Selbstorganisierte Teams?! Und was macht dann der agile Projektleiter?
Viele Unternehmen setzen mittlerweile auf agile Teams und eine höhere Selbstorganisation bei den Mitarbeitern. Die Ziele sind klar: Teams sollen schneller auf komplexe Änderungen und individuelle Wünsche im Projekt reagieren können. Die Umsetzung ist dabei meist sehr einfach erklärt. Führungskräfte und Manager sollen den Mitarbeitern Vertrauen schenken und ihren Teams die Möglichkeiten geben, selbst Entscheidungen zu treffen (Teamautonomie). Das klingt zunächst sehr einfach.
Doch was bedeutet diese Aussage konkret? „Ich vertraue meinen Mitarbeitern und lasse sie selbstorganisiert arbeiten.“ Manch einer mag dabei denken: Lasse ich meine Mitarbeiter dann einfach in Ruhe und kümmere mich um nichts mehr oder soll ich sie durch gezielte Fragen als Coach begleiten? Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, als Vorbild zu agieren oder sogar als Führungskraft oder Leiter im Projekt auf Augenhöhe mitzuarbeiten. Doch wie setze ich nun eine solche agile Führung um und wie soll ich mich verhalten? Vielen Projektleitern und Führungskräften ist das aktuell noch völlig unklar.
Studie zu agiler Führung
Gemeinsam mit Tobias Greff vom AWS Institut für digitale Prozesse habe ich deswegen eine umfangreiche Studie mit 66 Führungskräften, Projektleitern und Scrum Mastern durchgeführt. Die Studie untersuchte, welche praxisrelevanten Herausforderungen die Digitalisierung für die Führung mit sich bringt und wie aus Sicht von Führungskräften auf diese reagiert werden kann. In einer Gruppendiskussion mit diesen Führungskräften wurden Herausforderungen der Digitalisierung identifiziert, die in der Studie die Grundlage für eine nähere Beschreibung und Analyse lieferten. Mögliche Lösungsansätze wurden in einer anschließenden Befragung der Führungskräfte detailliert analysiert. Die Ergebnisse der Befragung führen zu Handlungsempfehlungen für eine agile, generationenorientierte und virtuelle Führung. Ich möchte in diesem Blogartikel anhand der Erkenntnisse zur agilen Führung aufzeigen, wie ein Projektleiter heute agiler führen kann.
Was ist agile Führung?
Den Aussagen der Projektleiter und Führungskräfte zufolge ist das Ziel der agilen Führung die Förderung der Selbstorganisation von Individuen und Teams. Die Befragten äußerten, dass man „agil und flexibel“ auf die jeweiligen Mitarbeiter eingehen solle. Wir kamen schnell zur Erkenntnis, dass Agilität also eher ein „Mindset“, eine „Verhaltensweise“ oder „persönliche Einstellung“ einer Führungskraft ist. Die Debatte rund um die “agile Führung” dreht sich also nicht um Methoden, sondern vielmehr um die Persönlichkeit einer Führungskraft.
Das Verhalten von Managern ist ein viel diskutiertes Thema. Schaut man in aktuelle Fachzeitschriften, finden sich zahlreiche Artikel über Manager, die sich trotz schlechter Leistung Boni auszahlen lassen. Nicht selten liest man, dass nach Fehlentscheidungen des Top-Managements zahlreiche Arbeitsplätze verloren gehen, was die Manager jedoch kaum zu interessieren scheint. Grundlegende Werte und Prinzipien werden offenbar von Führungspersonen missachtet. Gleichzeitig gewinnen jedoch Manager wie Daimler CEO Dieter Zetsche durch unkonventionelle, öffentliche Aktionen, wie z.B. seinen Auftritt im “Do Epic Shit” T-Shirt im Februar 2018 an Sympathie.
