Projektziele und persönliche Ziele
Hochmotiviert krempelt das Projektteam die Ärmel hoch, entwickelt einen Rolloutplan, plant die Ressourcen und arbeitet mit Volldampf los – aneinander vorbei. Hinterher weiß man es wieder: “Über Ziele hätten wir sprechen sollen. Haben wir etwa doch nicht so genau gewusst, was wir überhaupt wollten?”
Ziele sollen SMART formuliert sein, dann klappt der Rest wie von allein, das ist ein alter Hut. Dennoch klappt es nur in den seltensten Fällen. Und warum? Oft liegt es daran, dass unklar ist, was denn das Ziel eigentlich ist. Dafür reicht es aber nicht, ein Projektziel aus dem Boden zu stampfen und SMART zu formulieren. Vielmehr gleichen Projektziele Bäumen. Und jeden Ast sollte man unter die Lupe nehmen. Eines haben alle Ziele gemein: Niemand kennt die Ziele anderer, solange er nicht umfassend danach fragt. Und mehr ist es auch nicht, was wir von den Zielen der Menschen in einem Projekt um uns wissen: wir müssen sie danach fragen!
Was der Kunde anfangs will
Der Kunde weiß am Anfang oft nur, dass er den aktuellen Zustand verändern möchte. Stellen Sie sich einmal vor, Sie suchen nach einem neuen Auto und gehen in ein Autohaus. Ein Verkäufer kommt auf Sie zu, begrüßt Sie herzlich und führt sich gleich zu einem Wagen. “Ich habe genau das Richtige für Sie. Sehen Sie sich einmal diesen hier an…”, sagt er und deutet auf einen schnittigen 2-Sitzer. Allerdings suchen Sie einen Wagen, in den Ihre 5-köpfige Familie mit allem nötigen Zubehör passt. “Warum hat er mich nicht gefragt?” denken Sie sich. Und schon fühlen Sie sich unverstanden.
Dieses Gefühl kann der Verkäufer nur schwer wieder umdrehen. Auch wenn Sie ihm jetzt erzählen, was Sie wirklich suchen, vermuten Sie sehr wahrscheinlich unterschwellig weiterhin, dass er nicht 100%ig auf Sie eingeht. Wäre er dagegen auf Sie zugekommen und hätte Sie nach der Begrüßung gefragt, was Sie sich von Ihrem neuen Wagen wünschen, hätten Sie sich von Anfang an besser aufgehoben gefühlt.
Gute Fragen und individuelle Lösungen statt „Schema F“
Ihren Kunden geht es ganz ähnlich. Wenn Sie ihm nach den ersten Stichworten eine Lösung präsentieren, die “die meisten anderen Kunden so haben wollen”, dann fühlt er sich schnell unverstanden – sein Problem ist schließlich nicht das gleiche wie die Probleme aller anderen. Er will, dass Sie ihn individuell sehen, und je besser Ihnen das gelingt, desto detaillierter lässt sich das Ziel beschreiben, dass Ihr Kunde erreichen will.
Daher gilt es, zu fragen, zu fragen und zu fragen. Keine Sorge, anhand gezielter Fragen erkennt Ihr Kunde schnell, ob Sie Experte auf Ihrem Gebiet sind, also ob Sie wirklich eine passende Lösung ausarbeiten können. Wird er mit seinem Problem ernst genommen, agieren Sie auf Augenhöhe. Und selbst wenn Sie anschließend anbieten, Ihre Lösung in einigen Teilen anzupassen, damit Sie genau zu ihm passt, wird ihm das eher recht sein, solange Sie damit seine Knackpunkte erkannt und gebannt haben und ihm das auch darlegen.
Die Frage nach dem Sinn
“Wen muss ich eigentlich fragen, damit ich ein passendes Ziel finde?”, fragen sich anfangs viele. Methoden, mit der sich Stakeholder identifizieren lassen, gibt es eine Menge. Eine Kernfrage aber ist meiner Meinung nach oft noch vernachlässigt: Die Frage nach dem Sinn des Projektes.
Für den Sinn ist es notwendig, das Projekt nicht einzeln und losgelöst zu sehen, sondern eingebettet in das Unternehmen und sogar in den Wirtschaftskreislauf. So kann es durchaus vorkommen, dass der Sinn eines Projektes ist, einen strategisch wichtigen Kunden zu gewinnen, mit dem Ihr Kunde eine neue Marktposition erreichen würde. Dafür nimmt er vielleicht sogar in Kauf, dass das Projekt mit Verlust durchgeführt wird, sofern dieser wichtige Kunde gewonnen wird. Damit wird eben dieser auch zu einem der wichtigsten Stakeholder, schließlich soll vor allem er rundum zufrieden gestellt werden.
