Kommunikation bei Rückrufaktionen
Mittwoch, 12.10.2016, Durchsage beim Airberlin-Flug von Berlin nach Köln: „Aus Sicherheitsgründen ist die Benutzung und das Aufladen des Samsung Galaxy Note 7 an Bord nicht gestattet!“ Das Gelächter ist groß. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Doch nicht nur Samsung, sondern auch Volkswagen, Aldi, IKEA, Opel, Apple, Recaro oder BMW mussten bereits Produkte zurückrufen. Offensichtlich klappt auch bei Konzernen, Weltmarktführern oder Vorzeige-Unternehmen nicht immer alles perfekt und reibungslos. Wie sollten Unternehmen in Krisenzeiten am besten kommunizieren? Und können sie diese Krisen womöglich als Chance nutzen?
Eine (unvollständige) Liste von Unternehmen mit Rückrufaktionen
Drehstühle und Spiegel beim Möbeldiscounter ROLLER, Fonduepfannen von Stöckli, Elektro-Warmwasser-Speicher von Kaldewei, Akku-Heckenscheren von Stihl, Netzteilstecker von Apple, Notebook-Netzkabel von Acer, Senseo Kaffeepadmaschinen von Philips, Röhrenfernseher von Grundig und Loewe, Wäschetrockner von Siemens, Tablet-Ladegeräte von Nokia – die Liste von Unternehmen mit Rückrufaktionen ist lang.¹
Sie ist sogar noch länger als die meisten Konsumenten wahrnehmen. Im Porsche 918 Spyder wurden Schrauben von Gurtendbeschlag und Gurtroller vertauscht. Im Toyota Prius IV löste sich ein Bremsteil der Feststellbremse aus der Arretierung. Im Volvo S90 war der Ablaufschlauch der Klimaanlage undicht.² Und bei einem Frontalaufprall gefährdet der Recaro Kindersitz Optia nicht nur das Kind sondern auch gleich Fahrer und Beifahrer.³
Und damit ist die Liste immer noch nicht zu Ende: Aldi-Süd musste im September 2016 das Produkt „Desira Grießdessert“ zurückrufen, denn es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass sich aufgrund einer technischen Störung im Herstellerbetrieb Kunststoffteile in einzelnen Packungen befanden.4 Der Möbelriese IKEA rief im Juni 2016 in den USA und Kanada 36 Millionen Kommoden zurück.5 Und Mars holte im Februar 2016 Schokoladenriegel in 55 Ländern aus den Regalen, denn in einem Riegel wurde ein Kunststoffteilchen gefunden.6 Haben Sie von diesen drei Rückrufaktionen gewusst? Von allen drei oder lediglich von einem oder zwei der Fälle? Manche Unternehmen halten sich in der Krisenkommunikation vielleicht deswegen zurück, weil sie hoffen, dass möglichst wenige Konsumenten von dem Problem erfahren.
Die drei Unternehmen haben in den genannten Beispielen Rückrufaktionen durchgeführt. Sie haben nicht versucht, die Krisen mit einem naiven und sogar grob fahrlässigen „Vielleicht werden wir nicht erwischt!“ zu meistern. Gut so, denn Verbraucher und Anwender erwarten, dass Hersteller gerade in einer Krisen- und Gefahrensituation Verantwortung zeigen, transparent informieren und gegebenenfalls Produkte zurückrufen.
