Softwareeinführung – so geht es garantiert schief
Wenn Sie aus der Einführung einer neuen Projektmanagement-Software ein so kompliziertes Projekt machen, dass Sie dafür die einzuführende Software eigentlich bereits händeringend benötigten, stehen Sie kurz vor der organisatorischen Kernschmelze. Nehmen wir einmal scherzeshalber an, Sie haben sich im Dickicht der verschiedenen Lösungen – vom kostenlosen Open-Source-Tool für grundlegende Kollaborationsaufgaben bis hin zur nicht mehr ganz so kostenlosen eierlegenden Wollmilch-Profi-Suite – irgendwie zurechtgefunden und eine Wunschsoftware identifiziert. Wie geht es nun weiter, und vor allem: Kann bei der Softwareeinführung selbst eigentlich noch etwas schiefgehen? Aber natürlich! Wir geben Ihnen sogar Tipps, wie Sie mit großer Geste Ihre Softwareeinführung ein für allemal in den Sand setzen.
Ohne Rückendeckung ins Minenfeld rennen
Es gibt sie immer noch: die Stimmen, die steif und fest behaupten, Digitalisierung sei ein Thema für das Top-Management. Das muss nicht sein. Planen Sie deshalb eine Softwareeinführung prinzipiell ohne feste Verankerung bei der Geschäftsführung. Sonst leiden Sie oder ein anderer Projektleiter am Ende noch unter klaren Verantwortlichkeiten, Rückendeckung von der Chefetage oder kurzen Entscheidungswegen. Und wer möchte das schon, wenn sich die ersten unvermeidlichen kleineren oder größeren Schwierigkeiten im Projektablauf ergeben?
Change Management 0.5: Softwareeinführung “nebenbei” erledigen
Eigentlich ist es selbstverständlich, auch die Softwareeinführung selbst als ein Projekt zu verstehen, das eines effizienten Projektmanagements bedarf – also solider Planung, gründlicher Vorbereitung sowie fundierten Wissens und Agilität bei der Umsetzung. Das aber nur, wenn man einen einigermaßen reibungslosen Ablauf anpeilt. Dies kommt zwar durchaus vor, ebenso beliebt scheint allerdings die Variante zu sein, unnötig enorme Aufwände zu generieren, riesige Overheads aufzutürmen und die Nervenkostüme von Kollegen und Kunden einer Belastungsprobe zu unterziehen.
Wenn das auch Ihre Zielsetzung ist, stellen Sie die Weichen Richtung Katastrophe am besten bereits frühzeitig, indem Sie das ganze Projekt auf die leichte Schulter nehmen. Dazu gehört vor allem, dass Sie die Ziele, die mit der Softwareeinführung erreicht werden sollen, keinesfalls klipp und klar identifizieren, sondern allenfalls schwammig umreißen. Zudem hat es sich schon oft als hilfreich erwiesen, anfallende Kosten möglichst knapp zu kalkulieren und entstehende Aufwände generell massiv zu unterschätzen und mit einem „das schaffen wir dann schon“ abzutun.
Wenn es dann doch anders kommt, ist es ja nicht so schlimm: Was soll schon groß passieren, wenn Ihre IT monatelang im roten Bereich fährt, die Projektleitung absäuft, das Tagesgeschäft nur noch spitze Hilferufe ausstößt und alle zukünftigen Anwender sich völlig verängstigt bereits im Vorfeld nach Nebensystemen und Eigenlösungen umsehen?
Projektorganisation: Seien Sie voll von der Rolle
Eine geradezu unerschöpfliche Quelle für Fehler sind in diesem Zusammenhang die Bereiche Organisation und Personal. Über die Stimmungslage bei den Betroffenen sollten Sie insgesamt möglichst hinwegsehen – schließlich können Sie nicht auf die Gefühlsduseleien jedes Praktikanten Rücksicht nehmen. Außerdem ist es Common Knowledge, dass Mitarbeiter sich nichts sehnlicher wünschen als rasante Veränderung im Unternehmen. Die Akzeptanz für das Unterfangen kommt also quasi von selbst. Mit Widerständen haben Sie nicht zu rechnen, zumal es durch eine Softwareeinführung keine veränderten Einflussbereiche und somit auch keine politische Ebene geben kann.
Das gesamte Unternehmen steht also bereits geschlossen hinter dem Projekt. Sie möchten etwas mehr Herausforderung? Dann besetzen Sie doch einfach die Rollen im Projekt falsch, vergessen Sie, wichtige Stakeholder einzubinden, oder ersticken Sie den Projektleiter in einem unmenschlichen Workload – der Fantasie sind hier kaum Grenzen gesetzt. Im Folgenden finden Sie als Anregung einige Klassiker.