Ebenso ist es möglich, dass Ihr Kunde sich Top-Bewerbern besser darstellen möchte. Darum will er die Zufriedenheit seiner Mitarbeiter erhöhen und dann mit guten Arbeitgeberbewertungen eine höhere Reputation erreichen. In diesen Fällen geht es auch um finanziellen Gewinn. Aber eben erst später, der Gewinn steht nicht mit dem ersten Schritt im Vordergrund. Erst auf lange Sicht wird es sich auszahlen, den wichtigen Kunden und die Top-Bewerber gewonnen zu haben. Sieht man in solchen Fällen ausschließlich den Gewinn als Ziel, schafft das für das Projekt Restriktionen, die das Sinn-Ziel behindern und damit auch den damit erhofften finanziellen Gewinn unmöglich machen können.
Projektziele und persönliche Ziele
Was der Kunde im Laufe des Projektes will
Ist einmal ein Projektziel definiert, ist dieses in der Regel nicht statisch, sondern verändert sich im Laufe des Projektes. “Nichts ist so beständig wie der Wandel” hat schon Heraklit von Ephesus gesagt. Und genau so ist es auch in Projekten. Was gestern noch Gesetz war, ist heute eine Richtlinie und morgen vielleicht nur noch eine Idee. Ein solcher Wandel passiert ständig und aus den unterschiedlichsten Gründen. Technischer Fortschritt kann dabei ein Punkt sein, also alles von einer neuen Softwareversion mit neuen Anforderungen an die Systemlandschaft, über neue Hardware, die viel mehr Möglichkeiten bietet als bisher, bis hin zu völlig neuen Ansätze wie dem Cloud Computing. Ein weiterer Grund kann im Unternehmen selbst liegen, wenn sich beispielsweise die Anzahl der Nutzer einer neuen Software ändert oder gar die Ausrichtung der Unternehmensstrategie.
Die einmal entwickelten Ziele sind also nicht in Stein gemeißelt, sie verändern sich manchmal sogar sehr schnell. Aus diesem Grund ist es wichtig, sie regelmäßig kritisch zu hinterfragen, also den Zielentwicklungsprozess in Teilen immer wieder neu aufzurollen mit Fragen wie “Sind meine Stakeholder noch meine Stakeholder?”, “Wie wichtig sind sie?” und nicht zu vergessen “Hat sich der Sinn des Projektes verändert?”.
Ergebnisse reflektieren und Feedback einarbeiten
Dieses kritische Hinterfragen lässt sich auch dadurch unterstützen, indem Sie Ihrem Kunden regelmäßig die Arbeitsergebnisse und die nächsten Schritte reflektieren und sich Feedback einholen. In Zeiten von Scrum und ähnlichen Frameworks ist das schon vorgesehen, daher möchte ich eher auf das „Wie?“ eingehen.
Sie kennen sicher die Aussage von Konfuzius: “Erzähle es mir – und ich werde es vergessen, zeige es mir – und ich werde mich erinnern, lass es mich tun – und ich werde es behalten.” Diese drei Schritte lassen sich auch wunderbar auf die Reflektion von Arbeitsergebnissen und -schritten anwenden.
Erzählen Sie Ihrem Kunden, wie der aktuelle Stand aussieht, haben Sie beide in der Regel unterschiedliche Bilder im Kopf. Das ist ganz selbstverständlich und darauf zurückzuführen, dass wir alle in unserem Leben unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Sie können das ganz einfach testen: Bitten Sie zwei Personen unabhängig voneinander, sich ein Bild eines Elefanten vorzustellen und es mit Worten zu beschreiben. Der eine mag sich den Elefanten in einer Herde durch die Steppe ziehend vorstellen, der andere an einem Wasserloch oder als bunt geschmückte indische Heiligkeit. Auch wenn sich diese Personen austauschen, ist es kaum möglich, das Bild 100%ig zu vermitteln, somit bleiben Informationslücken.
Sie können Ihrem Kunden den Projektstand auch zeigen, beispielsweise mit Hilfe von Screenshots oder kleinen Live-Präsentationen. Damit konvergieren die Bilder aller Beteiligten schon um Einiges mehr. Stellen Sie sich das Arbeitsergebnis als eine Landkarte vor, können Sie ihm expliziert Punkte und kleinere Wege zeigen. Ihr Kunde hat so einen genaueren Überblick über die Punkte, die Sie ihm zeigen, alles war dazwischenliegt, erfährt er in diesem Moment allerdings nicht. Das muss nicht schlimm sein und ist besonders dann hilfreich, wenn Sie schon vorhandenes Wissen erweitern, also zusätzliche Informationen geben möchten. Zeitlich unterscheidet sich diese Art oft nicht vom mündlichen Vortrag, die Arbeit, die Sie in die Erstellung der Screenshots oder Live-Präsentation investieren, sparen Sie sich bestimmt später durch geringere Nacharbeiten.
