Strategische Veränderung mit der Firmen-DNA
Seit drei Jahren begleite ich eine mittelständische Firma auf ihrem Weg hin zu einer dezentral auf Eigenverantwortung basierenden Organisation. In dieser Zeit begegneten uns die verschiedensten Herausforderungen. Einige waren überbordend lange, kaffeekranzähnliche Workshops zum Abklären struktureller und strategischer Themen. Braucht es am Ende doch Häuptlinge, die so etwas einregulieren? Können wir von normalen Mitarbeitern überhaupt verlangen, strukturell und strategisch gut zu arbeiten? Im Folgenden stelle ich die aus dem Prozess entstandene Metamethodik der Firmen-DNA vor.
Kennen Sie solche Sitzungen?
Eine teamübergreifende Gruppe von Kolleginnen und Kollegen kommt zusammen. Heute wollen sie ihre Probleme in der Zusammenarbeit auf den Tisch bringen. Sie bereiteten eine Agenda vor. Diese berücksichtigt, dass am Ende der zweistündigen Besprechung klare Vereinbarungen stehen, wie die Zusammenarbeit zukünftig aussieht, um Scherereien zu vermeiden. Da es inhaltlich und menschlich knifflige Punkte gibt, moderiert die Sitzung ein besonnener, kompetenter Kollege.
Zum Start bringen die einzelnen Parteien ihre Punkte vor. Erste Kontroversen entstehen über die Verwendung von Begriffen. Für die Verkäufer ist das Projekt eine Auftragsart. Die Innendienstler sehen darin ein spezielles Vorgehen zur Abwicklung. In der Produktion handelt es sich schließlich um einen im Qualitätshandbuch festgelegten Vorgang, mit dem sie Prozessverbesserungen erreichen. Ähnlich verschieden verstehen sie Oberbegriffe wie Arbeitszeit, Qualität, Standard, Motivation usw. Schnell erkennt man, im Detail geht es gerade so weiter. Was der Vertrieb im ERP als Info beschreibt, unterscheiden die Abwickler in Info- und Eingabefelder, während die Ingenieure aus der Fertigung allgemein von Datenfeldern sprechen. Der Moderator sieht keine andere Chance. Er wirft die Agenda über den Haufen und nimmt eine Begriffsklärung vor. Knapp 45 Minuten später stehen die Oberbegriffe. Weitere 30 Minuten vergehen bis die Themen zu den Überschriften sortiert sind. Diese Zeit gleicht die unterschiedliche Verwendung der weiteren Wörter zwischen den Parteien mit ab. Das Tohuwabohu am Anfang eingerechnet, sind bereits über eineinhalb der vorgesehenen zwei Stunden vergangen. Mit Rücksicht auf die Kalender aller Anwesenden priorisiert die Gruppe nur noch die Themen durch. Dann vereinbaren sie einen Folgetermin, an dem es endlich in die Klärung der Inhalte geht. Schön wäre, die Geschichte ginge hier zu Ende, doch weit gefehlt.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verlassen die Runde. Die Mehrheit ist unzufrieden. Wieder konnte man keine Ergebnisse erreichen. Trotz Moderator! Immerhin verstehen sie sich jetzt untereinander. Und die Themen sind priorisiert. So kommen sie zurück an ihre Arbeitsplätze. Dort warten die Kollegen mit fragenden Gesichtern. »Und, was ist rausgekommen?«, »Konnten wir uns durchsetzen?«, »Wo haben uns die anderen wieder überstimmt?« Man versucht, die Ergebnisse so gut es geht zusammen zu fassen. Schnell entsteht eine Diskussion mit den eigenen Kollegen, welche Überschriften und Wortdefinitionen totaler Quatsch sind. Darüber vergisst man die gemeinsame Definition mit den anderen Bereichen. Außerdem stellt sich beim Folgetermin heraus, dass vier von zwölf aus verschiedenen Gründen Vertreter schicken. Am Ende wiederholt sich die erste Sitzung. Wieder klärt man Begriffe. Erneut entsteht gemeinsames Verständnis. Am Ende ist neuerlich die Zeit viel zu schnell vergangen und man vertagt die Lösungsfindung. Resümee: Viele reden viel, heraus kommt wenig.
