Der ideale Anforderungsworkshop

by | 29.05.2017 | Requirements Engineering

Die Durchführung von Anforderungsworkshops mit Stakeholdern gilt im agilen Kontext als wirksamste Technik zur Entwicklung von Anforderungen. Vorausgesetzt: die Stakeholder sind mit dieser Form der interaktiven Zusammenarbeit vertraut, sind es also gewohnt, an Meetings zur Problemlösung oder Entscheidungsfindung teilzunehmen. Worauf sollten Sie bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Anforderungsworkshops achten?

Anforderungsworkshops bringen Stakeholder an einen Tisch. Man kann sie nutzen, um

  • den Scope des Systems abzugrenzen,
  • die Ziele der Stakeholder zu ermitteln,
  • Anforderungen gemeinsam zu erkennen bzw. aus den Zielen oder Szenarien abzuleiten,
  • Anforderungen zu verfeinern,
  • Konsens unter den Stakeholdern herzustellen,
  • Anforderungen zu bewerten.

Anforderungsworkshops sind u.a. deshalb so effizient, weil sie die Ermittlung von Anforderungen mit der Abstimmung darüber verbinden, ob die Anforderungen aus Sicht aller Beteiligten richtig verstanden und korrekt formuliert sind.

Wenn Sie Anforderungsworkshops durchführen wollen, sollten Sie einige Dinge vor, während und nach dem Workshop beachten. Denn als Requirements Engineer sind Sie für die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung eines Anforderungsworkshops verantwortlich.

Die Vorbereitung von Anforderungsworkshops

  1. Legen Sie das Ziel des Workshops und den Scope fest und definieren Sie das gewünschte Ergebnis.
  2. Klären Sie, welche Stakeholder Sie brauchen, um das Ziel des Workshops zu erreichen.
  3. Planen Sie die Themen des Workshops: Welche Themen müssen Sie behandeln, um das Ziel des Workshops zu erreichen? Stellen Sie eine Themenliste auf.
  4. Planen Sie das Vorgehen: Welche (interaktiven) Techniken kommen für die Bearbeitung der einzelnen Themen in Frage (Brainstorming, Kartenabfrage, Clustern von Themen, Bewertungstechniken wie das Rosinenpicken mit Klebepunkten, Diskussion, Story Boarding)? Welche Medien wollen Sie einsetzen (Pinnwände, Flipchart, Whiteboard, PC/Tablet mit Beamer etc.)? Welches Material brauchen Sie dafür (Moderationskarten, Stifte etc.)?
  5. Sorgen Sie für einen Raum mit der benötigten Infrastruktur und beschaffen Sie das Material.
  6. Entwickeln Sie eine Agenda für den Workshop. Beachten Sie, dass jeder Workshop mit der Begrüßung und einem Einstieg beginnt und mit dem Festhalten von To-Dos (falls notwendig) und dem Zusammenfassen der Ergebnisse endet.
  7. Bereiten Sie für jeden Agenda-Punkt Fragen vor, mit denen Sie – falls nötig – die ins Stocken geratene Diskussion oder Arbeit beleben und steuern können.
  8. Schätzen Sie den Zeitbedarf für jeden Agenda-Punkt und legen Sie die Dauer des Workshops fest. Gehen Sie dabei nicht vom Wünschenswerten aus, sondern davon, was für die Stakeholder realistisch und möglich ist. Nicht jeder Stakeholder kann sich zum Beispiel einen Tag „am Stück“ an seinem Arbeitsplatz ausklinken. Möglicherweise müssen Sie mehrere kurze Workshops planen.
  9. Laden Sie die Stakeholder ein. Nennen Sie bereits in der Einladung die Zielsetzung des Workshops und fügen Sie die Agenda an. Klingt selbstverständlich? Tatsächlich wird hier von Ihnen das Kunststück verlangt, die Stakeholder schon in der Einladung zur konstruktiven Teilnahme am Workshop zu motivieren.
  10. Bereiten Sie Material für den Einstieg in den Workshop vor. Gegebenenfalls benötigen Sie einige wenige(!) PowerPoint-Folien oder Flipchart-Darstellungen mit der Zielsetzung. Hilfreich können je nach Zielgruppe auch Spielregeln für den Workshop sein: Wie soll mit Störungen umgegangen werden? Bleiben Smartphones an? Informationen – sind sie Bringschuld oder Holschuld?