Noch sicherer, dass Sie Ihrem Kunden ein komplettes Bild geben, können Sie sein, wenn Sie ihn selbst mit der aktuellen Version eines Arbeitsergebnisses probieren lassen. Er kann sich dann zum Beispiel selbst durch einen Buchhaltungsvorgang arbeiten oder eine Bestellung durchführen. Der große Vorteil ist, dass auch hier versteckte Punkte wie eine irreführende Benutzerführung auftauchen, diese bleiben oft unentdeckt, wenn Sie dem Kunden die Schritte lediglich zeigen. Diese Methode macht sicher an Schlüsselpunkten des Projektes Sinn, ist im Projektalltag aber zeitlich nicht in jeder Feedbackschleife durchführbar.
Die persönlichen Ziele
Unter Lemmingen scheint es verbreitet, dass jeder macht, was alle machen, ohne den Nutzen für sich selbst zu hinterfragen. Unter Menschen ist das weitaus seltener der Fall. So hat jeder Mensch ganz persönliche Ziele, die er offen mit seinen Mitmenschen teilt oder auch nicht. Das kann sein, dass er mit der Arbeit in diesem Projekt eine Referenz für spätere Projekte bekommen möchte, dass er Wissen aufbauen möchte, dass er in der Zukunft nutzen kann oder dass er einfach ruhig an Themen arbeiten kann, die er gerne tut. Wer mit seiner Arbeit zufrieden ist und mit ihr seine persönlichen Ziele verfolgen kann, arbeitet gern. Wer also überwiegend die Arbeiten erledigen kann, die er mag und wer den Verantwortungsrahmen hat, mit der er sich wohl fühlt, macht seine Sache gern und damit in der Regel auch gut.
Allerdings sprechen wir nur sehr selten miteinander über unsere persönlichen großen und kleinen Ziele. Vielleicht sogar, weil wir uns ihrer gar nicht bewusst sind, möglicherweise aber auch, weil uns im ersten Moment gar nicht bewusst ist, dass andere Menschen andere Ziele haben können und wir unsere Ziele als selbstverständlich ansehen.
Wer soll das machen?
Die Frage „warum bin ich hier und was kann ich wertvolles leisten?“ sollte sich jeder selbst stellen und ehrlich beantworten. Darüber hinaus ist das aber auch eine wichtige Aufgabe des Projektleiters und der Teilprojektleiter, sich über die Ziele Ihrer Teammitglieder Gedanken zu machen. Wenn sie wissen, wie die Menschen in ihrem Team “ticken”, können sie jedem die Aufgaben und die Verantwortungen geben, die er wirklich haben möchte.
Fragen hilft hier allerdings nur bedingt. Gerade in temporären Teams, in Projekten der Regelfall, wird gegenseitiges Vertrauen schwerer aufgebaut. Damit sinkt die Bereitschaft jedes Einzelnen, offen über seine Ziele zu sprechen, besonders dann, wenn derjenige sie als nicht ganz gesellschaftsfähig ansieht. Wer sich geniert, offen zu sagen, dass er sich von einem Projekt einen Karrieresprung verspricht, wird lieber andere Ziele vorschieben, derer er sich nicht zu schämen braucht. Oft sind das Kollegen, die einzig den Nutzen für den Kunden aufzeigen. Hier gilt es also, Augen und Ohren ständig offen zu halten und zu beobachten, wie die Teammitglieder in ihren Rollen “aufgehen”.
Fazit
Es geht also darum, nicht nur ein einziges Ziel zu sehen, sondern zu erkennen und im Auge behalten:
- Bauen Sie zu Ihrem Kunden eine gute Beziehung auf und gehen auf das ein, was er sich wirklich wünscht, damit Sie seine Ziele klar vor Augen haben. So können Sie zielgerichtet starten.
- Bleiben Sie am Ball und interviewen Ihren Kunden regelmäßig, damit Sie veränderte Ziele schnell erkennen. So bleiben Sie beweglich und können schnell agieren.
- Und teilen Sie Ihr Projektteam so ein, dass jedes Teammitglied Aufgaben und Verantwortungen übernimmt, die ihm liegen. So haben Sie ein Projektteam, das gern und verlässlich arbeitet.
Hinweise:
Informationen über Stephanie Selmer und über IT-Erfolg mit Herz und Hirn finden Sie unter http://www.focus-teamwork.de/
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