Hat Kreativität Platz im Requirements Engineering?

by | 05.11.2018 | Requirements Engineering

Kreativ zu sein, ist anstrengend. Ich sitze z. B. wieder vor einem weißen Blatt Papier und zermartere mir das Hirn darüber, wie ich den heutigen Blogbeitrag einleite. Leider beobachte ich mit Resignation, wie mein Kopf ganz leer wird. Ein dicker Nebel, der sich einfach nicht verziehen will. Aber Kreativität kann man auch nicht erzwingen, oder? Also lasse ich diese Leere heute zu und leite den Blogbeitrag mit Nichts ein. Damit habe ich einschließlich dieses Satzes 78 Wörter geschrieben. Nichts gibt somit einiges her. Manch einer hält gar einen unterhaltsamen TED x Talk über Nichts.

Und so lichtet sich der Nebel meiner kreativen Blockade und ich habe eine Einleitung gefunden.

Ha, ausgetrickst!

Vielleicht sollte ich mir Techniken aneignen, um diesen Kreativitätsfallen zu entkommen. Soll es ja geben. Die Requirements Engineers sind mir da bereits einen Schritt voraus und nutzen für ihre Arbeit, die Anforderungsermittlung und –dokumentation, zahlreiche Techniken. Und diese erfordern Kommunikation, Ideen, Neugier, Vorstellungsvermögen und, ja, Kreativität. Ich möchte heute einen genaueren Blick darauf werfen.

Techniken für die Anforderungsermittlung

In meinem letzten Blogbeitrag habe ich einen Rundumschlag über die Arbeit im Requirements Engineering gemäß dem International Requirements Engineering Board (IREB) gemacht. Heute möchte ich die Techniken für die Anforderungsermittlung genauer betrachten. Und ich kann jetzt schon sagen: Das Wörtchen Kreativität findet sich dort!

Einfallsreichtum müssen Sie ebenso beweisen, wenn es darum geht, die richtigen Ermittlungstechniken auszuwählen. Denn jedes Projekt ist anders und erfordert unterschiedliche Herangehensweisen. Für diesen Zweck können Sie aus folgenden Techniken wählen:

1. Befragungstechniken

Der Name ist hier Programm. Mit Interviews oder Fragebögen ermitteln Sie die Anforderungen der Stakeholder. Während die erste Methode den Vorteil bietet, Fragen direkt im Gespräch klären zu können, lässt sich mit Fragebögen ein breites Spektrum an Stakeholdern abdecken. Beide Methoden können jedoch zeitintensiv in der Vorbereitung sein. Außerdem basieren die Fragen auf dem Vorwissen oder Vermutungen des Requirements Engineers, sodass sich die Antworten in eben diesem engen Raum bewegen und dadurch nicht über den Tellerrand geschaut werden kann.

2. Dokumentzentrierte Techniken

Die dokumentenzentrierten Techniken zur Anforderungsermittlung gehören wohl zu den verbreitetsten Vorgehensweisen. Zum Beispiel werden hier die in alten oder ähnlichen Projekten dokumentierten Anforderungen für das neue Projekt wiederverwendet. Oder Sie ziehen für die Anforderungsermittlung das Altsystem bzw. die dazu vorhandenen Benutzerhandbücher zu Rate. Diese Methode wird Systemarchäologie genannt und bietet den Vorteil, bereits existierende und gewünschte Funktionalitäten im neuen System nicht zu vergessen. Gleichzeitig können sich leicht Altlasten einschleichen. Teilweise ist auch das Altsystem im wahrsten Sinne des Wortes alt, sodass Funktionalitäten längst überholt sind.

3. Beobachtende Techniken

Um differenzierte Anforderungen zu erhalten, eignen sich beobachtende Techniken wie die Feldbeobachtung, das Apprenticing oder das Contextual Inquiry. In allen Methoden arbeiten Sie eng mit den Stakeholdern zusammen und besuchen Sie an ihren Arbeitsstellen, damit Sie ihre Aufgaben und Prozesse kennen lernen. Entweder nehmen Sie dafür die Rolle eines Beobachters oder eines Lehrlings ein. Mehr zu den Beobachtungstechniken sowie Tipps und Tricks können Sie hier nachlesen.

4. Kreativitätstechniken

Hier wird Kreativität nun explizit genannt. Zu diesen Techniken zählen u. a. das Brainstorming, der Perspektivenwechsel oder die Analogietechnik. Abstrakte Anforderungen bzw. Anforderungen, die Begeisterungsfaktoren gemäß dem Kano-Modell erfüllen, lassen sich damit ermitteln.

Brainstorming ist Ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits bekannt, weil Sie wie ich durch die Schule, Ausbildung und den Beruf hinweg damit gequä… – ich meine, konfrontiert worden sind. Hier sei noch gesagt, dass es die sogenannte Methode 6-3-5 gibt, in der Sie das Brainstorming schriftlich mit Karten durchführen (ein kleiner Tipp für alle, bei denen die Gruppendynamik durch einzelne Personen dominiert wird).

