Raus aus dem Mikromanagement
Vor einigen Wochen hielt ich einen Vortrag vor einer Gruppe Führungskräfte und Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen. „Raus aus dem Mittelmaß“ war das Thema und es ging um Veränderung und Innovation. In meinem Vortrag ging ich darauf ein, welche Voraussetzungen für eine innovative Unternehmenskultur vorliegen müssen – und natürlich spielt das Thema „Leadership“ dabei eine entscheidende Rolle. Im Rahmen von Innovationsprozessen ist es nämlich erforderlich, dass Führungskräfte nicht nur die Innovationsrichtung mit vorgeben, sondern die Belegschaft auch auf den Umgang mit Innovationen vorbereiten und sie entsprechend begleiten.
Keiner der Führungskräfte und Geschäftsführer schaute begeistert, als ich auf die Verantwortung der Leader im Rahmen innovationsbezogener Prozesse hinwies. „Wie sollen wir das machen neben all der Arbeit, die wir eh schon haben?“ „Das ist ja alles schön und gut, was Sie da sagen, aber ist Ihnen eigentlich klar, was wir sonst noch so zu tun haben?“ So und ähnlich lauteten die Einwände der Teilnehmenden. Ich hörte mir die Kommentare geduldig an, ließ die Zuhörer „Dampf ablassen“ und wollte gerade in einen Dialog einsteigen, um die Teilnehmenden zur Lösung zu moderieren. In diesem Moment kam mir jedoch einer der Teilnehmenden zuvor und sagte: „Wenn ich mir das alles so durch den Kopf gehen lasse, was Sie gerade gesagt haben, dann klingt das erst einmal viel und nicht zu schaffen. Auf der anderen Seite sehe ich ein, ist es wichtig, die Mitarbeitenden mitzunehmen, das habe ich verstanden. Was ich für mich daraus lerne ist, ich muss raus aus meinem Mikromanagement und dann habe ich auch Zeit, durch Innovationsprozesse zu führen.“
Und das ist genau richtig! Mikromanagement – das kennen wir alle. Auch die Vortrags-Teilnehmenden konnten sofort einen Bezug zu ihrem täglichen Business herstellen. Und vermutlich geht es Ihnen genauso wie den Vortrags-Teilnehmenden: Niemand fühlt sich in dieser Mikromanagement-Rolle wirklich durchgängig wohl. Doch wie ist es möglich, aus diesem Führungsmodus auszubrechen?
Raus aus dem Mikromanagement – Zeit für Veränderung
Diese vier Kernelemente sollten dabei genauer unter die Lupe genommen werden:
- Vertrauen aufbauen: Mikromanagement ist häufig eine Folge von Misstrauen – entweder den Mitarbeitenden oder den eigenen Führungs- und Delegationskompetenzen gegenüber. Misstrauen vergiftet nicht nur das Arbeitsklima, sondern hat auch noch einen weiteren negativen Aspekt: Je mehr Führungskräfte mikromanagen, umso weniger Verantwortung für Ergebnisse und Arbeitsprozesse landet da, wo sie landen sollte, nämlich bei den Mitarbeitenden. Mikromanagement ist folglich eine wunderbare Basis für Denk- und Handlungsfaulheit, die dann wiederum die Führungskräfte darin bestärkt, auf alles und jeden ein Auge haben zu müssen, weil „sonst ja nix funktioniert“. Die entscheidende Frage lautet hier also: Wo sind die Quellen des Misstrauens und was ist notwendig dafür, dass sie versiegen können?
- Delegieren üben: Im Mikromanagement steckt ein Haufen operativer Aufgaben, die nicht von Führungskräften selbst erledigt werden müssen, sondern an Mitarbeitende abgegeben werden können, die über entsprechende Fähigkeiten und Kompetenzen verfügen. Wer sich vom Mikromanagement entwöhnen möchte, sollte daher schauen, welchen Mitarbeitenden er oder sie so viel Vertrauen schenken kann, dass bestimmte operative Aufgaben delegiert werden können. Hierbei kann die 70%-Regel helfen. Wenn Sie im Wesentlichen glauben, dass die Person die delegierte Aufgabe zu mindestens 70% erfüllen kann, dann sollten Sie ihr die Verantwortung dafür übertragen.
- Fehlertolerant werden: Jedes Delegieren von Aufgaben ist potenziell fehleranfällig. Das ist quasi systemimmanent, denn selten denken zwei Köpfe in die gleiche Richtung und führen die Aufgabe identisch aus. Das macht auch nichts, wenn eine gewisse Fehlertoleranz vorhanden ist. Um grobe Schnitzer zu vermeiden, kann eine weitsichtige Führungskraft schon im Prozess des Delegierens auf mögliche Fallstricke und Fehlerquellen hinweisen. Sollten dennoch Fehler passieren, so sind die immer eine gute Möglichkeit, daraus zu lernen. Führungskräfte und Mitarbeitende profitieren von dieser Erfahrung gleichermaßen.
