Interview mit Peter Gerstbach von IIBA
Im April 2015 ist Version 3 des Guide to Business Analysis Body of Knowledge – kurz BABOK – erschienen. Für microTOOL ist es eine Fundgrube an Wissen und ein guter Grund für ein Gespräch mit Peter Gerstbach, Vorstand des IIBA Austria Chapter, und Tanja Weiß von microTOOL.
Tanja Weiß: Herr Gerstbach, Sie sind Gründer und Vorstand des IIBA (International Institute of Business Analysis) Austria Chapter, Berater, Trainer und Coach mit Ihrem eigenen Unternehmen Gerstbach Business Analyse GmbH und außerdem Autor des 2015 erschienenen Buches „Basiswissen Business-Analyse“. Sprich: Sie sind eine echte Instanz, wenn es um Business Analyse im deutschsprachigen Raum geht. Wie nehmen Sie die aktuelle Situation wahr? Gibt es einen Trend, sich auf diesem Gebiet weiterzubilden oder eine verstärkte Nachfrage in Unternehmen nach Beratungsleistungen?
Peter Gerstbach: Ich beobachte gerade zwei Trends in der Business Analyse: Einerseits den, das Unternehmen Business Analyse nicht mehr nur als eine von vielen Methoden zur Veränderung von IT-Systemen begreifen, sondern vielmehr ganzheitlich betrachten: Business Analyse ist die Methode, wenn es darum geht, Lösungen jedweder Art für aktuelle Probleme im Unternehmen zu finden. Dazu braucht es natürlich Mitarbeiter mit dementsprechenden Fähigkeiten: Nicht nur betrachten auch sie Business Analyse viel umfassender, sondern sie brauchen sowohl ein IT- und Prozess-Know-how, Wissen über Change Management als auch ein Verständnis dafür, wie sie als Person Veränderungen im Unternehmen bewirken.
Andererseits sehen Unternehmen Business-Analyse als eine absolut wichtige Kernkompetenz im und nicht mehr außerhalb des Unternehmens. Dieses Wissen soll nicht mehr an externe Berater ausgelagert werden, wie es die längste Zeit der Fall war. Unternehmen wollen ihre eigenen, internen Consultants, die sie weder einzuarbeiten brauchen, noch die ihr Wissen wieder mitnehmen, wenn der Auftrag zu Ende ist. Dazu braucht es aber auch eine passende Business Analyse Fortbildung.
Peter Gerstbach im Interview
Tanja Weiß: Im April wurde der neue BABOK (Business Analysis Body of Knowledge) Guide veröffentlicht. Ein knapp 500 Seiten starker Ratgeber für Business Analysten. Sechs Wissensgebiete mit jeweils vier bis sechs Aufgaben, die sehr detailliert beschrieben und mit zahlreichen Techniken angereichert sind. Ich hatte nach der Lektüre den Eindruck, dass ein Business Analyst sehr(!) viel zu tun hat, wenn er alle Aspekte des BABOK berücksichtigt. Wie sieht es in der Praxis aus? Muss ein Business Analyst ein Universalgenie sein?
Peter Gerstbach: Die Zeiten der Universalgenies wie Goethe sind klar vorbei: Unternehmen werden immer komplexer und auch die Aufgaben der einzelnen Rollen im Unternehmen sind deutlich differenzierter – der Ruf nach Spezialisten wird dementsprechend immer lauter. Business Analysten sind auch keine Universialgenies, müssen aber definitiv ein Stück weit Generalisten sein, also ein sehr breites Wissen haben. Ihre Spezialisierung liegt im Bereich der Business Analyse selbst.
Tanja Weiß: Also in anderen Worten …
Peter Gerstbach: Business-Analysten müssen nicht alle Einzelheiten eines bestimmten Fachthemas verstehen, weil sie ohnehin die Fähigkeiten haben, sich schnell in Themen einzulesen und einzuarbeiten. Dazu brauchen sie allerdings die Kenntnis, wo sie nachlesen und nachfragen können, um die notwendigen Informationen zu bekommen. So können sie Anforderungen richtig erheben und Unternehmen nachhaltig weiterhelfen.
Tanja Weiß: Was ist denn der Sinn und Zweck von BABOK?
Peter Gerstbach: Viele missverstehen den Sinn und Zweck des BABOKs: Der BABOK gibt keine Empfehlung für ein bestimmtes Rollenmodell ab, sondern unterscheidet vielmehr unterschiedliche Perspektiven und Kontexte: So gibt es darin Spezialisierungen in verschiedenen Bereichen wie Agile, Business Intelligence, IT, Business Architecture und Process Management. All das sind mögliche Beispiele, in welche Themengebiete sich Business Analysten innerhalb der Business Analyse Disziplin spezialisieren können.
Tanja Weiß: Je häufiger Projekte nicht die Anforderungen von Stakeholdern erfüllen, desto lauter wird der Ruf nach besserem Anforderungsmanagement. Deshalb kommen vermutlich immer mehr Zertifizierungen im Bereich Requirements Engineering und Business Analyse auf den Markt. Wie unterscheiden sich Ihrer Meinung nach beispielsweise die Zertifizierung des IIBA zum CBAP (Certified Business Analysis Professional) von der des IREB zum CPRE (Certified Professional for Requirements Engineering)?
Peter Gerstbach: Zertifikate unterstützen Unternehmen dabei, Wettbewerbsvorteile zu erlangen und Vertrauen bei ihren Kunden aufzubauen. Wir erleben in unserem Unternehmen, dass vor allem unsere Trainings, die mit international anerkannten Zertifikaten abgeschlossen werden können, immer stärker gefragt werden. Mitunter ist sicher ein Grund, dass bereits bestimmte Business-Analyse-Zertifikate verstärkt bei Stellen- und Projekt-Ausschreibungen gefordert werden.
