Softwareeinführung in China – Interview mit Rudolf Siebenhofer

von | 04.01.2016 | in-STEP BLUE anwenden

Wie gehen Sie als deutsches Unternehmen vor, wenn Sie eine Softwareeinführung bei einem Kunden in China durchführen wollen? Ein Gespräch über Erfahrungen und Herausforderungen mit Rudolf Siebenhofer, IT-Berater, Lehrbeauftragter am Institut für angewandte Informatik der Universität Klagenfurt und allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für IT-Projektmanagement, und Michael Schenkel von microTOOL.

Michael Schenkel: Ni hao Herr Siebenhofer. Ich grüße Sie. Schön haben Sie es hier in Steyr. Wie kommt man denn von Steyr nach China?

Rudolf Siebenhofer: Oh, das ist eine spannende Frage: Wissen Sie, ich habe da eine „Connection“ zu China, seit meinem 6. Lebensjahr! Das war 1964 zu Beginn der Kulturrevolution –  das habe ich schon mehrmals Medienvertretern in China beschrieben.

Michael Schenkel: Wie das?

Rudolf Siebenhofer: Nun, die Geschichte ist ganz einfach: Ich habe seit meinem 6. Lebensjahr durch meinen Vater Informationen über China mitbekommen – über Radio Beijing. Informationen, die ich natürlich später mit meinen eigenen Augen relativiert habe. Aber die Faszination China – die andere Sprache, die andere Schrift, diese andere Kunst und Kultur – die ist geblieben und als ich die Möglichkeit bekommen habe, für einen großen internationalen Konzern – Siemens – ab 1986, also kurz nach der Öffnung Chinas als Trainer an 18 chinesischen Universitäten zu arbeiten, habe ich diese sofort ergriffen. Immerhin war ich es mit meinem Labor in Wien, zusammen mit der Universität in Konstanz, die die ersten Großrechner und PCs nach China lieferten, die chinesische Zeichen verarbeiten konnten – lange Zeit bevor es „Uni-Code“ gab. Und danach gab es immer wieder Software Projekte in China abzuwickeln.

Michael Schenkel: Sie waren vor kurzem für eine Softwareeinführung beim Automobilhersteller Geely in Hangzhou. Wo liegt denn Hangzhou?

Rudolf Siebenhofer: Ca. 280 km von Shanghai oder 1-2 Zugstunden in Richtung Südwesten. Hangzhou ist eine der Schönsten Städte Chinas. Dort sagt man: “Im Himmel hat man das Paradies, auf Erden hat man Hangzhou” – und das ist nicht ganz unzutreffend. Darum habe ich dort schon einmal – 2005 – ein Software Unternehmen aufgebaut und bei der Öffnung war mein Ehrengast der heutige Staatspräsident Xi Jinping, damals Provinz Gouverneur von ZheJiang.

Michael Schenkel: Beeindruckend! Wie sind Sie denn mit diesen Erfahrungen die ersten Schritte bei Ihrer jetzigen Softwareeinführung angegangen?

Rudolf Siebenhofer: Nun, zuallererst war es einmal notwendig, sich mit dem verantwortlichen Manager über die Ziele des Einführungsprojektes abzustimmen. Dabei hat sich sehr rasch herausgestellt, dass der Kunde einen sehr anspruchsvollen Weg gewählt hat, nämlich den Prozess Automotive SPICE gleichzeitig mit dem Werkzeug in-STEP BLUE und das noch dazu in einer bereits gestarteten Produktentwicklung eines Automobiles einzuführen. Dabei wurde von Beginn an kommuniziert, bis wann ein Automotive SPICE Level 3 zu erreichen ist – das war eine Vorgabe des Top-Managements des Kunden zur Unterstützung einer unternehmensweiten Qualitätsinitiative.

Michael Schenkel: Das haben Sie auf Chinesisch oder auf Englisch besprochen?

Rudolf Siebenhofer: Ich kann zwar ganz gut Chinesisch, aber Englisch ist dann doch besser geeignet. Die meisten Chinesen, die an solchen Projekten beteiligt sind, sprechen oder verstehen Englisch.