Hilft bestimmt nicht in Krisenzeiten
Der Produktunterschied und die Wahrnehmung
Nutzen Sie ein Smartphone und updaten Sie Ihre Apps automatisch, wenn Sie in einem WLAN sind? Sie bekommen also praktisch nicht mit, welche neuen Versionen es gibt, was sich mit diesen ändert und welche Fehler beseitigt wurden, oder? In der Softwareindustrie ist dies ein weit verbreitetes Vorgehen. Updates und Patches bieten neue Funktionen und Fehlerbeseitigungen. Das ist für den Anwender angenehm und für den Hersteller im Sinne der Softwareverteilung neuer Features und bei der Beseitigung von Fehlern auch. Eventuell haben Sie sich privat oder auch in Ihrer Firma ein alternatives Vorgehen überlegt, sofern Sie keine automatischen Updates nutzen wollen: Sie warten einfach einige Tage. Warum sollten Sie ein Update gleich am Tag der Veröffentlichung installieren, wenn Sie auch noch etwas warten können? Durch das verzögerte Updaten erhalten Sie die Chance, erste Erfahrungen von externen Anwendern – die damit quasi zu Testern für Sie oder Ihr Unternehmen werden – zu nutzen und auf kurzfristige Nachbesserungen der Hersteller zu warten. Denkbar ist, dass das automatisierte Updaten von Software auch zukünftig in der Automobilindustrie funktionieren wird; bei falsch montierten Schrauben, sich lösenden Bremsteilen oder undichten Ablaufschläuchen hilft hingegen nur die manuelle Reparatur. Und hier liegt der Unterschied in der Wahrnehmung: Lässt sich ein Problem mit einer zeitlichen Dringlichkeit und damit einhergehender Gefahr für Leib und Leben nur manuell beheben, dann ist eine Rückrufaktion zwingend. Bei fast allen anderen Problemen lässt sich die Lösung updaten.
Interne und externe Kommunikation
Wenn Sie tatsächlich gezwungen sind, eine Rückrufaktion durchzuführen – worauf sollten Sie bei der Kommunikation des Vorfalls achten? Es gibt Unternehmen, die benennen als erstes einen Ansprechpartner, über den die gesamte Kommunikation mit Vertriebspartnern, Verbraucherverbänden, Behörden und der Presse laufen soll. Einerseits ist dies sinnvoll, andererseits wird hier bereits eine große Chance vertan. Mitarbeiter sind Markenbotschafter! Das können sie aber nur im Sinne eines Unternehmens sein, wenn mit ihnen intern kommuniziert wird. Als Unternehmen wollen Sie natürlich vermeiden, dass 1.000 Mitarbeiter ebensoviele verschiedene Geschichten erzählen und Mutmaßungen anstellen. Auch wenn Unternehmen intern regeln, wer die befugten Ansprechpartner für die planmäßige externe Kommunikation sind, werden die Mitarbeiter des Unternehmens in ihren Familien, im Freundes- und Bekanntenkreis nicht aufhören, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Und diese Menschen werden es anderen erzählen. So entstehen Meinungen zum Vorfall und zum Unternehmen allgemein und eine spätere Korrektur durch das Unternehmen kann sehr aufwändig und teuer werden. Daher ist es für Unternehmen deutlich sinnvoller, die Gründe des Rückrufs aufzudecken und über das Vorgehen zur Ursachenfindung zu kommunizieren. Und dies intern und extern.
Unternehmen sollten also
- sorgfältig und so schnell wie möglich die Problemursachen ermitteln,
- interne und externe Ansprechpartner definieren,
- mit Mitarbeitern und Marktteilnehmern transparent und offen kommunizieren,
- einen Zeitplan kommunizieren und so für die die Mitarbeiter und Marktteilnehmer eine Orientierung bieten,
- sachlich fundierte Informationen veröffentlichen und dabei Ursachen und Folgen nicht verharmlosen,
- nicht über Gründe spekulieren oder Schuldzuweisungen äußern,
- dafür Sorge tragen, dass sie fortan wieder Produkte in gewünschter Art und Weise produzieren.
Und vor allem sollten sie sich entschuldigen.
