Babylon ist überall

by | 27.11.2017 | Requirements Engineering

Warteräume auf Flughäfen sind besondere Orte. Dort erfährt man Dinge, die man eigentlich nicht wissen will, und andere, die neugierig machen. So fragte neulich neben mir jemand seinen Gesprächspartner: „Habt ihr Erfahrung mit Flats von 50 Tonnen?“ Mein Gegenüber, ein junger Mann mit Handy am Ohr, blickte ebenso erstaunt wie ich. Aus den Immobilen-Exposés auf seinen Knien konnte man schließen, dass er einige coole Flats in City-Lage im Angebot hatte, nicht tonnenschwer, sondern über 100 Quadratmeter groß. Und meine Flat gibt es schon für 9,99 EUR. Hätte in unserer Reihe auch noch ein Ingenieur für Halbleitertechnik gesessen, wäre die Verwirrung perfekt gewesen. Denn in seinem Fachgebiet werden Flats bei Halbleiter-Scheiben mit einem Durchmesser bis zu 6 Zoll eingesetzt.*

Babylonische Sprach- oder besser Begriffsverwirrung gibt es überall, nicht nur zwischen unterschiedlichen fachlichen Disziplinen. Wenn Sie als Requirements Engineer oder Business Analyst tätig sind, wissen Sie, dass innerhalb einer Branche, ja sogar im selben Unternehmen Fachbegriffe unterschiedlich verwendet und verstanden werden. Genau das ist eine Ursache für anforderungsbezogene Konflikte und Missverständnisse bei der Kommunikation zwischen Stakeholdern und Entwicklungsteams. In der Folge kommt es oft zu fehlerhaften Anforderungen, einer inkonsistenten Anforderungsdokumentation und im schlimmsten Fall zu Lösungen, die die Erwartungen der Stakeholder nicht erfüllen.

Gegen diese Missverständnisse kann man etwas tun. Es macht ein wenig Mühe, aber sie lohnt sich. Die Rede ist vom Aufbau eines Glossars.

In ein Glossar gehören:

  • die Definitionen aller Fachbegriffe, die für die fachliche Domäne, in der ein Projekt angesiedelt ist, charakteristisch sind,
  • die Erklärung aller Abkürzungen und Akronyme,
  • Begriffe und Phrasen, die sich mit einer spezifischen Bedeutung “eingebürgert” haben,
  • Synonyme (verschiedene Begriffe mit gleicher Bedeutung),
  • Homonyme (Begriffe mit mehreren Bedeutungen).

Beim Aufbau eines Glossars, das für die Verwendung von Fachbegriffen im Projekt verbindlich sein soll, sind einige einfache Regeln zu beachten.

  • Setzen Sie das Glossar so früh wie möglich auf. Richten Sie es am besten gleich nach dem Projektstart ein, sodass es schon in der Phase der Anforderungserhebung zur Verfügung steht und gefüllt werden kann.
  • Pflegen Sie das Glossar projektbegleitend.
  • Machen Sie das Glossar allgemein zugänglich – auch für Ihre Stakeholder.
  • Machen Sie es leicht zugänglich, damit es im Projektalltag wirklich benutzt wird.
  • Die Glossareinträge sollten einheitlich strukturiert sein. Legen Sie am besten in Form eines Mustereintrags fest, wie Glossareinträge aussehen sollten.
  • Definieren Sie, wer für die Pflege und Qualität des Glossars verantwortlich ist.

Wenn Ihnen bei der Kommunikation mit den Stakeholdern unbekannte Begriffe begegnen, geben Sie sich nicht damit zufrieden, dass Sie sie intuitiv “schon irgendwie” verstehen. Klären Sie die Bedeutung sofort und halten Sie gemeinsam mit den Stakeholdern eine verbindliche Begriffsdefinition fest. Nehmen Sie sie zeitnah ins Glossar auf. So wird es sich zu einem Instrument entwickeln, das Ihnen hilft, die Fachterminologie bei der Entwicklung von Anforderungen konsequent und korrekt zu nutzen. Dazu ein Tipp: Begriffliche Konsistenz ist ein wichtiges Qualitätskriterium der Anforderungsdokumentation

Fordern Sie deshalb bei der Qualitätssicherung alle Reviewer auf, die Anforderungen in Hinsicht auf die verwendete Terminologie “gegen” das Glossar zu prüfen, um ggf. vorhandene Inkonsistenzen in der Anforderungsdokumentation aufzudecken.