Michael Schenkel: Wie hat Ihnen denn der Ansatz gefallen, gleichzeitig Automotive SPICE und eine Software dafür einzuführen, und das in einem laufenden Projekt?

Rudolf Siebenhofer: Ich hätte es bevorzugt, zuerst einmal ein Pilotprojekt zur Einführung von Prozess und Werkzeugen zu starten. So empfehle ich das ja auch als Trainer in Requirements Engineering Seminaren. Aber Herausforderungen sind dazu da, angenommen zu werden. Es geht ja darum, dem Kunden zu sagen WIE es geht, und nicht WARUM ES NICHT geht. Aber eine Herausforderung war dieser Ansatz schon.

Michael Schenkel: Und wie sind Sie diese Herausforderung dann angegangen?

Rudolf Siebenhofer: Es war zuallererst wichtig, sich einmal einen Überblick zu verschaffen, welches Prozess Know-how das Team des Kunden hat, wie weit die Anwender beim Kunden sich schon im Vorfeld mit einigen Grundlagen des Tools vertraut gemacht haben. Darüber hinaus war es wichtig gleich zu Beginn zu analysieren, wie denn die IT-Landschaft des Kunden aussieht. Dabei kamen dann gleich die nächsten Herausforderungen zu Tage: Die IT-Abteilung des Kunden ist vom Standort der Entwicklung gleich einmal einige hundert Kilometer entfernt. Dann war es noch wichtig, die Projektorganisation des Kunden zu verstehen, um für die Einführung geeignete Trainingskonzepte für die unterschiedlichen Stakeholder des Projektes planen zu können. Es kam ja auch noch die zeitliche Randbedingung dazu, dass für den Vorlauf des Projektes nur 4 Wochen zur Verfügung standen und das Training mit der Basiseinführung in weiteren 4 Wochen noch vor dem chinesischen Neujahr abgeschlossen werden musste.

Als Vorteilhaft hat sich hier erwiesen, bereits im Vorfeld in einigen Telefonkonferenzen mit dem Kunden möglichst viele Details des Einführungskonzeptes abzustimmen, um hier wirklich möglichst genau auf die Wünsche des Kunden eingehen zu können.

Michael Schenkel: Und wie haben dann das Einführungskonzept und Schulungskonzept ausgesehen?

Rudolf Siebenhofer: Nun, wir haben eine Einführungsschulung beim Kunden von 10 Tagen geplant – mir wäre eigentlich ein Konzept von 5 Tagen, dann 2-3 Wochen praktische Erfahrungen und dann noch einmal 5 Tage sympathischer gewesen, aber man muss eben auch Lösungen in nicht optimalen Situationen finden. Als besondere Herausforderung hat sich dann aber die Anforderung des Kunden herausgestellt, bereits in den ersten Einführungsschulungen an ein produktives Entwicklungsprojekt heranzugehen. Als Zielgruppen wurden dann einmal die Mitarbeiter mit der Verantwortung für die Prozesse definiert, die auch in-STEP BLUE administrieren, dann die Projektmanager, die Projektmanager, die die einzelnen Entwicklungsprojekte leiten sollen und dann die eigentlichen Entwickler – es ging bei den Einführungsprojekten ja um Software- und Hardware-Projekte. Zur Größenordnung: In der Entwicklungsabteilung sind ca. 60 Mitarbeiter an dem Projekt für die zu entwickelnde Komponente beteiligt. Und noch dazu in einem Projekttyp mit Zulieferern.

Michael Schenkel: Sie haben angedeutet, dass sich die Anwender vorab selbständig mit der Software vertraut gemacht haben. Ist das nicht auch ein Risiko?

Rudolf Siebenhofer: Ja und Nein. Hätte sich der Kunde im Vorfeld intensiver damit auseinandergesetzt, hätte er sich einigen Aufwand für die Erstellung eigener Dokumentenvorlagen erspart. Ich selbst habe viel mit ISO 15504 und CMMI gearbeitet, aber auch ich hatte ein „aha“-Erlebnis, denn die vorhandenen Vorlagen, die die Software mitbringt, sind sehr umfangreich. Bei der Einführung gab es also einiges zu korrigieren.