Vertrauen gewinnen mit Rückrufaktionen
Vertrauen zu gewinnen in Zeiten, in denen Produkte immer ähnlicher werden, ist für viele Unternehmen sehr wichtig. Wenn Ihr Support zügig und kompetent Hilfe bietet, fällt es Ihren Kunden sehr viel leichter, mögliche Fehler zu verzeihen. Kunden fühlen sich bei Ihnen gut aufgehoben, selbst wenn nicht alles immer perfekt und reibungslos läuft. Dieses Vertrauen kann durch eine Rückrufaktion natürlich sehr schnell verloren gehen; um so wichtiger sind transparentes Vorgehen und Handeln sowie eine offene und ehrliche Kommunikation. Unternehmen benötigen für solche Situationen Krisenstrategien, denn wenn diese fehlen, passiert genau das, was gerade im Moment der Firma Samsung mit dem Galaxy Note 7 widerfährt: Die Presse spekuliert über einen selbstgerechten Firmenchef, der nicht auf seine Mitarbeiter hört. Die amerikanische Flugbehörde verbietet auf Flügen über Amerika die Verwendung des Produkts in allen Flugzeugen. Und dem Unternehmen wird vorgeworfen, dass sie die fehlerhaften Akkus lediglich intern getestet hätte. Was ist tatsächlich passiert? Bei 400.000 verkauften Geräten wurden 35 Fälle gemeldet, bei denen das Gerät heiß wurde oder sogar in Flammen aufgegangen sein soll. Bestimmt keine angenehme Situation für die 35 Besitzer, aber umgerechnet sind das 0,00875% der Geräte. Eine Explosion in einem öffentlichen Raum, einem Bus, einer Bahn oder einem Flugzeug gab es bisher gar nicht. Abgesehen davon stecken in 30% der Geräte Akkus eines anderen Herstellers und diese haben noch kein Problem verursacht. Doch diese Argumente werden nicht mehr gehört. Keine Krisenstrategie, kein Vertrauen. Die unmittelbaren Verluste lassen sich abschätzen, der Imageverlust ist nicht zu beziffern.
Natürlich wollen Organisationen Fehler oder gar Rückrufaktionen vermeiden. Leider gelingt dies nicht immer. Fehler passieren nun einmal – das ist keine neue Erkenntnis. Neu könnte aber der Umgang mit diesen Fehlern sein. Unternehmen sollten unmittelbar aus ihren Fehlern lernen und diese dauerhaft beheben. Eine Rückrufaktion muss der Startschuss für eine Qualitätsoffensive des Unternehmens sein. Es geht darum, das Vertrauen der Marktteilnehmer (zurück) zu gewinnen. Dieses Vertrauen sichert in Verbindung mit guten Produkten den Fortbestand des Unternehmens. So können aus Krisen bessere Verfahren, höhere Qualitätsstandards und vielleicht sogar eine offenere Kommunikationskultur entstehen. Darin liegt die Chance in Rückrufaktionen.
Hinweise
[1] Das Portal Produktrueckrufe.de liefert Informationen rund um Rückrufaktionen, Produktwarnungen und Sicherheitshinweise: http://www.produktrueckrufe.de/
[2] Der ADAC listet aktuelle Rückrufe der Automobilindustrie auf: https://www.adac.de/infotestrat/reparatur-pflege-und-wartung/rueckrufe/
[3] Stiftung Warentest: Rückruf Recaro Basiseinheit: https://www.test.de/Rueckruf-Recaro-Basiseinheit-Sicherheitsrisiko-durch-Sitz-Optia-5080664-5080666/
[4] Aldi-Süd informiert über Rückruf von „Desira Grießdessert“: http://www.cleankids.de/2016/09/14/rueckruf-kunststoffteile-aldi-sued-informiert-ueber-rueckruf-von-desira-griessdessert/61709
[5] Ikea ruft in den USA und Kanada 36 Millionen Kommoden zurück: http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2016-06/ikea-kommoden-rueckruf-usa-kanada
[6] Freiwilliger Rückruf von Schokoladenprodukten durch Mars Chocolate: http://www.mars.com/germany/de/press-center/press-list/news-releases.aspx?SiteId=70&Id=7010
Hallo Herr Schenkel,
ein gute Auseinandersetzung mit einem wichtigen Thema. Hoffen, dass man nicht erwischt wird, ist die falsche Taktik. Ich stimme zu, dass die Kommunikation intern und extern ein äußerst wichtiger Punkt ist bei Produkt-Rückrufaktionen, sonst entstehen durch die Mitarbeiter mehrere Versionen und falsche Gerüchte, die der Firma schaden können. Das Vertrauen in ein Produkt oder eine Firma ist schnell zerstört, deshalb ist Ehrlichkeit und Offenheit und eine klare Kommunikation, was passiert ist, in so einer Situation äußerst wichtig, besonders in den sozialen Netzwerken. Das finde ich übrigens ein sehr gutes Beispiel für eine gelungene Rückrufaktion http://www.keksblog.com/allgemein/achtung-warenrueckruf-wegen-metallfremdkoerper/
Freundliche Grüße
Claudia Dieterle