Das alles klingt nach Aufwand? Ja, ganz ohne geht es nicht. Aber halten wir einmal den Nutzen dagegen, den ein gut gepflegtes Glossar schafft: Eindeutig definierte Begriffe sorgen für mehr Qualität bei Ihrer Anforderungsdokumentation. Das Glossar trägt dazu bei, Besprechungen zu verkürzen, weil alle Beteiligten eine gemeinsame Sprache sprechen. Zudem werden terminologische Meinungsverschiedenheiten nur einmal und nicht immer wieder ausgetragen. Neuen Projektmitgliedern hilft der Blick ins Glossar, sich schneller in die fachliche Domäne einzuarbeiten. Und nicht zu vergessen: Das Glossar liefert Ihnen Input für die fachliche Datenmodellierung.

Excel-Tabellen, Word-Dokumente, Wikis – Vorschläge für die technische Umsetzung eines Projektglossars gibt es viele. Die zentralen Eigenschaften eines Glossars – leicht und schnell zugänglich für alle, dabei einfach aufzusetzen und im Mehrbenutzerbetrieb fortzuschreiben – sind mit diesen Mitteln nur schwer realisierbar. Deshalb haben wir die Möglichkeit, ein Glossar aufzubauen und zu nutzen, in unsere Requirements Engineering Software objectiF RM eingebaut.

  • In objectiF RM ist das Glossar Projektbestandteil und wird beim Anlegen eines Projekts automatisch erzeugt.
  • Es ist allen Projektmitarbeitern zugänglich.
  • Als Anwender erfassen Sie die Glossarbegriffe. Dabei können Sie nach Bedarf auch Abbildungen zur Veranschaulichung in die Begriffsdefinitionen einfügen. Die alphabetische Einordnung der Begriffe übernimmt das Tool.
  • Ein Glossar kann sehr umfangreich werden. Wichtig ist deshalb: Sie können darin sehr einfach nach Begriffen suchen.
  • Das Glossar kann nach Bedarf, z.B. beim Beschreiben oder Prüfen von Anforderungen, eingeblendet werden.
  • Den aktuellen Stand des Glossars können Sie in jedes Dokument Ihres Projekts – zum Beispiel in Ihr Lastenheft – per Mausklick hineingenerieren.
  • Sie können ein vorhandenes Glossar aus einem Projekt exportieren, um es in einem neuen Projekt derselben fachlichen Domäne wiederzuverwenden. (Im laufenden Release von objectiF RM wird der Export des Glossars auf der Benutzeroberfläche nicht angeboten. Wir haben die Benutzeroberfläche jedoch inzwischen erweitert.)
Glossar in objectiF RM

Das Glossar eines Projekts im Editiermodus unter objectiF RM. Mit der Maus markiert ist die Export-Funktion zur Übernahme des Glossars in andere Projekte.

objectiF RM hat noch viele Facetten und zahlreiche Funktionen, die Ihnen das Requirements Engineering erleichtern. Lernen Sie es doch einmal kennen – mit unserer objectiF RM Trial Edition. Einfach downloaden und 3 Monate lang den vollen Funktionsumfang kostenlos ausprobieren.

* Und was ist denn nun ein/eine Flat?

Flat ist eine in der Logistik gebräuchliche Kurzform von Flat Rack, einem Containertyp, der nur aus Boden und Stirnwänden besteht und für den Transport von Schwergut und Waren mit Überhöhe und Überbreite verwendet wird.

In der Halbleitertechnik bezeichnet Flat eine gerade Kante an der Seite einer Halbleiter-Scheibe. Sie dient zur Positionierung von Halbleiter-Scheiben in Produktionsanlagen.