Abholen vergessen
Vertrödeln Sie nicht unnötig Zeit, indem Sie etwa geeignete und betroffene Fachleute aus Ihren Abteilungen rechtzeitig in die Auswahl oder die Einführung der Software einbinden. Speisen Sie die Kollegen im Gegenteil zunächst mit einigen lauwarmen Allgemeinplätzchen ab (nutzen Sie dazu am besten eine Vorlage für Projektmanagement-Bullshit-Bingo), stellen Sie sie dann vor vollendete Tatsachen und übertreiben Sie schamlos, was die Funktionalität und die Leistungsfähigkeit der neuen Software anbelangt. Wiederholen Sie dieses Vorgehen außerdem auch bei Ihren externen Anspruchsgruppen. Sie werden in kürzester Zeit feststellen, dass sich das in bemerkenswerter Weise auf die Akzeptanz des gesamten Projekts auswirkt.
Projektrollen verbaseln
Gründen Sie ein Projektteam! Am besten stecken Sie dann diejenigen Mitarbeiter in das Projektteam, die bereits traditionell einen Groll gegeneinander hegen. Übertragen Sie die Projektleitung in jedem Fall einem Kollegen, der kaum Erfahrung, wenig Fachwissen und null Organisationstalent besitzt! Achten Sie zudem darauf, dass die Rollen nicht klar genug definiert sind – so lassen sich notwendige Anpassungen bei der Umsetzung endlos von Pontius zu Pilatus und zurück tragen, ohne dass man einer Lösung auch nur im Ansatz näherkommt. Wenn es dann so richtig brennt, können Sie ja einen Experten von außen als Feuerlöscher hinzuziehen. Dieser sollte allerdings niemals sein teures Wissen zu Ihrem Unternehmen transferieren, sondern sich mit seinem Know-how als Dienstleister in Ihrem Haus auf unabsehbare Zeit unentbehrlich machen.
Personalwechsel veranlassen, Dokumentation ignorieren
Für Fortgeschrittene: Warten Sie, bis die Projektleitung, die sich nun seit Monaten ausschließlich mit der Softwareeinführung beschäftigt, kurz vor dem Burn-out steht. Dann übertragen Sie das Projekt einfach plötzlich einem ganz anderen Mitarbeiter! Der resultierende Effekt ist besonders dann beeindruckend, wenn Sie aus Zeit- oder Kostengründen weitsichtig auch auf eine Dokumentation verzichtet haben. Der Neue kann dann nämlich wieder bei null anfangen, zumal aus seinem mittlerweile komplett frustrierten und in Katatonie verfallenen Vorgänger tatsächlich nichts mehr herauszuholen ist. Wenn Sie besonders großes Glück haben, macht sich Ihr alter Projektleiter aber auch selbstständig und wird als externer und gut dotierter Berater in Ihrem Haus auf unabsehbare Zeit unentbehrlich.
Kommunikation und Projektkultur vereinfachen
Lassen Sie sich nicht zu tief in die Karten schauen und stellen Sie den Mitarbeitern nur gerade so viel Informationen zur Verfügung, dass diese nicht am ausgestreckten Arm verhungern. Außerdem empfehlen wir, entweder zu wenige Mitarbeiter mit einem lächerlich hohen Workload komplett zu blockieren oder zu viele Mitarbeiter mit einem zu kleinen Workload zu behelligen, sodass diese nie wirklich mit dem Kopf im Projekt ankommen und nur Flickwerk betreiben können. Diskutieren Sie die beiden Möglichkeiten am besten in einer nicht enden wollenden Reihe von als „Jour fix“ getarnten Gedönstreffen. Mit deren Hilfe lässt sich nicht nur eine eventuell noch rudimentär vorhandene Restmotivation, sondern letztendlich das ganze Softwareprojekt „zermeeten“.
Vergessen Sie Prozesse
Die Einführung einer komplexen neuen und gegebenenfalls unternehmensweit eingesetzten Software lässt eigentlich kaum Änderungen in den Arbeitsabläufen erwarten. Kein Anlass also, gegebene Prozesse kritisch zu hinterfragen oder sie gar auf sinnvolle (Neu-)Entwicklungen im Zusammenhang mit der Softwareeinführung abzuklopfen! Ignorieren Sie daher in der Planungsphase geflissentlich die organisatorischen Aspekte, die die ausgesuchte Software mit sich bringt (insbesondere, wenn es um Kernprozesse Ihres Unternehmens geht), und kümmern Sie sich erst dann darum, wenn es definitiv zu spät ist!
