Sinnkopplung – die unsichtbare Kraft der Sieger im Wettbewerb
In meinen Jahren als Berater lies ich viele Unternehmer, Eigentümer und Führungskräfte ihre Top 5 der entscheidenden Themen für den Unternehmenserfolg aufstellen. Kontext der Aufgabe bildete die Frage: „Wie können wir die Arbeitsleistung der Mitarbeiter verbessern?“ In nahezu allen Listen kam Sinn vor, allerdings nie auf dem ersten Platz. Etwas anderes verdrängte stets unsere Sehnsucht nach Erfüllung. Mal bekam die Suche der richtigen Qualifikationswege den Vorzug, mal das Gehaltssystem an sich oder der Blick auf die Aktualität der Arbeitsmittel.
Mir zeigten die Antworten: Sinn ist maßgebend, aber augenscheinlich bestenfalls für den zweiten Rang der Aufmerksamkeit gut! Warum das so ist und wie wir Menschen/ unsere Firma die Energie der Sinnerfüllung praktisch nutzen können, möchte ich gerne erklären.
Das Problemkind Sinn im Unternehmen
Viele kennen die Situation; man entdeckt ein Thema und erkennt, dass sich das Geschäft darum kümmern muss, sonst verliert es an Schlagkraft. Mir ging es so mit dem Thema der beruflichen (menschlichen Erfüllung). Ich stellte drei Thesen auf: Wir alle sehen uns nach Verwirklichung. Denn erfüllte Menschen …
- bringen ihre höchstmögliche Leistung.
- handeln intelligent.
- halten durch, selbst wenn es schwierig wird.
Bisher begegnete ich niemandem, der diese Annahmen grundweg ablehnt. Dennoch fand ich auch keinen, der die Thematik zum zentralen Dreh- und Angelpunkt (s)einer Firmenpolitik priorisierte. Warum? Weil Sinn zu komplex ist!
Die Vielschichtigkeit von Sinn verstehen:
Um erfassen zu können was es bedeutet, im Unternehmen oder im eigenen Leben sinngekoppelt zu sein, ist es nützlich, Sinn zu differenzieren:
Eigensinn
In uns verwurzelt ist die Sehnsucht, unserem Leben Sinn zu geben. Dieser Wunsch, bestimmt das Handeln. Er ist zudem Gradmesser unserer Vorstellungen von (künftiger) Zufriedenheit.
Fremdsinn
Geht man weiterhin von sich selbst aus, so stößt man schnell an die Grenzen der eigenen Möglichkeiten, den Eigensinn zu erreichen. Will man etwas, dass einem fehlt, braucht man andere Menschen, die es einem für irgend etwas, das man tut oder ist, geben. Ein Schauspieler sollte sein Stück auch aufführen, will er Applaus bekommen. Fremdsinn nimmt naturgemäß Einfluss auf andere, bis hin zur Manipulation. Praktisch alle Unternehmen strukturieren und formalisieren sich darüber. Kann die Geschäftsführung noch hie und da ihren Eigensinn im Vordergrund halten, binden die Angestellten ihre Vertragsverhältnisse. Sie stellen dem persönlichen Sinn den Fremdsinn der Führung voran. Wir kennen die Paragraphen der Arbeitsverträge zur Weisungsbefugnis.
Gemeinsinn
Mit Gemeinsinn bezeichne ich die Situation, in der Eigen- und Fremdsinn mehrerer Menschen sich ähneln. Eine Gruppe leistet und handelt zur gemeinschaftlichen Erfüllung miteinander in dieselbe Richtung. Sie beziehen sich auf ein vergleichbares Wohin und Wozu. Dies kann eine geteilte Weltanschauung ebenso wie ein gemeinsames Wirtschaftsunternehmen sein. Gemeinsinn entsteht durch Sinnkopplung. Der in der Gruppe gewonnene Gemeinsinn ist außerhalb derselben weiterhin ein Fremdsinn.
