatz all seines Erfahrungs- und Methodenwissens über Projektmanagement – aber stets als Mensch und nicht als Funktionär irgendeiner Managementschule. Wer mit seinem professionellen Menschenverstand Projektüberraschungen von vornherein einbezieht, statt zu versuchen, sie durch statistische Methoden wegzukalkulieren, nimmt ihnen jeglichen Schrecken und stellt sicher, dass die Projektabläufe weiterhin nützlich sind. Genau das ist es letztlich, wofür der Projektleiter bezahlt wird. Denn Pläne stur abarbeiten könnte auch ein beliebiger Projektmitarbeiter.
Operative Hektik, Berichte auf den letzten Drücker und sinnloses Multitasking verschwinden, wenn die seemännische Gelassenheit Einzug hält. Diese Projektmanager spielen alternative Szenarien bereits im Vorfeld und nicht erst ad hoc durch. Sie bewahren in der schwierigen Situation Ruhe, strahlen diese aus und stabilisieren so die Lage.
Ein praktisches Beispiel aus einem Projektcoaching
Das Anliegen
Im Rahmen einer Umorganisation stellt ein mittelständischer Finanzdienstleister seine Bearbeitungsprozesse um. Dabei wird nicht nur die notwendige Differenzierung in Front-end- und Back- Office- Tätigkeiten sichtbar, sondern es wird auch deutlich, dass eine Führungsebene überflüssig ist. Der Projektleiter, der für das interne Organisationsprojekt in der Umsetzungsverantwortung steht, ist gleichzeitig einer derjenigen, die ihre alte Führungsposition verlieren und ein neues Team führen werden.
Die Ziele
Durch Coaching will der Vorstand als Auftraggeber die Projektleitungsfähigkeiten sowie die individuelle Kompetenz des Projektleiters, mit Veränderungen umzugehen, stärken. Der Auftrag umfasst zwei konkrete Handlungsziele des Klienten:
- Klärung der eigenen Rolle und Verantwortung im Spannungsfeld von Projektleitung und neuer Führungsposition
- Verbesserung der persönlichen Arbeitsorganisation (insbesondere die Fähigkeit zum Delegieren von Aufgabe und Verantwortung)
Der Prozess
In fünf halbtägigen Coachings arbeiteten der Projektmanager und ich an der Zielerreichung. Der Klient berichtete regelmäßig dem Auftraggeber. Das Coaching war nach vier Monaten abgeschlossen.
Zentrales Handlungsfeld des Coachings war Ziel 1 (Klärung der eigenen Rolle und Verantwortung): Der Klient war enttäuscht, seine Führungsposition „verloren“ zu haben und wollte nun in der Projektleitung beweisen, dass er eine gute Führungskraft ist. Die Übernahme der neuen Führungsaufgabe wollte er parallel bewältigen. Dabei spürte er aber eine permanente Überlastung und den starken Druck, „nichts liegenlassen zu können“. Der Klient wünschte sich mehr Gelassenheit …
Zunächst beschrieben wir in einer strukturierten Reflexion und mit Hilfe von Mindmaps die Ist-Situation. Statt sich der erstbesten Vermutung über die Gründe, die zu seiner Situation geführt hatten, zu bedienen, wurden bewusst zahlreiche Hypothesen aufgestellt. So war der Projektmanager schließlich in der Lage, die vor ihm stehende Veränderung als berufliche Herausforderung zu erfassen. Nicht mehr und nicht weniger.
In dieser Beratungsphase öffnete der Klient den Blick für die Kräfte, die ihn antrieben, und die Dinge, die ihn beruflich motivierten. Mit seinem Entschluss, zunächst seine Bedürfnisse und Kompetenzen in seine Arbeit einzubringen statt auf die vermeintlichen Erwartungen seiner Vorgesetzten zu achten, prägte der Projektleiter seinen Zielsatz: „Ich will nichts beweisen, ich werde es einfach zeigen.“
Zudem wurde rasch klar, dass die bloße Übertragung seines bisherigen Führungsstils nicht zu einer erfolgreichen Projektleitung führen würde, da das Repertoire des Klienten zu stark auf eine disziplinarische Führung ausgerichtet war. Er war unsicher, ob er ohne die Macht, Boni und Schulungsmaßnahmen zu genehmigen oder zu verweigern, von den Projektmitarbeitern für „voll genommen“ würde. Daher wollte er besonders die Fähigkeit entwickeln, eine Projektaufgabe erfolgreich an Mitarbeiter zu delegieren, auch ohne ihr direkter Vorgesetzter, sondern „nur“ Projektleiter zu sein.
So konnte er seine Energie gelassen auf die praktische Arbeit lenken und sich von der ehemaligen „Zeitfresser- und Demotivationshaltung“ verabschieden, unbedingt eine gute Führungsleistung unter Beweis stellen zu müssen. Der Klient wollte sein Projektmanagement systematisch betreiben, die Arbeitsintensität sinnvoll verteilen, um sich dann seiner Führungsaufgabe widmen.
In der nächsten Phase des Coachingprozesses erarbeitete sich der Klient einen neuen Ablauf für die Kick-Off-Sitzung des Projektes. Während er vorher die bestehende Unternehmenskultur fortsetzen und den Projektplan (ein MS Project GANTT- Diagramm und den hierarchischen PSP) in einer Beamer- Präsentation vorstellen wollte, konnte er nun „Motivation durch Sinn und Zusammenhang“ herstellen. Dazu lernte er alle Projektmitarbeiter im Vorfeld kennen. Der Klient entwickelte offene Fragen, mit denen er die individuelle Interessenlage, die aktuelle zeitliche Beanspruchung und die Erwartungen der Mitarbeiter erfassen konnte. Die ersten Interviews wurden von Klient und Coach gemeinsam reflektiert, wodurch der Projektleiter sein Gesprächsverhalten kontinuierlich verbesserte.
Nach dem Kick-Off bekam der Projektmanager viel positives Feedback auf seine „frische und auch auf unsere Interessen eingehende Art“, denn er hatte die Notwendigkeit des Projektes, die daraus abzuleitenden Prozessschritte und deren Verknüpfung zur Aufgabe jedes Einzelnen überzeugend dargelegt. Dass sich auch der Vorstand, der durch das Lob der Teilnehmer davon erfahren hatte, persönlich und mit hoher Wertschätzung nach seinem „neuen Stil“ erkundigte, freute den Klienten.
Im Anschluss an die Planungs- und Zielformulierungsarbeit war das Verfolgen von Ziel 2 (Verbesserung der persönlichen Arbeitsorganisation) für den Klienten erheblich leichter. Er hatte sich Zeit genommen, um herauszuarbeiten WER WAS bis WANN erledigen sollte und durch die Einzelgespräche mehr Vertrauen in die Motivation und Kompetenz der Mitarbeiter gewonnen. Nach dem erfolgreichen Kick-Off lief die Delegation dann „wie von selbst“.
Hinweis auf „Der Projektkapitän“- Springer Gabler, 2013
Der Projektkapitän
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