Big Bang vs. Iteration – setzen Sie alles auf eine Karte
Den Urknall können sich Forscher ja bis heute nicht vollständig erklären. Warum allerdings die schlagartige „Big Bang“ und weitreichende Einführung einer Software in einem Unternehmen spektakulär scheitern kann, lässt sich sehr wohl erklären: mangelndes Change Management, unverzeihliche Versäumnisse bei Auswahl und Installation der Software, falsche Erwartungen, fehlendes Anforderungsmanagement, nicht enden wollende Anpassungen aufgrund fehlender Kompatibilität mit bestehenden Systemen, kontraproduktive Konfigurationen, apokalyptische Schnittstellenszenarien, kataklystische Transfers von Bestandsdaten etc. – die Liste ist endlos. Am besten gehen Sie daher voll auf Risiko und ziehen eine iterative (also schrittweise) Einführung von vornherein nicht einmal in Betracht! Pilotprojekte, Teilevaluierungen, Prozessanalysen und Risikobegrenzungen sind sowieso Konzepte aus der Steinzeit und haben im modernen Projektmanagement nichts verloren!
Ziehen Sie Ihr Ding durch
Sie haben in den Neunzigern bereits komplexe Projekte über Excel abgewickelt und sind nun der absolut unsichtbare Filter-Ninja und kampfgestählte Pivot-Tabellen-Samurai? Schön! Oder noch besser: Sie haben auf Ihrem Smartphone jetzt eine App, über die Sie mit Ihrem Ehepartner Einkäufe koordinieren, und das „läuft super“? Ihre Expertise sollten Sie keinesfalls einfach so über Bord werfen. Erzeugen Sie deswegen bei der Softwareauswahl erstens gehörig Zeitdruck und setzen Sie zweitens auf jeden Fall Ihren persönlichen Favoriten durch! Dieses Vorgehen ist lösungsorientiert und mit deutlich weniger Aufwand verbunden als das umständliche Vergleichen von Softwareanbietern, das komplizierte Verfassen von Lastenheften und anderen Anforderungsbeschreibungen oder das langatmige Erstellen von Kosten-Nutzen-Analysen. Diese Dinge werden im Übrigen auch im weiteren Verlauf der Softwareeinführung nie wieder benötigt oder berücksichtigt.
Machen Sie ruhig alles selbst
Falls Sie sich zum ersten Mal mit einer Softwareeinführung auseinandersetzen, sollten Sie keinesfalls die Hilfe von Experten hinzuziehen. Diese verursachen nur zusätzliche Kosten und erledigen dann doch nur die doppelte Arbeit in einem Drittel der Zeit oder so. Besser ist es, Sie sorgen bei sich und einer Handvoll Schlüsselkollegen für andauernde und strukturelle Überlastung. Das ergibt sich bei komplexen Anwendungsszenarien – die Sie ja auf jeden Fall haben, sonst benötigten Sie gar keine Projektmanagement-Software – quasi von selbst, wenn diese mit ebenfalls komplexen Softwarelösungen auf Kongruenz und Funktionalität geprüft werden müssen. Aber kein Grund zur Sorge – wenn Sie sich einige Monate lang mit nichts anderem beschäftigen, bekommen Sie einen ganz guten Überblick und haben dabei noch das Budget geschont. Zumindest, bis Ihnen die Betriebskosten einfallen.
Sparen Sie, wo Sie nur können, besonders aber bei Schulungen
Allgemein ist es ratsam, das Budget möglichst auf Kante zu nähen. Spezialisten setzen dabei auf „agile“ Lösungen, wie etwa, eine niedrigere Anzahl der teuren Lizenzen anzuschaffen, als es Anwender gibt. Schließlich arbeiten ja nicht immer alle gleichzeitig mit dem Programm und können sich absprechen, wer wann welche Lizenz einsetzt, oder?
Ein weiterer völlig unnötiger Kostenpunkt sind Schulungen. Wenn die Software mit allem Drum und Dran schon einen fünf- oder gar sechsstelligen Betrag erfordert, wären Sie ja vollkommen naiv, sich auch noch ein paar Hundert Euro für einen Anwenderworkshop aus dem Kreuz leiern zu lassen. Das bisschen Know-how schaffen sich Ihre Kollegen doch auch so drauf – das Anwenderhandbuch hat ja lediglich 800 Seiten. Die sind doch schnell gelesen, wenn alle als Team zusammenarbeiten!
Verzichten Sie ruhig auf Tests und gehen Sie einfach live
Die Vorteile dieses Vorgehens liegen auf der Hand. Am besten drücken Sie auf „den Knopf“, wenn das Tagesgeschäft gerade besonders virulent ist. Außerdem empfehlen wir, Administratoren oder andere Schlüsselfiguren am D-Day in den Urlaub zu schicken. Das sorgt für einen ganz besonderen Nervenkitzel beim Go-live. Wir wünschen Ihnen gute Unterhaltung!
Brilliant! Diese “Erfolgsrezepte” lassen sich auch fast 1:1 auf die Einführung von Lean Management und ähnlichen Dingen übertragen. Nur einen wichtigen Erfolgsfaktor hab’ ich vielleicht überlesen: Warum macht man es nicht wie bei Social Media und übergibt die Aufgabe einem Azubi oder ersatzweise Praktikanten?