Zu den weiteren Kreativitätstechniken zählt das Sechs-Hut-Denken. Keine Sorge: Dafür brauchen Sie keine wirklichen Hüte (auch wenn es unterhaltsamer wäre). Verschieden farbige Karten, die Sie den Personen in die Hand drücken, genügen. Die Hüte stehen für unterschiedliche Perspektiven auf das Projekt, z. B. eine bestimmte Berufsgruppe der Anwender oder, auf die interne Entwicklung bezogen, einen Tester. So lässt sich ein komplettes Bild auf das Gesamtprojekt erzeugen.

Bei der Analogietechnik wird es noch einfallsreicher. Hier versuchen Sie, die aktuelle Problemstellung in der Natur oder in anderen Bereichen wiederzufinden und die dort gefundenen Lösungsansätze für das eigene System zu verwenden.

5. Unterstützende Techniken

Kreativ wird es auch bei den unterstützenden Techniken für die Anforderungsermittlung. Sie können diese zusätzlich zu den oben genannten Techniken einsetzen, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Dazu zählen u. a. das Mindmapping, Workshops, Prototypen oder die Use Case Modellierung.

Wie auch das Brainstorming wird Ihnen mit Sicherheit das Mindmapping bekannt sein. Beide Techniken werden häufig in Kombination eingesetzt, um die Ideen, die im Brainstorming entstehen, in einer – wortwörtlich übersetzt – Gedankenkarte zu visualisieren. In Workshops sprechen Requirements Engineers und Stakeholder über das geplante System, welche Ziele sie verfolgen, was der Scope ist usw. Wie ein idealer Anforderungsworkshop abläuft, können Sie übrigens hier nachlesen. Mit Prototypen lassen sich Funktionalitäten mit wenig Aufwand veranschaulichen, sodass Sie damit die Anforderungen der Stakeholder prüfen, hinterfragen und weiterentwickeln können. Und die Use Case Modellierung eignet sich dafür, die Interaktion der Anwender mit dem zu entwickelnden System abzubilden und damit Funktionalitäten zu analysieren.

Ermittlung und Dokumentation der Anforderungen verbinden

All diese Techniken zeigen: Kreativität ist beim Requirements Engineering absolut gefragt! Gleichzeitig erzeugen Sie damit handfeste Ergebnisse, die Sie für die Ableitung von Anforderungen nutzen können:

  • das vollgeschriebene White Board mit den Zielen der Stakeholder und ihren Prioritäten
  • die Mindmap mit den gesammelten Ideen zu den Funktionalitäten des Systems
  • die Use Cases, die die Interaktion mit dem System beschreiben

Diese Ergebnisse müssen Sie sicher hinterlegen. Dadurch können Sie im späteren Entwicklungsprozess jederzeit nachvollziehen, warum Sie zu den jeweiligen Anforderungen und den damit verbundenen Lösungen gelangt sind. Fotos bieten sich hier natürlich sofort an. Im nächsten Schritt müssen Sie diese Fotos entweder an geeigneter Stelle ablegen oder durch ein Tool in elektronischer Form wiedergeben, damit Sie damit weiterarbeiten können. Zum Beispiel dokumentieren Sie basierend auf dem Foto des White Boards alle Stakeholder, Ziele und Prioritäten. Abgeleitete Anforderungen lassen sich dann mit dem entsprechenden Tool ganz einfach einem Ziel oder Stakeholder zuordnen, sodass Sie die Traceability sicherstellen.

Sie können die Fotos Ihren Anforderungen auch direkt beifügen. Leider wird diese simple Tätigkeit schnell zu einer Herausforderung, wenn Sie mit Werkzeugen wie MS Word oder MS Excel arbeiten. Hier lassen sich natürlich Bilder einfügen oder externe Dateien referenzieren. Aber wehe dem, der die Bilder verschiebt, Dateien umbenennt oder in einem anderen Ordner platziert! Aus diesen Gründen sind datenbankgestützte Requirements Engineering-Tools zu bevorzugen. Dort können Sie Ihre Anforderungen standardisiert dokumentieren, alle weiteren Dateien wie Bilder zentral und sicher ablegen und mit ihnen verbinden. Weitere Gründe für ein Requirements Engineering-Tool finden Sie hier.

Fazit

Auch ein ingenieurswissenschaftliches Fach wie Requirements Engineering, das man eher mit Adjektiven wie strukturiert, analytisch oder methodisch verbindet, erfordert Kreativität. Nur so können Sie Anforderungen aus allen Blickwinkeln ermitteln. Um Ihre kreativen Arbeitsergebnisse zentral abzulegen, verwenden Sie am besten ein geeignetes Requirements Engineering-Werkzeug. Und wenn Sie wie ich manchmal mit kreativen Blockaden zu kämpfen haben, dann lassen Sie es doch einfach zu und schauen, was dabei herauskommt. Auch Nichts kann Sie weiterführen 😉

Sind Sie an einem geeigneten RE-Tool interessiert? Dann empfehle ich Ihnen, einen Blick auf objectiF RM zu werfen. Es gibt eine kostenlose Testversion mit vollem Funktionsumfang, wo Sie Ihrer Kreativität freien Lauf lassen können.