Ich sehe Requirements Engineering als einen wichtigen Teil der Business Analyse, würde es aber niemals gleichsetzen. Business Analyse geht viel weiter: Während sich Requirements Engieneering hauptsächlich mit technischen Systemen auseinandersetzt, geht es in der Business Analyse um die gesamte Unternehmenssicht. Insofern ist es sehr schwer diese beiden Zertifikate zu vergleichen. Mit der CBAP® Zertifizierung unterstreichen Business Analysten ihre umfassenden Kenntnissen und Fähigkeiten gepaart mit viel Berufserfahrung. Dafür sind 7.500 Stunden nachzuweisende Erfahrung notwendig – im Grunde ist das der größte Unterschied. Inhaber des CBAP-Zertifikats haben also nicht nur Kurse absolviert, sondern haben diese Tätigkeit auch bereits viele Jahre im Vorfeld ausführen müssen.
Tanja Weiß: Erst am 20.08.2015 wurde eine Allianz zwischen IIBA und IREB geschlossen.
Peter Gerstbach: Ja, es geht darum, dass beide Disziplinen (Requirements Engineering und BusinessAnalyse) komplementär sind, sich also perfekt ergänzen. Im Rahmen der Zusammenarbeit soll in Zukunft die Terminologie vereinheitlicht und auch das Zertifizierungsprogramm besser abgestimmt werden. Das ist meiner Meinung nach ein ganz wichtiger und sinnvoller Schritt, der auch gemeinsame, mögliche Karrierepfade aufzeigt: Oft starten Business Analysten ihre Karriere als Requirements Engineers. Dabei setzen sich detailliert mit technischen Systemen auseinander. Nach und nach sammeln sie mehr wirtschaftliche Erfahrung und lösen schließlich als Business Analysten aus ganzheitlicher Sicht Probleme für Unternehmen.
Tanja Weiß: Laut BABOK Guide ist ein Business Analyst damit beauftragt, wertsteigernde Veränderungen in einem Unternehmen herbeizuführen. Er ist also Change-Agent. Das heißt, Business Analysten müssen Menschen zu Veränderung motivieren. Was glauben Sie, wie wichtig sind dafür Soft Skills und kann man die überhaupt erlernen?
Peter Gerstbach: Ich sehe die Hauptaufgabe von Business Analysten in der Kommunikation mit Stakeholdern. Fähigkeiten wie ein empathisches Gespür für mein Gegenüber oder aktives Zuhören sind meiner Erfahrung nach für Business Analysten gerade deswegen sogar dringlicher als technische oder kaufmännische Kompetenzen. Business Analysten brauchen nichtsdestotrotz auch betriebswirtschaftliche Kenntnisse, die ihnen helfen, ein gutes Verständnis für das Unternehmen und den Bereich zu erlangen, der für die Entwicklung zuständig ist.
Betriebswirtschaftliches Wissen kann relativ einfach über die Lektüre einschlägiger Fachliteratur entwickelt werden. Soft Skills allerdings liegen auf der persönlichen Ebene und werden durch Übung und Erfahrung perfektioniert. Wir achten daher in all unseren Trainings auf einen idealen Mix von theoretischem Wissen und sofortiger Anwendbarkeit, um so gleichzeitig die notwendigen Soft Skills in Verbindung mit den wichtigen Methoden zu trainieren.
Tanja Weiß: Auf Ihrer Website lautet Ihr Motto: „Wissen, was zählt.“ Das klingt gut. Wie finden Sie persönlich heraus, was zählt? Gibt es dafür eine Methode, die Sie uns empfehlen können?
Peter Gerstbach: Um zu wissen, was wirklich zählt, achte ich darauf, was mein Herz mir sagt und wofür ich wirklich brenne. So habe bereits seit etlichen Jahren auf meiner Visitenkarte „Business Analysis Evangelist“ und nicht Geschäftsführer als Titel stehen – das soll zeigen, dass ich meine Berufung lebe.
Business-Analysten empfehle ich, auf das zu achten, was ich den „Heureka-Moment“ nenne: Oft sieht der Business Analyst im Stakeholder die Informationsquelle Nummer 1, aber gerade am Anfang müssen diese erst aus der Reserve gelockt werden. Das ist deswegen der Fall, weil vieles so unglaublich kompliziert wirkt: Überall lose Enden und wenn man an einem Ende des Fadens zieht, entsteht nur ein großes Wollknäuel. Das überfordert viele.
Deswegen ist es wichtig, dass Business Analysten ihrem Gegenüber zunächst die Zusammenhänge sichtbar machen. Mein Tipp an alle BAs: Unterstützen Sie Ihre Stakeholder dabei zu verstehen, warum die Veränderung notwendig ist, welche Wechselbeziehungen es gibt und was die Stakeholder selber zur Lösung beitragen können. Sie werden schnell an der Haltung Ihres Gegenübers erkennen, ob Sie darin erfolgreich waren: Sätze wie „Super! Endlich ergibt das alles Sinn und ich erkenne sogar die Struktur!“ zeigen, dass der Knoten aufgegangen ist. Als Business Analyst besteht Ihre Hauptaufgabe darin, ein loses Ende des Wollknäuels in die Hand zu nehmen und solange Struktur in die Informationen zu bringen bis sie einen schönen, langen Faden entwickelt haben. Ist das geschafft, legen Sie unendlich viel Energie frei und selbst der unmotivierteste Stakeholder ist plötzlich Feuer und Flamme für das vorher noch so uninteressante Vorhaben.
Tanja Weiß: Vielen Dank für das Interview!
Peter Gerstbach: Vielen Dank für die nette Einladung.
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