Michael Schenkel: Und wie ging es dann weiter?

Rudolf Siebenhofer: Wir haben uns für eine „Big-Bang-Strategie“ entschieden, auch wenn die Theorie an sich etwas anderes empfiehlt. D.h. ich hätte die Einführung lieber mit dem einfachsten SPICE Projekttyp, dem Typ „Improvement Projekt“ begonnen, aber der Kunde wollte als erstes gleich mit dem Projekttyp: „System Entwicklung mit Software und Hardware und Zulieferern  für große Projektteams mit Mechanik Entwicklung und sicherheitskritischen Anforderungen“ loslegen, damit er sozusagen gleich einmal den Maximalumfang kennenlernen kann. – „Na sauber“, dachte ich mir erst, aber das ist eben ein typischer chinesischer Ansatz.

Rudolf Siebenhofer über Softwareeinführung in China
Rudolf Siebenhofer über Softwareeinführung in China

Michael Schenkel: Die Anwender sind ja Chinesen, die Software gibt es aber nur in Deutsch und Englisch. Ist das kein Problem?

Rudolf Siebenhofer: Im Bereich der Anwendung eigentlich nicht, denn der Konzern hat auch internationale Partner und Zulieferer, die nur Englisch sprechen. Außerdem ist auch das Automotive SPICE Assessment mit einem englischsprachigen Assessoren Team geplant und daher waren auch alle Dokumentenvorlagen in Englisch vorgesehen; also das war ok. Auch die Prozessdokumentation für A-SPICE und PAM 2.5 lag dem Kunden in Englisch vor. Schwieriger ist das Thema schon bei der IT-Administration, denn da laufen die Server schon mal mit chinesischer Benutzeroberfläche, und da dann Konfigurationen vornehmen zu müssen, ist schon sehr anspruchsvoll. Was man bei so einer Einführung in internationaler IT-Umgebung aber auf jeden Fall haben muss, ist ein Referenzsystem in Englisch mit englischem Office für die Office Anbindung von in-STEP BLUE. Und eine Windows Version, die mehrsprachig ist (Deutsch – Englisch – Chinesisch), ist da natürlich auch von Vorteil. Mit Windows 7 Ultimate oder Windows 8.1 Pro ist das ja heute kein Problem mehr. Und um beim Einführungstraining unabhängig zu sein von dem produktiven IT-Server, hatte ich dann noch eine komplette Server- und Client-Installation auf einem Laptop vorinstalliert mit einem zweiten Laptop als Client, um verschiedene Anwendungs-Szenarien schulen und üben zu können.

Michael Schenkel: Also kamen die Anwender rasch mit der Anwendung zurecht, oder? Und wie wichtig sind eigentlich Hilfesysteme?

Rudolf Siebenhofer: (lacht) Oh ja, da schneiden Sie ein interessantes Problem an, das ich von vielen Softwareeinführungen in China kenne. Chinesische Softwareanwender sind extrem pragmatisch; das Motto ist  „Probieren geht über Studieren“ und bevor lange in Bedienungsanleitungen und Hilfetexten gelesen wird, wird erst mal „probiert“. Das ist dann schon spannend, wenn 15 Teilnehmer in einer Schulung sitzen und Fragen in der ganzen Breite auf einen einströmen. Aber diesbezüglich habe ich als Trainer ein Konzept: Auf Fragen gebe ich nicht gleich die Antwort, sondern ich fordere den Anwender dazu auf, darüber nachzudenken, warum dieses oder jenes so nicht gehen kann, sondern eben anders funktioniert. Der Erkenntnisgewinn für den Anwender wird dadurch viel größer. Und wenn man dann noch an der geeigneten Stelle F1 drückt und dem Anwender zeigen kann, dass das genau auch so in der Hilfe steht, tritt sehr rasch ein Lerneffekt ein.

Michael Schenkel: Gab es Probleme bei der Einführung, wo auch Sie nicht mehr weiter konnten?

