Patentbeobachtung als Wettbewerbsvorteil
Tragen Sie in Ihrem Unternehmen Verantwortung für Innovationen und neue Technologien? Entwickeln Sie neue Produkte und investieren Sie in neue Märkte? Wenn Sie sich mit Neuerungen beschäftigen, nutzen Sie sicher viele Quellen, um „auf dem Laufenden zu bleiben“. Viele für Sie interessante Entwicklungen können auch außerhalb Ihres Informationsnetzwerkes stattfinden. Mit etwas Pech erfahren Sie davon zu spät. So entstehen Doppelinnovationen, möglicherweise kommt es zu Rechtsstreitigkeiten, Zeit- und Kostenbudgets könnten überschritten werden.
Wie können Sie solche Szenarien verhindern? Wie erhalten Sie zuverlässig Neuigkeiten über Innovationen, neue Techniken, Produkte oder Märkte Ihrer Mitbewerber? Die Antwort lautet: Patentbeobachtung.
Vorteil durch Patentbeobachtung
Unternehmen versuchen laufend, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Durch die Beobachtung von Patenten besteht die Möglichkeit, frühzeitig strategische und operative Informationen zu gewinnen und diese in Marktvorteile umzusetzen. Patentbeobachtung wertet sowohl die Patentschrift als auch deren Rechtsstand aus.
Patentschriften enthalten Informationen über Neuerungen und technische Gebiete einer Erfindung. Sie beschreiben technische Probleme und entsprechende Problemlösungen. Sie sind damit eine sehr gute Informationsquelle, wenn Sie in Ihrer Organisation Verantwortung für Innovationen tragen. Falls Sie es noch nicht tun: Wie wäre es, wenn Sie ab und zu in den stetig wachsenden Patentbestand hineinschauten? Eventuell war einer unserer 7 Milliarden Mitmenschen oder ein Vorfahre bereits so scharfsinnig, wie Sie es von sich selbst annehmen? Bei 274.000 neuen Patentanmeldungen alleine beim Europäischen Patentamt nur im Jahr 2014 ist das zumindest denkbar, oder?
Doch wie gehen Sie bei ca. 105 Millionen öffentlich zugänglichen Patentschriften vor? Welche Strategien führen bei einer Patentbeobachtung zu gewünschten Ergebnissen und was kommt auf Sie zu, wenn Sie Patentschriften lesen?
Patentbeobachtung als Wettbewerbsvorteil
1. Technologie
Bestimmt sind Sie stolz auf Technologien und Produkte aus Ihrem Unternehmen. Wenn aus Ideen Produkte werden, wenn Sie selbst etwas Neues entwerfen oder es gemeinsam mit Kollegen oder Mitarbeitern entwickeln, Innovationen können leicht begeistern. Haben Sie schon einmal versuchsweise mit Google Patents¹, The Lens² oder der Espacenet Patentsuche³ nach entsprechenden Patenten zu Ihrem Produkt gesucht? Haben Sie Stichworte, Fachbegriffe, Synonyme, Abkürzungen, Schreibfehler oder Umschreibungen gesucht? Eventuell erhalten Sie zu ihrem innovativen Vorhaben viele Patenttreffer. Vermutlich finden Sie noch mehr Treffen, wenn Sie Ihre Suche mit nicht-westlichen Sprachen ergänzen. Oder wenn Sie zusätzlich Tools etwa zur Semantiksuche4 verwenden. Auf welche Weise Sie bei einer Patentsuche auch vorgehen, am Ende steht mindestens eine Handvoll Patentschriften, die Sie „nur noch“ verstehen müssen.
Patentschriften beinhalten technische Informationen, jedoch in einer für Ingenieure ungewohnten Form. Patente sind kein Forschungsbericht, kein Werbeprospekt, keine Bauanleitung. Sie formulieren Rechtsansprüche für eine vollständig offenbarte Erfindung, die der Inhaber aufgrund der Patentgesetze gegen Gebühren für sich beansprucht. Damit der Anspruchsbereich umfassend wird, führt das aus Ingenieurssicht regelmäßig zu einschläfernden und weltenfern entrückt wirkenden Sprachkonstrukten.
Was sollten Sie als Erstes herauslesen?
1.1 Erfinderische Aufgaben
Erfinderische Aufgaben stehen an mehreren Stellen in Patentschriften. Dabei gibt es einen bedeutenden Unterschied zur Denk- und Arbeitsweise des erfinderischen Ingenieurs.
Ein Ingenieur bemerkt am Anfang ein Problem als konkrete Aufgabe. Im Erfolgsfall folgt daraus eine konkrete Lösung.
