Die Stakeholder spinnen doch

by | 30.04.2018 | Wissen

Können diese Augen lügen?

Wer Sie heute so süß anschaut, ist eine Springspinne. Bei der genauen Spezies muss ich Vermutungen anstellen. Auf jeden Fall gehört sie zur Familie Salticidae, wahrscheinlich zur Unterfamilie Plexippinae und dem Genus Hyllus. Ich tippe mal auf Hyllus semicupreus, eine Spinnenart, die in Indien und Sri Lanka verbreitet ist [1]. Sicher bin ich mir, wie gesagt, nicht. Eines aber weiß ich: Manche Spinnen verirren sich auf Reporter vom heute journal [2], andere spinnen ausgedehnte Netze in ihrem Lebensumfeld (Sprungspinnen tun das übrigens nicht. Sie lauern auf dem Boden und springen dann auf ihre Beute). Um den Übergang zum heutigen Blog-Thema zu schaffen:

Auch in Ihren Projekten gehen Sie mit Personen um, die ausgiebig “networken” und irgendwie mit allen anderen Stakeholdern in einer Beziehung stehen. Mal sind sie eng befreundet, mal meiden sie, zusammen in einem Raum zu sein. Wenn Sie das genaue Beziehungsnetz kennen, dann wissen Sie auch, wer auf wen und wie Einfluss ausüben kann – ein Faktor, der unter Umständen entscheidend für den Projekterfolg ist.

Die Wichtigkeit von Stakeholdern oder: Wie Nintendo erst fallen musste, um wieder auf Erfolgskurs zu kommen

Ich fange erst einmal ganz vorn an: Was sind überhaupt Stakeholder und warum sind sie wichtig?

Es war R. Edward Freeman, der ca. 1984 diesen Begriff prägte [3]. Er definierte Stakeholder als einzelne Personen oder Gruppen mit einem materiellen oder immateriellen Anspruch an einem Unternehmen. Dazu gehören sowohl natürliche Personen als auch juristische oder Institutionen wie Stiftungen und Kapitalgesellschaften. In Projekten haben Sie mit Stakeholdern wie Kunden Lieferanten, Mitarbeitern oder Wettbewerbern zu tun. Vor allem Kunden spielen beim Stakeholdermanagement eine entscheidende Rolle: Wenn Sie ihre Bedürfnisse nicht befriedigen, dann ist das Projekt gescheitert. Übrigens passiert so etwas auch Branchenriesen wie beispielsweise Nintendo:

Das bereits 1889 gegründete japanische Unternehmen kann auf eine lange Erfolgsgeschichte zurückblicken. Zunächst Hersteller von Spielkarten, gehört es mittlerweile zu den führenden Köpfen in der Videospielbranche. Ob Game Boy oder Nintendo 64, Super Mario oder Zelda – alles Technologien und Ideen, die in der Kreativschmiede von Nintendo entstanden sind und das Spielvergnügen revolutioniert haben. Und doch musste es 2012 eine herbe Niederlage einstecken, die die Welt am Weiterbestehen des Unternehmens zweifeln ließ. Denn seine neue Spielkonsole Wii U missglückte, Kunden nahmen das Produkt nicht an. Warum war das so?

Wie so häufig spielten mehrere Faktoren zusammen. Es mangelte vor allem an einem klar verständlichen Konzept für die Kunden. Warum sollte man sich die Konsole kaufen, wenn man doch schon eine Wii (die Vorgänger-Konsole) hatte? Ist das nicht dasselbe? Oder nur ein technisches Add-On? Das Marketing versagte. Zudem mangelte es an bekannten Titeln zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Warum also direkt kaufen? Überhaupt schienen neue Spiele nur rar zu erscheinen. Und auch die Technologie zeigte Schwachstellen, mit denen Kunden nicht leben konnten und wollten wie u.a. eine schwere Bedienbarkeit oder geringe Akku-Laufzeit [4].

Umso verwunderlicher dann die Aussage von Nintendo heute: “Das Scheitern der Wii U ist verantwortlich für den Erfolg” [5].