Rudolf Siebenhofer: Nun, bei komplexen und leistungsfähigen System kann ein Trainer vor Ort nicht alles und jedes Detail kennen. Aber diesbezüglich hat die Zusammenarbeit mit dem Support in Berlin ausgezeichnet funktioniert.

Michael Schenkel: Ist da nicht die Zeitverschiebung ein großes Problem?

Rudolf Siebenhofer: Wenn man es “dumm” macht schon, wenn man es “intelligent” macht nicht – im Gegenteil. Man muss sich halt nur so verabreden, dass der eine Partner die Probleme des anderen löst, während der entfernte Partner schläft. Wir haben die Probleme sozusagen im Schlaf gelöst (lacht).

Aber das Problem kenne ich aus meiner langjährigen Tätigkeit in China: Wenn ich in China eine Fehlermeldung um 08:00 Uhr absetze, dann dauert es eben, mache ich das aber in China noch um 22:00 Uhr, dann hat der Support noch den ganzen Nachmittag Zeit, die Anfrage zu bearbeiten und wenn ich in China aufwache, erhalte ich die Lösung am Frühstückstisch.

Michael Schenkel: Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht. Klingt logisch. Apropos Support: Wie klappt denn die inhaltliche Zusammenarbeit über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg?

Rudolf Siebenhofer: Es kommt eben darauf an, wie man das organisiert. Telefonieren kommt wegen der Zeitverschiebung und der Kosten in so einem Fall weniger in Frage; E-Mails in unstrukturierter Form enden oft in vielen „Ping-Pong“ E-Mails mit allen Problemen der Sprachverständigung. Ich habe daher bereits im Einführungstraining mit dem Kunden vereinbart, wie wir uns über Supportanfragen verständigen. Als man mir da am Anfang Fotos vom Bildschirm mit dem Handy gemacht gemailt hat, habe ich das gleich abgestellt. Ich habe dem Kunden als First Level Support ein Ticket Portal, das auch eine chinesische Benutzeroberfläche hat, als Dienstleistung zur Verfügung gestellt und vereinbart, dass der Kunde Probleme mit SnippingTool+ gut dokumentiert. Somit konnte ich die Probleme schnell verstehen und dem Kunden die Lösung auf dem gleichem Weg einfach und rasch mit Schritt-für-Schritt Anleitungen zurückgeben. Das funktionierte sehr gut.

Michael Schenkel: Das klingt super. Abschließend noch eine Frage: Wie sehen bei der Anwendung von Prozessen wie SPICE durchaus Widerstände bei Anwendern, zumal die Prozesse durch eine Software strikt eingehalten werden sollen. Ist das in China auch so?

Rudolf Siebenhofer: Oh nein, absolut nicht. Das ist einer der Gründe, warum prozessgetriebene Produktion sich in China sich sehr gut einführen lässt: Wenn ein Prozess von der Leitung vorgegeben ist, dann wird er auch befolgt. Man muss eher darauf achten, dass die Mitarbeiter trotz Prozessdefinition und Softwareunterstützung noch mitdenken.

Michael Schenkel: Letzte Frage: Glauben Sie Geely wird den SPICE Level 3 erreichen?

Rudolf Siebenhofer: Das würde ich und kann ich so nicht beantworten. Vom Prozess, von der Qualität der Mitarbeiter und von der Unterstützung durch die Software sind alle Voraussetzungen gegeben. Auch dem Kunden gegenüber, der dieselbe Frage gestellt hat, habe ich die Frage nicht mit Ja/Nein beantwortet. Das hängt davon ab, wie ca. 6-9 Monate nach der Einführung ein erstes Zwischen-Assessment ausgeht. Die Softwareeinführung ist aber dabei die am leichtesten zu nehmende Hürde, sofern die Bereitschaft und das Verständnis bestehen, Prozesse auf allen Ebenen zu leben.

Michael Schenkel: Vielen Dank für das tolle Gespräch!

Rudolf Siebenhofer: Gern geschehen und noch einen schönen Tag hier in Steyr. Xie Xie Ni! Zai Jian.