Der Patentanwalt Ihres Mitbewerbers hat später eine andere Aufgabe. Zur konkreten Ingenieurslösung muss er rückblickend einen Stand der Technik ermitteln. Gegen ihn soll die Ingenieurslösung viel Technisches, Neues, Erfinderisches und gewerblich Nutzbares bieten. Die konkrete Lösung ist so zu verallgemeinern, dass beliebig viele andere konkrete Ausführungen ebenfalls darunter fallen. Alle sind gleichzeitig miterfunden. In der Folge sind Andere leichter in der Gefahr, diese Ansprüche konkret zu verletzen: Ihre findigsten Entwickler könnten somit Straftaten begehen.
Durch dieses Vorgehen werten Patentanwälte regelmäßig konkrete Erfindungen auf. So entfaltet das Patent aktiv seinen Schutz: Ansprüche bestätigen lassen, Verletzer aufspüren, mit Rechtsmitteln gegen sie vorgehen.
Die erfinderische Aufgabe zu verstehen, bereitet die Bühne für das Wichtigste im Patent.
1.2 Erfinderische Lösung
Die erfinderische Lösung in den Ansprüchen ist das Salz der Schrift. Bilder, Text, Ausführungsformen sollen das Verständnis erleichtern. Rechtlich bindend sind die Ansprüche.
Eine Patentanmeldung bleibt ein Wagnis mit ungewissem Ausgang. Die kann der Anwalt vor Erteilung einschränken, jedoch nicht mehr erweitern. Insgesamt führt das zu Anspruchsformulierungen, die als Satzstruktur selten Sätze sind. Dafür folgen sie einer akkuraten Logik. Der Effekt bei manchen Patenten: Auch nach wiederholtem Lesen erahnen Ungeübte nur, worum es wohl gehen mag.
Patente informieren über Technologien, Produkte oder Verfahren. Aber: Ist das schon alles? Was ist mit dem weniger Offensichtlichen?
2. Heimliche Mitbewerber
Auf Ihrem Gebiet kennen Sie Ihre aktuellen und vergangenen Mitbewerber. Da sind wenig Überraschungen zu erwarten, dank Ihres Informationsnetzwerks. Erlebt haben wir es aber schon alle: Ein neuer Mitbewerber bleibt unentdeckt. Auf ein Mal ist er da! Aus einem bisher unbeachteten Land, vielleicht aus einer Hochschule, taucht ein neuer Mitbewerber auf. Er verringert Ihre Marktanteile, bietet Ihren Kunden Besseres, verhagelt Ihre Patentanmeldung, ist nicht mehr aufzuhalten.
Wie hilft Ihnen der öffentliche Patentbestand, solche Mitbewerber frühzeitig zu erkennen? Was werden Sie sehr einfach durch die Patentbeobachtung entdecken?
2.1 Mitbewerber-Namen
Mitbewerber-Namen stehen in Ihren Trefferlisten sowie auf der ersten Seite der Patentschrift. Im Moment sorgt China für Unerwartetes. Vor wenigen Jahren enthielten viele Anmeldungen eher mechanische, naheliegende Erfindungen. In der Zwischenzeit tauchen zunehmen inhaltlich hochkarätige Anmeldungen auf. Hier lohnt ein aufmerksamer Blick auf China, ebenso wie auf andere Länder. Die Frage ist: Sind diese Länder einfach nur fleißig? Oder sehen Verantwortliche dort noch mehr in Patenten?
2.2 Mitbewerber-Werte
Was betrachtet Ihr Mitbewerber als wertvoll? Neben den technischen Inhalten erhalten Sie durch die Patentbeobachtung weitere Anhaltspunkte. Patentanträge werden erst streng geprüft, dann erteilt oder abgelehnt. Das ist deutlich teurer als in einigen Ländern zulässige Gebrauchsmuster anzumelden, die das Patentamt ungeprüft erteilt. Welche Aufwände leistet Ihr Mitbewerber? Welche wälzt er ggf. auf Sie ab, weil Sie rechtlich dagegen vorgehen müssen?
Auch die Ansprüche enthalten Hinweise: Ihr Aufbau kann das Herkunftsland und möglicherweise geplante Anmeldeländer nahelegen. Ihr Schwerpunkt sagt etwas über schmal- oder breitbandige Schutzstrategien. Manche Ansprüche sind derart weitreichend, dass sie in vielen Industrien und Märkten Schutz entfalten, etwa gegen Ihr Produkt. Ihr Destillat sagt etwas darüber aus, ob überhaupt genügend Beanspruchbares übrig bleibt – auch wenn das im Lesenebel untergeht.
Beispielsweise sollte ein vernebeltes, wenig schützendes und auf viele Länder erstrecktes Patent bei Ihnen Fragen aufwerfen: Was steckt dahinter? Ist es ein Baustein für Größeres?