Die Situationsbeschreibung übertreibt. Unternehmen wären schnell weg vom Fenster, liefen alle Sitzungen so ab. Doch gerade bei strukturellen oder gar strategischen Abstimmungen zwischen Bereichen, kennen wir alle solche oder ähnliche Verläufe. Die Lösungsfindung ist träge, langweilig und frustrierend. Jetzt stellen Sie sich einmal eine Firma vor, in der es keine formalen Führungskräfte gibt, die mal auf den Tisch hauen und ansagen, wo es lang geht. Entsteht in Ihrem Kopf gerade ein Satz wie: »Das ist unmöglich!« Genau in dieser Situation befanden wir uns. In der Firma mit knapp siebzig Mitarbeitern gab es keine weisungsbefugten Menschen mehr. Keine Team-, Abteilung- oder Bereichsleiter, keine Prokuristen. Einzig der geschäftsführende Gesellschafter hat noch formale Macht. Und genau so soll es bleiben. Bestenfalls bekommen wir seine zugewiesenen Befugnisse auch noch verteilt. Die Rückkehr zum »Auf-den-Tisch-Hauer« stand außer Frage. Also dachten wir über die Situation nach und kamen zu einer Lösung.
Wie sparen wir uns die Zeit für die Begriffsklärung?
Die adressierten Probleme charakterisieren folgende Punkte:
- Es handelt sich um eine strukturelle oder strategische Fragestellung.
- Die Lösung braucht eine bereichsübergreifende Abstimmung von Verhaltensänderungen.
- Den Erfolg unterstützt ein gemeinsames Verständnis der Überschriften, denen wir die einzelnen Probleme zuordnen.
- Die zu treffenden Vereinbarungen wirken sich verändernd auf Prozesse, Beziehungen und damit auf die Menschen und ihre Gewohnheiten der Zusammenarbeit aus.
Wir erkannten, der größte Teil der verlorenen Zeit verschwand in der Klärung von Überschriften. Gleich danach verplemperten wir sie in der Diskussion über Schuldige. Erst im Anschluss an die Kompromissfindung in diesen beiden Feldern konnten wir über die anstehenden Inhalte sprechen. Was uns fehlte, war ein allgemeingültiges Schema für die Verortung von strukturellen und strategischen Problemstellungen. Dieses Konzept braucht Platz für die heutigen Gegebenheiten wie auch für die vorgestellte Lösung. Daran können wir erkennen, ob wir vorwärtskommen. So entwickelten wir mit der Firmen-DNA ein Meta-Werkzeug zur gemeinsamen Reflexion von Unternehmenszusammenhängen.
Die Firmen-DNA
Sie kann in einer klassisch hierarchischen Struktur ebenso angewandt werden, wie in einer DAO (Decentralizied Autonomous Organization)¹. Grundannahmen des Musters sind:
- Jedes Unternehmen ist zum einen Teil sachlich und zum anderen sozial.
- Der zweckmäßige Bestandteil ist direkt gestaltbar, der zwischenmenschliche mehrheitlich indirekt.
- Es gibt keine menschlose Firma.
Im Folgenden erläutere ich die Elemente. Das Bild zieht willentlich Vergleiche zur biologischen DNA-Darstellung!
Die sozial generische Firmen-DNA
Was kommt hier zusammen? Im Code wachsen immerfort zwei Stränge zusammen: Firma und Mensch(en). Jeder Strang entsteht aus verschiedenen Bausteinen. Mittig koppeln sie aneinander an. Die Grafik zeigt den minimalen Ausschnitt. Nach oben und unten geht die Verkettung weiter. In diesem Artikel beschränke ich mich auf die Beschreibung des gestaltbaren Firmenstrangs. Er besteht aus folgenden Bestandteilen:
Firmen und Menschen-Strang in sozial generischer Firmen-DNA
GM – Geschäfts-Modell
Ein Geschäftsmodell beschreibt schematisch zumindest die quantitativen, im besten Fall auch die qualitativen Zusammenhänge und Dynamiken zwischen Einnahmen und Ausgaben. Traditionell bilden Business- und Finanzpläne sein Fundament. Aus ihnen leiten wir Budgets, Finanzierungsbedarfe etc. ab. Moderner geht die Business-Modell-Generation Canvas vor. In ihr spielen Menschen wie Kunden, Lieferanten, Kooperationspartner, firmeninterne Fachleute usw. wichtige Rollen. Das Geschäfts-Modell bildet das Rückgrat der Firma. Alle Aktivitäten wurzeln in ihm.
AO – Aufbau-Organisation
Sie stellt dar, wie die Organisation strukturiert ist, um das Geschäfts-Modell erfolgreich umzusetzen. Sie antwortet auf die Herausforderungen mit:
- der Verantwortung gegenüber dem Unternehmensumfeld. Wer im Betrieb reagiert in welcher Zeitspanne auf wen?
- intern – andere Bereiche, Teams etc.
- extern – Kunden, Lieferanten, Verbänden etc.