Nun gut, eigentlich ist es gar nicht so verwunderlich. Denn aus Fehlern lernt man schließlich. Und so konnte Nintendo mithilfe des missglückten Produkts erfahren, was seinen Kunden wichtig ist und an welchen Stellen seiner Technologie gearbeitet werden musste. Mittlerweile befindet es sich mit der Nachfolger-Konsole Nintendo Switch wieder auf Erfolgskurs. Wie hätte es wohl ausgesehen, wenn sich das Unternehmen schon bei der Wii U mehr Zeit dafür genommen hätte, die Ziele und Wünsche seiner Kunden zu verstehen?

Wer unterstützt wen? Wer kann sich gar nicht leiden? Und wieso hat jemand wenig Handlungsspielraum?

Die Beziehung von Unternehmen zu Kunden bzw. zu externen Stakeholdern ist nur eine Seite der Medaille. Sie müssen ebenfalls mit internen Stakeholdern umgehen. Und wie anfangs angedeutet, können diese untereinander in Beziehung stehen. Vor allem für die Überzeugungsarbeit innerhalb großer Unternehmen mit vielen unterschiedlichen Abteilungen und Personentypen ist es von erheblicher Bedeutung, den “Beziehungsstatus” zu kennen. Das möchte ich an folgenden drei Beispielen verdeutlichen:

Beispiel 1: Die Unterstützer

Sind wir einmal ehrlich: Manche mögen wir mehr als andere. Vielleicht sind wir sogar miteinander befreundet und die gegenseitige Hilfe ist selbstverständlich. Wenn Sie Stakeholder und ihre Beziehungen zueinander analysieren, kann es hilfreich sein, Unterstützer zu identifizieren. So lässt sich z.B. feststellen: Wenn Sie nur diesen einen Stakeholder überzeugen, dann überzeugen Sie damit auch zwei andere. Drei Fliegen mit einer Klappe, sozusagen.

Beispiel 2: Die Gegner

Auch die Identifikation der gegensätzlichen Beziehung trägt dazu bei, besser mit den Stakeholdern umzugehen. Womöglich tragen zwei Personen immer wieder Konflikte aus, weil sie einander “nicht riechen” können. Wissen Sie darüber Bescheid, so können Sie Informationen hinterfragen, die Ihnen ein Stakeholder im Namen des ungeliebten Stakeholders übermittelt, und einfach einmal mehr nachhaken. Doch vor allem für die Überzeugungsarbeit ist das Wissen über diese Beziehung hilfreich: Wie überzeugen Sie Stakeholder von einem Ziel, das von ihnen verhassten Stakeholdern stammt, aber erstrebenswert für das Projekt ist? Die Devise lautet hier: Blockaden durch kognitive Dissonanz [6] vermeiden und so kommunizieren, dass die Stakeholder zuhören.

Beispiel 3: Die „hierarchisch Positionierten“

Und schließlich treffen Sie auf eine Beziehungsart, die es wohl in so gut wie allen Unternehmen gibt: Stakeholder stehen in einem Hierarchieverhältnis zueinander wie z.B. Mitarbeiter und Vorgesetzte. Wer ist üblicherweise der oder die Entscheidungsträgerin? Richtig, die Vorgesetzten. Wenn Sie nun eine Idee kommunizieren und natürlich auch von dieser Idee überzeugen möchten, ist es hilfreich, diese Beziehung zu kennen. In manchen Fällen können Sie sich vielleicht direkt an die Entscheidungsträger wenden. In den meisten arbeiten Sie jedoch mit den Mitarbeitern zusammen. Also bereiten Sie Informationen so auf, dass Mitarbeiter diese verwenden können, um Vorgesetzte damit zu überzeugen – wenn Sie denn über diese Beziehungsart Bescheid wissen.

Das Beziehungsnetz mit objectiF RM darstellen

Wie halten Sie nun Ihre Erkenntnisse fest? Drucken Sie ein Foto jedes Stakeholders aus, pinnen dieses an die Wand, verbinden Sie die Fotos über eine Konstruktion aus Nadeln und Schnüren und kleben dann Post-its mit „mögen sich nicht“ oder „unterstützen sich“ an die Beziehungen? Klingt aufwändig und mag zu besorgten Blicken Ihrer Mitmenschen führen.