2.3 Mitbewerber-Expansion
Wird das Patent in einem einzigen Land angemeldet? Dann es gilt nur dort. Wurde es bereits auf andere Länder ausgedehnt, oder steht diese Tür dem Inhaber noch offen? Das ist teuer für den Anmelder. Damit erhalten Sie Hinweise, in welchen Regionen Ihr Mitbewerber eine Innovation schützt. Das mag taktische, strategische oder klare Marktgründe haben, wie etwa die Expansion mit ausgewählten geschützten Produkten.
Häufig melden Erfinder aus China ungeprüfte Gebrauchsmuster an. Im schlimmsten Fall sind sie nur Behauptungen: Sie könnten ihren Zweck erfüllen, aufwendige Rechtsverfahren mit ungewissem Ausgang nach sich zu ziehen. Wie könnte jetzt der Schachspieler, der Stratege in Ihnen zum Zuge kommen?
3. Ihre Rechtslage
Kein erteiltes Patent schützt ewig. Erteilte Patente erlöschen aus den unterschiedlichsten Gründen. Die Wichtigsten davon sind: Es gibt Einsprüche gegen sie, ein Nichtigkeitsverfahren hatte Erfolg (wenn die Erfindung schon bekannt war5), ihre Zeit läuft ab, oder ihr Anmelder lässt sie untergehen.
Das macht Ihre Lage unübersichtlich, das macht sie riskant. In dieser Situation sollten Sie auf Spezialisten für FTO-Analysen (Freedom-To-Operate) zurückgreifen6. Nur dann können Sie einschätzen, ob Sie beispielsweise ein Patent bereits frei nutzen dürfen, ob Sie in Lizenzverhandlungen mit dem Rechteinhaber treten sollten, ob Sie Patentumgehungen ins Auge fassen müssen.
Nach meiner Einschätzung sollte jedes technisch orientierte Unternehmen ein wachsames Auge auf Patente Dritter haben: Gerade auch dann, wenn es selbst keine Patente anmeldet.
Ausblick
Patentbeobachtung kann Ihnen einen strategischen Wettbewerbsvorteil bieten. Mit oder ohne Patentbeobachtung: Patente Dritter bergen Risiken, aber auch Chancen. An einem Ende der Skala möglicher Risiken steht die Zeitverschwendung, weil Sie mühsam etwas wieder erfinden, das es bereits gibt. Am selben Ende stehen auch willentliche oder unwillentliche Schutzverletzungen. Im einfachsten Fall bedrohen diese Sie mit Verboten, im schlimmsten Fall mit Offenlegung, Geld- und Freiheitsstrafen. Am anderen Ende stehen Ihre Chancen. Was wäre, wenn Sie in Patenten veröffentlichtes Wissen nutzen könnten? Mit notwendiger Lizenz oder frei verfügbar: Was könnten Sie heute für Ihre Produkte besser erreichen, wenn Sie den Patenterfindern auf die Schultern stiegen?
Wie könnte es für Sie weitergehen, sobald Sie Patentinformationen aktiv nutzen? Haben Sie ein fremdes Patent gefunden, inhaltlich verstanden und die rechtliche Seite abgeklärt? Dann eröffnen sich Ihnen neue Möglichkeiten, denn Sie können beispielsweise:
- einzigartige Produkte realisieren,
- deren verheerenden Risiken beim Anwender vorwegnehmen und verhindern,
- Schwachstellen im Patent erkennen und nutzen,
- ein Patent weiterinnovieren,
- und Wettbewerbsvorteile schaffen und ausbauen.
Hinweise:
Wenn Sie sich mit Patenten beschäftigen und Unterstützung benötigen, steht Ihnen Michael Schlüter gerne zur Verfügung. Aktuelle Seminare zu Patenten und zu Risiken finden Sie im Bildungskompass 2015, Nano- und Materialinnovationen Niedersachsen (NMN) e.V. [Internet]. 2015. Verfügbar unter: http://www.nmn-ev.de/fileadmin/Initiative/Bildungskompass_2015/150429_nmn_bildungskompass.pdf
[1] Google Patents [Internet]. Google Patents. 2016. Verfügbar unter: https://patents.google.com/
[2] Lens [Internet]. The Lens. 2016. Verfügbar unter: https://www.lens.org/lens/
[3] Espacenet Patentsuche [Internet]. Espacenet – Erweiterte Suche. 2016. Verfügbar unter: http://worldwide.espacenet.com/advancedSearch
[4] LexisNexis® Semantic Search for Intellectual – Semantic Search for Intellectual Property Solutions [Internet]. LexisNexis® Semantic Search for Intellectual Property | intelligent patent research | LexisNexis®. 2016. Verfügbar unter: http://www.lexisnexis.com/en-us/products/semantic-search.page
[5] Engelfriet A. The »Donald Duck as prior art« case [Internet]. 2006. Verfügbar unter: http://www.iusmentis.com/patents/priorart/donaldduck/
[6] Freedom to Operate [Internet]. Freedom to Operate | Blue Patent. 2016. Verfügbar unter: http://www.bluepatent.com/de/freedom-operate
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