- der Reaktion auf Wachstum. Schaffen wir es, das Geschäfts-Modell zu vergrößern – in Qualität, Menge, Region und Zeit? Wie viel von wem/ was brauchen wir dafür? Welche Nachfrage können, wollen, sollen wir bedienen?
- Unserem Umsetzungsvermögen. Welche Kompetenzen braucht die Firma, um die Angebote werthaltig zum Kunden zu bringen? Wie stellen wir ihre Verfügbarkeit in ausreichender Zeit sowie Qualität sicher?
RS – Rollen-Struktur
Es geht hier um die Figuren, die man benötigt, um das Geschäfts-Modell auszuüben. Jede bestehende Funktion der Aufbau-Organisation verlangt eine Rolle. Viele Firmen kennen zumindest die drei Rollengruppen, Mitarbeiter und mittlere sowie gehobene Führungskräfte. In ihnen finden wir eine Vielzahl feinerer Parts. Wie etwa Werker, Sachbearbeiter, Schichtführer, Vorarbeiter, Abeiltungs-, Team-, Bereichs-, Fabrik-, etc. -leiter, CEO, COO, CFO, Geschäftsführer … Zusammenhänge zwischen Geschäfts-Modell, Aufbau-Organisation und Rollen-Struktur kennen in Betrieben meist nur wenige Menschen bewusst – wenn überhaupt. Die Abhängigkeiten absichtlich zu reflektieren, birgt den Wert, wirtschaftliche, politische und kulturelle Risiken frühzeitig zu erkennen.
ED – Entscheidungs-Design
Es beantwortet folgende Fragen:
- Wie kommt meine Firma zu Entscheidungen? Mit welchen Modellen, Methoden, Werkzeugen etc.
- Wer entscheidet mit diesen Tools was?
- In welchem Rahmen kann wer entscheiden?
Beispiele für Vorgehensweisen:
- mittlere Führungskräfte nutzen den konsultativen Einzelentscheid, um ihre Projektliste zu priorisieren.
- die Firmenstrategie hinterfragen und passen wir jährlich in einer Klausur mit Fachexperten und dem Unternehmensbeirat ab.
- Abteilungsleiter ermitteln die Gehaltsanpassungen aufgrund der Zielerreichung aus den Vorgaben der Mitarbeitergespräche nach der Formel XYZ.
- Neueinstellungen entscheidet der Personalbereich in Rücksprache mit den Fachbereichen und der Geschäftsführung.
Beispiele für den Entscheidungsrahmen:
- Abteilungsleiter können über Beauftragungen bis 10.000,00 € verfügen.
- Senior Sachbearbeiter können einen Kreditrahmen bis 100.000,00 EUR alleine vergeben. Darüber benötigt es die Zustimmung durch einen Branch-Leiter oder die Mitverantwortung von zumindest zwei Senior Sachbearbeitern.
- Sachbearbeiter/ Sachbearbeiterinnen im Einkauf geben Teile-Bestellungen frei, die SAP-LOG13 automatisch erzeugt.
KD – Kommunikations-Design
Es zeigt:
- Wie kommunizieren wir miteinander? Mit Bezug auf:
* die Richtung – oben, unten, quer, durcheinander
* die Settings – Methoden, Technologien, Werkzeuge
* das erwartete Auftreten – mitdenken, abarbeiten, funktionieren, sich beteiligen - Zu welchen Inhalten kann der Austausch stattfinden? Wer ist wo berechtigt, alltägliche/ strukturelle/ strategische Themen weiterzugeben/ zu besprechen?
- Wie ordnen wir Fragestellungen zu/ erwarten wir Verhalten, funktional oder prozessual?
Kommunikations- und Entscheidungs-Design bilden ein Gemenge. Aus den Gesprächen und Informationen beschließen wir zu handeln. Die Trennung hat im Modell Sinn, in der Realität geht es stets ineinander über. Aus diesem Grund verknüpft die Grafik KD des Unternehmens mit ED des Menschen und umgekehrt.
PE – Prozess-Ebene
Der gelebte Alltag aller Firmen verläuft in wiederkehrenden Ablauf-Schleifen. Hilfreich ist, die einzelnen Verläufe sichtbar zu beschreiben, sodass jede/r sie zumindest nachvollziehen kann. Ihre Qualität nimmt weiter zu, kennt man darüber hinaus die Abhängigkeiten untereinander sowie die Prozess-Hierarchie. Die Vorgangsabwicklung liegt gewohntermaßen quer zur formal-funktional-hierarchischen Aufbau-Organisation. Das führt regelmäßig zu Konflikten zwischen Routine, Verantwortung und Entscheidung.