Fallbeispiel: Ein Erfinder, entwickelte in seiner Doktorarbeit eine neue Technologie und wollte sich damit in Form konkreter Produkte verwirklichen. Er gewann sowohl fachliche Mitstreiter wie auch Investoren, die an seinen Eigensinn und später an den Gemeinsinn der wachsenden Gruppe ankoppelten. Alle, Mitentwickler, Mitarbeiter, Geldgeber, Anwälte und Gesellschafter schöpften durch ihren Gemeinsinn eine beeindruckende Energie, um die Erzeugnisse an den Markt zu bringen. Es entstand eine Millionen schwere Forschungsfirma. Nach drei Jahrzehnten gelang einem angestellten Doktoranden, wissenschaftlich nachzuweisen, dass die ersten Grundannahmen zur Technologie falsch und die erhofften Produkte funktionsunfähig sind. Mit diesem Wissen brauchte es weitere Jahre, kostete Millionen von Euro und trieb den Erfinder körperlich wie menschlich an den Rand der Existenz, bis die Gruppe und unter ihnen zuletzt auch er, von ihrem gemein (Wahn-)Sinn ablies.
Der Wahn ist der beängstigende und zerstörerische Zwilling des Sinns. Innerhalb des Wahns handeln seine Anhänger sinnvoll und richtig, während es für Außenstehende häufig destruktiv, verletzend und sogar existenziell gefährlich ist.
Wie können wir Gemein-Wahn vom Gemein-Sinn abgrenzen? Erstens anhand der Freiheit zu abweichendem Denken, Reden und Handeln. Sprich der Eigenständigkeit, den eigenen dem gemeinsamen Sinn unterzuordnen bzw. eben nicht. Egal, wie viel Energie die Gemeinschaft entwickelt, die einen Gruppen-Sinn findet, sobald sie dazu übergeht ihren Sinn gewaltsam durchzusetzen, wandelte sich Sinn zu Wahn. Die Übergänge hält man dabei oft schwer auseinander. Es ist eine Gratwanderung, bei der Zweitens eine regelmäßige Realitätsprüfung hilft: Geht der Gemeinsinn noch von einer überprüfbaren Realität aus?
Fallbeispiel: Die beiden Ärzte Robin Warren und Barry Marshall wiesen wissenschaftlich nach, dass Magengeschwüre bakteriell sind. Mit dieser Erkenntnis reicht eine Antibiotikatherapie zur Behandlung aus. Trotz der tatsächlich prüfbaren Beweise hielt die Ärzteschaft noch Jahrzehnte am Gemeinwahn fest, wonach Magengeschwüre maßgeblich mit scharfen Speisen, Alkohol und Stress zusammenhängen. Millionen von Patienten operierte man weiterhin aufwändig. Vermutlich täten wir es heute noch, wenn der Gemeinsinn von Marshall und Warren sich nicht ausdauernd und erfolgreich dem unrealistischen Gemeinwahn ihrer Kollegen entgegengestellt hätte. ¹
Gemeinsinn, der sowohl die Freiheit wart, anzukoppeln und zu entkoppeln als auch einer wiederkehrenden Realitätsprüfung standhält, nenne ich
Gemeinwohl-Sinn
Er verbindet das Ankoppeln an einen Gemeinsinn mit einer kritischen Selbstreflexion und der Freiheit, jederzeit straffrei zu entkoppeln.
Es gibt Dinge, die vor hundert Jahren im Rahmen einer Realitätsprüfung unbedenklich erschienen. Wir feierten sie sogar als gesellschaftliche Wunder, wie etwa die Massenherstellung von Autos mit Verbrennungsmotor. Diese Errungenschaften können wir wenige Jahrzehnte später kaum noch bedenkenlos als sinnvoll und gesamtgesellschaftlich richtig ansehen.