- Delegieren oder nicht? Bei der Frage, welche Aufgaben delegiert werden können, ist die Frage nach der unternehmerischen Bedeutung einer Aufgabe entscheidend. Manche – auch operative – Aufgaben sind so essentiell und von solcher Wichtigkeit, dass sie von niemand anderem übernommen werden können. Ein Geschäftsführer sollte beispielsweise die Frage der zukünftigen strategischen Ausrichtung des Unternehmens niemals anderen überlassen. Eine Führungskraft sollte Mitarbeitergespräche nicht delegieren. Folgende Fragen können bei der Delegations-Entscheidung helfen:
- Ist der Erfolg der Aufgabe essentiell für das Unternehmen?
- Ist die Aufgabe von strategisch wichtiger Bedeutung für das Unternehmen?
- Ist es wichtig, dass die Aufgabe möglichst fehlerfrei erledigt wird?
- Ist es entscheidend, dass bei dieser Aufgabe die Geschäftsführung oder die Führungskraft sichtbar nach außen tritt?
- Ist die Aufgabe für das Unternehmen/die Abteilung überlebensentscheidend?
Vermutlich werden Sie recht schnell feststellen, dass es viele Aufgaben gibt, die Sie als Führungskraft oder Geschäftsführung selbstverständlich übernommen haben, die nicht unter die eben genannten Kontrollfragen fallen. In diesem Fall können Sie getrost loslassen – und delegieren.
Ich selbst stelle mir diese Fragen übrigens regelmäßig selbst auch – denn auch ich neige, als geschäftsführende Gesellschafterin von drei Unternehmen, zum Mikromanagement. Sobald eine Aufgabe jedoch nicht in die Kontrollfragen fällt und ich die Möglichkeit habe, sie zu delegieren, mache ich genau das.
Alles andere wäre schädlich und fahrlässig, denn als Unternehmerin und Geschäftsführerin erwartet unser Team von mir, dass ich den Überblick behalte, strategische Entscheidungen treffe und das Unternehmen so lenke, dass wir mögliche Krisenherde umschiffen. Je mehr ich mich im Mikromanagement verheddere, umso weniger bin ich in der Lage, diese „Leuchtturm-Funktion“ zu übernehmen.
Dadurch, dass ich jedoch viele, auch verantwortungsvolle Aufgaben vertrauensvoll abgebe, erreiche ich einen weiteren positiven „Nebeneffekt“: Unser Team übernimmt Verantwortung – und zwar jedes Teammitglied in seinem bestimmten Bereich. Denk- und Handlungsfaulheit gibt es bei uns nicht. Im Gegenteil: Sind Kreativität und Innovationskraft gefragt, ist jedes Teammitglied zur Stelle.
Hinweis
Futability®, Innovation und Leadership sind Kernthemen von Melanie Vogel, die sie nicht nur als Dozentin an der Universität zu Köln unterrichtet, sondern auch in Vorträgen, Keynotes, Webinaren und Seminaren mit Unternehmern, Personalern und Führungskräften teilt. Das von ihr entwickelte „Futability®-Konzept“ ist ihre Antwort auf die VUCA-Welt. Ihr Buch „Futability® – Veränderungen und Transformationen bewältigen und selbstbestimmt gestalten“ ist im Februar 2016 erschienen und kann online bestellt werden unter www.futability.com.
Diesen Artikel sollten sich viele Chefs „hinter den Spiegel stecken“. Aus meiner langjährigen Erfahrung als Projektleiter kann ich nur ergänzen, dass Mikromanagement in der Projektarbeit nicht funktioniert und für komplexe Vorhaben tödlich ist. In Projekten sind i.d.R. viele Mitarbeiter mit sehr umfangreichen speziellen Kenntnissen erforderlich, die man als Leiter gar nicht haben kann. Bewahrung des Überblicks, sinnvolle Verteilung der Aufgaben, Vertrauen in die Mitstreiter und gute Motivation sind m.E. die besten Voraussetzungen für den Erfolg eines Projektes. Leider hat man nicht nur mit Projektmitarbeitern, sondern teilweise auch mit verschieden internen und externen Leitungsebenen und Stakeholdern zu tun, die diese Einsichten nicht teilen. An diesen Stellen wünscht man sich fähige Chefs und nicht Chefs die „zu allem fähig sind“.