Die Durchführung von Anforderungsworkshops

  1. Die Zeit der Stakeholder ist kostbar (wie Ihre auch). Deshalb bereiten Sie den Raum vor und testen Sie die Technik – und zwar so rechtzeitig, dass Sie vor dem Eintreffen der Teilnehmer noch ein Chance haben, fehlendes Material zu beschaffen oder Technik auszutauschen.
  2. Der Einstieg in den Workshop könnte so aussehen: Begrüßen Sie die Teilnehmer und stellen Sie sich als Moderator des Workshops vor. Erläutern Sie die Zielsetzung und das geplante Vorgehen, auch wenn das bereits in der Einladung steht. Wenn sich nicht alle Teilnehmer kennen, ist eine kurze Vorstellungsrunde unverzichtbar. Strukturieren Sie sie, indem Sie die Fragen nennen, die jeder Teilnehmer kurz beantworten sollte (Wie heißen Sie? Was ist Ihre Position im Unternehmen? Welche Rolle haben Sie im Projekt? …). Machen Sie einen Vorschlag, nach welchen Spielregeln der Workshop ablaufen sollte, und stellen Sie darüber Konsens her.
  3. Ein Tipp, um in die Diskussion zu starten: Bitten Sie die Stakeholder, 5 Minuten lang (oder 10, aber nicht länger) auf farbigen Moderationskarten festzuhalten, welche Ziele sie mit dem neuen System erreichen wollen. Oder fragen Sie alternativ danach, welche Probleme damit gelöst werden sollen bzw. welchen Nutzen die Stakeholder sich davon versprechen. Heften Sie die Karten an Pinnwände. Wenn die 5 Minuten um sind, clustern Sie sie gemeinsam mit den Stakeholdern, also gruppieren Sie verwandte oder redundante Karten. So eine Kartenabfrageliefert im Workshop einen guten Ausgangspunkt, um Anforderungen an das System abzuleiten.
  4. Wenn Anforderungen unklar sind, schlagen wir vor, dazu im Workshop Anwendungsfälle, also Use Cases zu definieren und diese mit Szenarien zu beschreiben – natürlich an Pinnwand oder Whiteboard.
  5. Greifen Sie in Ihrer Rolle als Moderator ein, wenn Sie merken, dass vorgeblich über Inhalte, tatsächlich aber über Personen gesprochen wird.
  6. Halten Sie sich an Ihren Plan, sprich die Agenda. Wenn Sie sich zu viel vorgenommen haben, ist es besser, einen weiteren Termin anzusetzen, als die vorgesehene Dauer zu überziehen. Denn damit laufen Sie Gefahr, dass die Teilnehmer nach und nach den Workshop verlassen, ohne dass Sie ein gemeinsames Ergebnis festhalten können.
  7. Fassen Sie zum Abschluss des Workshops die Ergebnisse zusammen und versuchen Sie die Zustimmung aller Teilnehmer zum Ergebnis zu bekommen. Bleiben Anforderungen kontrovers, halten Sie auch das fest und machen Sie daraus einen Punkt auf einer Offene-Punkte-Liste.
  8. Sind To-Dos und Folgetermine notwendig? Treffen Sie dazu gemeinsam Entscheidungen.

Die Nachbereitung von Anforderungsworkshops

  1. Dokumentieren Sie die Workshop-Ergebnisse, also die erkannten oder modifizierten Anforderungen sowie neue oder veränderte Ziele.
  2. Dazu ein Tipp: Gehören Sie auch zu den Menschen, die die Ergebnisse von Besprechungen festhalten, indem Sie Fotos von Whiteboards, Pinnwänden oder Flipcharts mit ihrem Smartphone machen? Wenn ja, dann tun Sie es auch in diesem Fall. Lassen Sie diese Fotos aber nicht auf Ihrem Smartphone „schlummern“. Es handelt sich schließlich um oft hart umkämpfte Projektergebnisse. Sie gehören in die Projektdatenbank und somit in das Tool, mit dem Sie Ihr Anforderungsmanagement unterstützten. Also: Übernehmen Sie die Fotos zusammen mit der Agenda oder anderen Dateien, die im Zusammenhang mit dem Workshop entstanden sind, in das Tool.
  3. Pflegen Sie das Glossar. Gerade in frühen Workshops zu Ermittlung von Anforderungen werden Sie vermutlich viele neue Begriffe aus der Welt der Stakeholder kennenlernen. Schreiben Sie das Glossar kontinuierlich fort.
  4. Fassen Sie die Ergebnisse des Workshops in einem Protokoll zusammen und senden Sie es den Stakeholdern. Vergessen Sie nicht, auf die vereinbarten To-Dos und Folgeschritte hinzuweisen.

Fazit

Das Gelingen eines Anforderungsworkshops hängt stark von der Moderation ab. Der Moderator hilft bei der Entscheidungsfindung und versucht Diskussionen effektiv und effizient zu lenken. Dabei ist es wichtig, dass alle relevanten Stakeholder in die Anforderungsermittlung einbezogen werden. So verhindern Sie, dass Anforderungen unvollständig bleiben und die Akzeptanz bei nicht berücksichtigten Stakeholdern leidet. Praktischerweise laden Sie aber nicht alle Stakeholder zu jedem Anforderungsworkshop ein, sondern lediglich diejenigen, die zu einem vorab definierten Thema oder Teilbereich etwas beisteuern können. Häufig ergeben sich in den Workshops neue Themen und Aspekte, so dass weitere Treffen sinnvoll sein können. Die Fokussierung auf Themen und Stakeholder erhöht die Qualität der Anforderungen merklich.

Es ist keine gute Idee, Stakeholder, die wenig motiviert sind, zu einem Brainstorming einzuladen. Mit Stakeholdern, die nicht besonders kommunikationsfähig sind, einen Workshop durchzuführen oder sie mit abstrakten Fragen zu traktieren, auch nicht. Solche Stakeholder besucht man besser an ihrem Arbeitsplatz, lässt sich zeigen, was sie tun, und fragt, wie es besser gehen könnte. Alternative Entwicklungstechniken wie Feldbeobachtung, Apprenticing und Contextual Inquiry versprechen hier deutlich mehr Erfolg.

Wichtig ist zudem die Nachbereitung von Anforderungsworkshops mit der Dokumentation der Anforderungen.  Sie bildet die Basis für die weitere Anforderungsanalyse. Ohne Nachbereitung bleiben Anforderungen unvollständig und Aspekte werden möglicherweise in den nächsten Workshops wiederholt besprochen. Damit ist die Nachbereitung auch wesentlich für die Vorbereitung kommender Workshops.

Hinweise:

Mehr Tipps und Checklisten zum Thema Workshops im Requirements Engineering finden Sie unter anderem in Unterauer, M. (2015). Workshops im Requirements Engineering: Methoden, Checklisten und Best Pratices für die Ermittlung von Anforderungen. Heidelberg: dpunkt.verlag.

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