Die Betriebswirtschaftslehre nimmt externe Effekte, wie beispielsweise den Wasserverbrauch beim Zuckerrohranbau, aus der Unternehmensverantwortung von (Getränke-)Herstellern heraus. Offensichtlich zeichnen dafür die Rübenbauern verantwortlich. Das mag man vor fünfzig Jahren noch akzeptiert haben, Sinn hatte es, geprüft an der Realität, schon damals keinen. Denn trotz allen technologischen und technischen Fortschritts ist die Erde nicht größer oder sauberer geworden.
Umfeld beeinflusst Sinn
Sinn ist beeinflusst durch Werte, Ideologien, Gefühle sowie Spiritualität der Gruppe und derjenigen, von denen sie umgeben ist. Sinnkopplung in Nordkorea ist etwas anderes, als in Deutschland. Die gesellschaftlich gelebten Werte haben einen nachdrücklichen Einfluss auf das Sinnverständnis, das von sich aus keineswegs „positiv“ oder „gut“ ist. So mancher Wahn behauptet, richtig und gut zu sein.
Sinn im Verlauf der Zeit
Es hilft weiterhin, Sinn unter verschiedenen zeitlichen und räumlichen Aspekten zu betrachten. Stellen wir ihn uns dazu als kurz-, mittel- und langfristigen Bezugspunkt vor. Dann kann ich augenblicklich einer sinnlosen Arbeit nachgehen, weil mich Aufgaben beschäftigen, die mich weder interessieren, noch meinen Fähigkeiten entsprechen. Sie kann zugleich mittelfristig Sinn haben, weil es niemanden zu kümmern scheint, dass ich der falsche Mensch am falschen Ort bin. Langfristig kann sie so sogar sehr sinnvoll sein. Da ich unter den gegebenen Umständen komfortabel und mit geringem Aufwand die Existenz meiner geliebten, mich erfüllenden Familie sichere. Was über die inhaltliche Unzufriedenheit leicht hinweghilft.
Allen, die jetzt nicht mehr wissen, womit der Artikel begann, sei zugezwinkert: Genau das ist das Problem mit dem Thema Sinn in Firmen. Es ist zu komplex. Niemand kann in den Sinn eines anderen Menschen hineinschauen. Von Führung Sinnstiftung und damit die Fremdsinngebung formal zu verlangen, ist dumm. Und dennoch bleibt der Wunsch, die Energie, die in Erfüllung entsteht, unternehmerisch zu nutzen. Wie das gelingen kann, beschreibe ich Ihnen gerne am 10. Februar 2015 hier im Blog unter dem Titel „Sinnkopplung praktisch anwenden“.
Hinweise und weitere Literatur, in der Sinnkopplung eine Rolle spielt:
[1] Dr. Andreas Zeuch – Feel it! So viel Intuition verträgt ihr Unternehmen (2011) – Wiley
Gebhard Borck – „Affenmärchen – Arbeit frei von Lack & Leder“, das Buch können Sie kaufen oder online unter www.affenmärchen.de lesen.
Affenmärchen – das Buch von Gebhard Borck
Bernd Geropp – Ist die Katze aus dem Haus … so arbeiten Ihre Mitarbeiter eigenverantwortlich und selbständig (2013) – redline Verlag
Thomas Höge, Tatjana Schnell – Wirtschaftspsychologie 14. Jahrgang 2012 Heft 1 91 – 99 – Kein Arbeitsengagement ohne Sinnerfüllung
Niels Pfläging – Die 12 neuen Gesetze der Führung: Der Kodex: Warum Management verzichtbar ist – Campus
Schaufeil, W. B. Saalnova, M., González-Romá V. & Bakker, A. B. (2002). – The measurment of engagement and burnout: a two sample confirmatory factor Analytik apporach. Journal of Happiges Studies, 3, 71-92
Hi Gebhard – na wer gießt denn da Öl auf das Feuer des Verdrängungswettbewerbs: „Die unsichtbare Kraft der Sieger im Wettbewerb“? Nur mal so als humorige Anmerkung :-)
HGA
Hallo Andreas,
ohne Feuer keine Wärme ;)!
Gruß Gebhard