Speziell als Führungskraft sind Eigenschaften wie Charisma, Kommunikationsfähigkeit, Authentizität, Kontinuität und Courage zunehmend wichtig. Auch im agilen Kontext rückt dabei die eigentliche Führungsmethodik in den Hintergrund. Was könnte Sie also zu einer agilen Führungskraft machen? Verhalten, Charakter und Mindset. Das sind jedoch sehr schwammige Attribute. Deswegen haben wir eine wichtige Erkenntnis in unser Studie gewinnen können, die wir anschließend konkretisiert haben. Sie lautet:
Agile Führung fordert ein agiles Leitbild
Dazu haben wir in der Fachliteratur nachgelesen und fanden dort zahlreiche Leitbilder, die alle in irgendeiner Form gewisse Charaktereigenschaften von der Führungsperson forderten. Beispiele sind Offenheit und Vertrauen, Geschwindigkeit, Flexibilität und vieles mehr. Im Gespräch mit den Führungskräften und Projektleitern ist uns aufgefallen, dass es nicht darum geht, hundert Prozent flexibel oder schnell oder offen zu sein, sondern dass ein guter Mix verschiedener Eigenschaften wichtig ist. Deswegen haben wir die Führungskräfte und Projektleiter die vielen ermittelten Werte priorisieren lassen. Es stellte sich heraus, dass man als Führungskraft eine Art DJ sein sollte, der die verschiedenen Werte je nach Situation in die richtige Balance bringen kann. Anhand der am höchsten priorisierten fünf Werte möchte ich hier einige Beispiele geben:
Wertebalance agiler Führung
Sie sehen, dass es offensichtlich nicht darum geht, vollkommen agil zu sein. Es geht nur darum, gewisse Werte sinnvoll auszutarieren. Beispielsweise ist es nicht immer gut, nur schnell zu sein, obwohl Geschwindigkeit eine sehr hohe Bedeutung hat. Projektergebnisse sollen schnell am Markt ausprobiert werden, um den Nutzen zu testen und die sinnvolle Weiterentwicklung anhand von Feedback voranzutreiben. Dennoch darf die Qualität der Ergebnisse natürlich nicht komplett vernachlässigt werden. Feste Ziele sind immer noch wichtig. Allerdings sollen die Mitarbeiter auch inspiriert werden, eigene Ideen in das Projekt einzubringen. So führen feste Ziele manchmal doch zu einer engstirnigen Sicht und verhindern vielleicht Innovationen. Trotz starker Veränderung bleibt Stabilität wichtig. Nicht jeden Tag sollen sich Anforderungen ändern und alles flexibel gehalten werden. Selbst die agile Methode Scrum fordert dazu auf, alle Anforderungen innerhalb eines Sprints für 2 Wochen stabil zu halten. Die Begegnung mit den Mitarbeitern auf Augenhöhe wird laut unserer Studie immer wichtiger. Trotzdem dürfen Autorität und Durchsetzungskraft nicht fehlen. Sicher müssen Sie als Projektleiter auch in Zukunft noch viele Entscheidungen treffen und im klassischen Sinne das Projekt repräsentieren. Der letzte Punkt behandelt das Gleichgewicht zwischen Vertrauen und Kontrolle und ist ein wichtiger Faktor bei agilen Teams. Vertrauen wiegt mehr, allerdings ist es nach wie vor wichtig, zu kontrollieren, ob jedes Teammitglied noch den „Zug zum Tor“ hat und das Projekt weiterhin abgestimmt nach den Unternehmenszielen ablaufen kann.
Fazit und weitere Erkenntnisse
Sie merken, dass agile Führung insgesamt noch sehr schwammig definiert ist und in jedem Fall individuell von der Führungskraft gelebt werden muss. Klar ist nur, dass, wenn Sie agil führen möchten, es um Sie selbst geht, also um Ihre Persönlichkeit und Einstellung sowie ihr Einfühlungsvermögen in die Mitarbeiter und die jeweilige Situation.
Außerdem haben wir aus der Studie weitere Punkte ableiten können, die ich kurz und knapp als Impulse oder Guideline für Ihre Führung auflisten möchte:
- Basis: Es gibt das einheitliche Verständnis, dass eine agile Führungskraft über soziale, technologische und visionäre Fähigkeiten verfügen sollte, die trainiert werden können.
- Primärcharakteristika sind Führung auf Augenhöhe, Vertrauen in Mitarbeiter, Experimente, Echtzeit-Informationen und Inspiration fördern.
- Sekundärcharakteristika sind Echtzeit-Feedback, Agilität vorleben, Partizipation und Change leben.
- Weiterbildung: Führungskräfte bilden sich in der Praxis regelmäßig per Internetrecherche, durch Konferenzbesuche oder den Austausch mit anderen Führungskräften weiter.
- Trial and Error: Da “Learning by Doing” für Führungskräfte die verbreitetste Lernmethode darstellt, wird geraten, das Führungsleitbild direkt an den Arbeitsalltag anzupassen. Experimentierfreude ist hier besonders gefragt!
Interessiert Sie unsere Studie in voller Länge? Dann können Sie sie zum Beispiel bei Springer Professional erhalten. Die Literaturangabe lautet wie folgt:
Lindner, D., & Greff, T. (2018). Führung im Zeitalter der Digitalisierung – was sagen Führungskräfte. HMD – Praxis Der Wirtschaftsinformatik, 7(1), 20.
Lesen Sie mehr von Dominic Lindner auf seiner Website: https://agile-unternehmen.de/dominic-lindner/
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