Einfacher und weniger besorgniserregend für andere ist ein passendes Tool. Mit objectiF RM, unserer Requirements Engineering-Lösung, geht das mit wenig Aufwand: Sie erstellen Zieldiagramme, in denen Sie die Stakeholder, ihre Ziele und Wünsche sowie Beziehungen erfassen. Damit können Sie Zielkonflikte aufdecken, aber auch Unterstützer oder Gegner visualisieren. Das geht mit der neu geschaffenen “Kennt-Beziehung”, die ab Version 5.3 zur Verfügung steht. Sie ermöglicht es, aus sechs verschiedenen Beziehungsarten zu wählen; neben den vorher genannten beispielsweise auch die Beziehungsarten “Supervisor” (Vorgesetzte(r)) oder “StaffMember” (Mitarbeiter(in)). Zusätzlich lassen sich die Effekte dokumentieren, die eine Beziehungsart nach sich zieht, und diese damit auch für tabellarische Auswertungen nutzen. Im folgenden Beispiel habe ich ein kleines Beziehungsnetz in einer Familie erzeugt.

objectiF RPM Stakeholder Kennt-Beziehungen im Zieldiagramm

Wie Sie sehen können, versteht sich Herr Rot nicht mit seiner Schwiegermutter (und umgekehrt). Herr und Frau Rot unterstützen sich allerdings gegenseitig und auch die Eltern von Frau Rot sind am Wohlergehen des einzigen Kindes interessiert. Wer genau hinschaut, erkennt, dass die Mutter von Frau Rot die Entscheidungen im Eheleben trifft.

Seien Sie also gespannt auf die neue Version von objectiF RM, damit Sie die Kennt-Beziehung selbst ausprobieren können. Was objectiF RM bereits jetzt schon kann, können Sie hier nachlesen. Übrigens: In objectiF RPM wird diese Funktionalität natürlich auch integriert.

Fazit

Der Blog-Beitrag führt zu mehreren Erkenntnissen. Erstens: Es ist gar nicht so einfach, nette Spinnenbilder zu finden. Zweitens: Das Scheitern eines Projekts bedeutet nicht das Ende der Welt. Vielmehr kann man durch Misserfolg zu größeren Erfolgen gelangen. Und drittens: Stakeholder spielen eine wichtige Rolle für den Projekterfolg – sowohl als Kunden als auch als interne Mitarbeiter. Auf die richtige Kommunikation kommt es an und das geht oftmals nur, wenn Sie das Beziehungsnetz zwischen den Stakeholdern kennen und Auswirkungen Ihrer Entscheidungen einschätzen können.

Mit objectiF RM sind Sie auf dem besten Weg, solche komplexen Geflechte zu erfassen und in Ihrem Sinne zu nutzen. Wer weiß, wie damals die interne Kommunikation bei Nintendo gelaufen ist? Womöglich hätten die richtigen Leute Einfluss auf Entscheidungsträger nehmen können.

Ich für meinen Teil schalte heute Abend meine Nintendo Switch an und begebe mich in die bunte Welt von Mario. Für heute war’s das mit Beziehungskram!

 

P.S.: Wenn Sie übrigens wissen, um welche Spinnenart es sich genau handelt, dann dürfen Sie mir und allen Leserinnen und Lesern das natürlich gern verraten.

 

Hinweise:

[1]: Die Spinnen-Spezies „Hyllus Semicupreus“ (Vorsicht! Es gibt dort weitere Spinnenbilder): https://en.wikipedia.org/wiki/Hyllus_semicupreus

[2]: T-Online (April 2018): Spinne krabbelt im “heute journal” live über Reporterin. URL: http://www.t-online.de/unterhaltung/tv/id_83522996/-heute-journal-spinne-krabbelt-zdf-reporterin-britta-hilpert-ueber-die-schulter.html

[3]: R. Edward Freeman (2011): Strategic Management. A Stakeholder Approach. Cambridge: Cambridge University Press.

[4] Techradar (Dezember 2015): Nintendo Wii U review. URL: https://www.techradar.com/reviews/gaming/games-consoles/nintendo-wii-u-1084120/review

[5]: CNN tech (Dezember 2017): Nintendo exec: Failed Wii U is responsible for Switch’s success. URL: http://money.cnn.com/2017/11/09/technology/nintendo-switch-wii-u/index.html?iid=EL

[6]: Die kognitive Dissonanz beschriebt einen Zustand, in dem der Kommunikationsteilnehmer eine innere Blockade gegenüber Sachverhalten aufbaut, weil diese z.B. seinem Weltbild widersprechen.