BE – Beziehungs-Ebene
Das zwischenmenschliche aller Unternehmen findet hier statt. Diese Ebene steht ebenso für soziale Schlagkraft wie aufreibende interne Auseinandersetzungen in der Belegschaft. Moderne Führungsideen wollen die Kooperation dem Konkurrenzkampf vorziehen. Gerne bevorzugen Betriebe, auf Harmonie und gute Laune zu setzen. Dass Konflikte zum Leben dazu gehören, negiert man damit. Dadurch entsteht ein blinder Fleck im Kommunikations-Design. Es fehlen die nötigen Praktiken, um erfolgreich aus Kontroversen hervorzugehen. Der Reifegrad auf dieser Ebene zeigt sich darin, wie häufig Sie Ihre Firma an einen Kindergarten oder Zoo erinnert.
Was passiert im Firmen-Strang?
Prozess- sowie Beziehungs-Schicht verfilzen, je länger wir zusammen arbeiten. Dennoch ist es sinnvoll, sie hin und wieder losgelöst zu betrachten. Das Modell drückt die Vermischung in der Verbindung der BE des Unternehmens an die PE des Menschen an und umgekehrt. Im Zusammenwirken aus ED, KD, BE & PE findet unser Alltag statt. Hier machen wir uns Handeln bewusst. In ihm treten Probleme auf – erzielen wir Erfolge. Die Verknüpfung zwischen Aufbau-Organisation mit Rollenstruktur definiert den Rahmen, in dem die Routinen ablaufen. Oft verschwimmt der klare Blick darauf. Um in ihr etwas zu verändern, gilt es in längeren Abständen, diese Strukturen gewollt zu hinterfragen. Im Geschäfts-Modell liegt die Strategie der Firma. Sie sollte im Tagesgeschäft immer mitschwingen. Es bedarf dennoch einer regelmäßigen Anstrengung, den Einfluss aufzuzeigen. Nur so erkennt eine Firma, ob sie strategisch noch erfolgreich ist oder bereits andere Wege geht.
Was machen wir alltäglich mit der Firmen-DNA?
Einmal kam ein Mitarbeiter einer Firma auf mich zu. Er wollte meine Unterstützung in einem Kommunikationsproblem. Er beschrieb mir, wie die Kollegen aus der anderen Abteilung seine regelmäßigen Anfragen einfach ignorierten: »Die wollen mir einfach nicht zuhören!« Er erläuterte mir seine wiederkehrenden Probleme bei der Projektumsetzung. Als Projektleiter in einer Softwarefirma verhandelte er kundenspezifische Funktionen. Diese gab er an die Entwicklung weiter. Einige Zeit später erhielt er die Freigabe der Lösung. Oft stellte sich heraus, dass ein Teil mit den Anforderungen übereinstimmte, allerdings immer irgendwelche weiteren Funktionen dazukamen oder verschiedene kleinere Anforderungen fehlten.
Zur Analyse seines Problems zogen wir die DNA zurate. Zusammen erkannten wir, dass er die Auswirkungen auf der Beziehungsebene und im Kommunikations-Design spürte. Der Ursprung lag allerdings in der Prozessebene und im Geschäftsmodell. Die Entwicklung war dazu angehalten, Funktionen immer im Zusammenhang mit der Verbesserung des gesamten Produktes voranzutreiben. Spezielle Kundenanforderungen konnten so kaum unmodifiziert berücksichtigt werden. Außerdem ließ der Entwicklungsprozess keine unzusammenhängende Programmierung zu. Es gab keine eigenständigen Funktionen. Mit der Reflexion erkannte er, dass sowohl das Geschäftsmodell wie auch die Prozess-Ebene anzupassen ist, will er seine Kommunikationsprobleme bereinigen. Obwohl ihm die Erkenntnis missfiel, half sie dabei, die Kollegen besser zu verstehen. Jetzt konnte er seine Änderungswut auf die passenden Stellen in der Organisation lenken.
Das Meta-Tool Firmen-DNA ermöglicht Unternehmen, ihre Mitarbeiter besser in strukturelle und strategische Veränderungen einzubeziehen. Es sorgt für gegenseitiges Verständnis. Wir können damit Energie und Zeit von Gerede auf die Lösungsumsetzung lenken. Stellen Sie es sich vor – Es ist einfach, wenn Sie es nur versuchen …
Hinweise:
[1] Weitere Informationen zur Decentralizied Autonomous Organization finden Sie bei wikipedia unter https://en.wikipedia.org/wiki/Decentralized_autonomous_organization
Unter http://gebhardborck.de/ finden Sie weitere Informationen über Gebhard Borck.
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