Stellenbeschreibungen für Requirements Engineers[1] enthalten neben Informationen zur Branche und den Eckdaten des jeweiligen Unternehmens auch das gewünschte „Profil“ für den Requirements Engineer.
Reicht das, um den geeigneten Kandidaten zu finden?
Demnach sollte ein Requirements Engineer folgende wünschenswerte Eigenschaften mitbringen:
- Konzeptionell „arbeitend“
- Kommunikativ
- Analytisch
- Selbstständig
- Strukturiert
- Zielorientiert
Schaut man etwas genauer hin (nicht ganz genau, sonst rutschen wir ab in die Tiefen von Germanistik und Philosophie), dann wird spätestens bei der Definition der gewünschten Eigenschaften die Diskussion darüber aufflammen, was genau unter diesen Punkten zu verstehen ist. Was ist „konzeptionell arbeitend“? Ist mit „kommunikativ“ der Quatschonkel an der Kaffeemaschine oder die mitreißende Key-Note-Speakerin der letzten Konferenz gemeint? Welcher Struktur soll man „strukturiert“ folgen? Hier wird es nicht nur Unterschiede in der Definition zwischen dem Unternehmen und dem Bewerber, sondern bestimmt auch zwischen den verschiedenen Unternehmen geben; unternehmenskulturbedingt, abhängig von der Branche, vom Vorgehensmodell, den gelebten Prozessen im Unternehmen oder der Führungskraft.
Und jetzt noch ein bisschen reine IREB (International Requirements Engineering Board) Lehre. Hier scheinen die Anforderungen noch nicht ausreichend geklärt zu sein und damit verstoßen die Anzeigen gegen die Grundlagen des Anforderungsmanagements. Denn spätestens seit der Teilnahme an einer IREB Foundation Level Schulung wissen wir, dass eine Anforderung bestimmte Qualitätskriterien[2] erfüllen muss, u.a. folgende:
- Abgestimmt – „… wenn sie für alle Stakeholder korrekt sind und alle Stakeholder sie als gültige Anforderung akzeptieren.“
- Eindeutig – „… kann nur auf eine Art und Weise verstanden werden […], es darf nicht möglich sein, andere Dinge hineinzuinterpretieren.“
- Konsistent – „… gegenüber anderen Anforderungen […] widerspruchsfrei …“
- Prüfbar – „… muss sich durch einen Test oder eine Messung nachweisen lassen.“
Welches Experiment sollten wir gemeinsam mit der HR-Abteilung wagen?
Als Erstes könnten die Begriffe, die in den Anzeigen verwendet werden, genau definiert sein (Konsistenz, Eindeutigkeit). Damit kann auch der Bewerber besser verstehen, was hier gemeint ist. Haben Unternehmen und Bewerber ein gemeinsames Verständnis (Abgestimmtheit), dann sind sie schon einen Schritt weiter. Haben sich Bewerber für die Stelle gefunden, sollte das Unternehmen die Möglichkeit haben, die Anforderungen an den Bewerber zu prüfen. Hierfür müsste der Bewerber einen Nachweis[3] (Prüfbarkeit) erbringen können, dass die gewünschten Eigenschaften vorliegen.
Wir müssen Kandidaten mit passenden Talenten finden!
Als Zweites könnten Unternehmen bei Stellenanzeigen einen anderen Weg einschlagen. Weniger vom „gewünschten Profil“ auflisten, was häufig aus Tätigkeitsbeschreibungen besteht, und etwas mehr nach den Talenten[4] von Personen suchen, diese gezielt erfragen/ermitteln bzw. diese im Zuge des Bewerbungsprozesses prüfen. Hier sollten sich die Unternehmen nicht nur auf die Schilderungen der Arbeitsleistungen oder Arbeitszeugnisse verlassen, sondern auch die Möglichkeit von Tools nutzen.
Wie wir Talente ermitteln können
Für das Experiment könnte der Gallup StrengthsFinder[5] herangezogen werden. Talente werden hier als „… auf natürliche Weise wiederkehrende Denk-, Gefühls- oder Verhaltensmuster.“ definiert. Talent grenzt der Gallup StrengthsFinder von Wissen (besteht aus Erlerntem) sowie Können und Fertigkeiten (sind Schritte einer Tätigkeit) ab.
Nach Gallup hat jede Person ein Profil mit 34 Talenten, die mehr oder weniger ausgeprägt sind. Der StrenghsFinder ermittelt für Menschen das individuelle StrengthsFinder-Profil. Jedes dieser Talente ist von Gallup definiert, inkl. einer Beschreibung der Art und Weise, wie diese Person geführt werden möchte, um die mit den Talenten verbundenen Stärken bestmöglich nutzen zu können.
Talente führen dazu, dass Personen je nach Talente-Mix bestimmte Tätigkeiten mit Leichtigkeit ausführen – sie sind genau für diese Tätigkeiten talentiert. Andere Personen müssen mehr Energie für häufig schlechtere Leistungen bei der gleichen Tätigkeit aufwenden. Personen mit passenden Talenten eignen sich damit besser für bestimmte Tätigkeiten, sie sind zufriedener und schaffen einen größeren Mehrwert für das Unternehmen. Schwächen werden nach Gallup damit erklärt, dass uns ein Talent zu dieser Tätigkeit fehlt und wir uns jede Verbesserung dieses schwach ausgeprägten Talentes aufwändig (vielleicht zu aufwändig) erarbeiten müssten.
Welche Tätigkeiten führt der Requirements Engineer aus?
Mit der Verwendung von Gallups StrengthsFinder könnten Anforderungen an die natürlichen Talente des Bewerbers/Mitarbeiters geprüft werden. Da die Talente im StrenghtsFinder definiert und per Test ermittelt wurden, sind diese konsistent, eindeutig und geprüft.
Laut IREB gibt es vier Haupttätigkeiten eines Requirements Engineers[6].
Ermitteln
Beim Ermitteln der Anforderungen werden verschiedene Techniken genutzt, um die Anforderungen der Stakeholder und anderer Quellen zu gewinnen, zu detaillieren und zu verfeinern.
Dokumentieren
Durch die Dokumentation werden ermittelte Anforderungen adäquat beschrieben. Unterschiedliche Techniken können eingesetzt werden, um Anforderungen in natürlicher Sprache oder in Modellen zu dokumentierten.
Prüfen und abstimmen
Dokumentierte Anforderungen müssen frühzeitig geprüft und abgestimmt werden, um zu gewährleisten, dass sie allen geforderten Qualitätskriterien genügen.
Verwalten
Die Anforderungsverwaltung (Requirements Management) geschieht flankierend zu allen anderen Aktivitäten und umfasst alle Maßnahmen, die notwendig sind, um Anforderungen zu strukturieren, für unterschiedliche Rollen aufzubereiten sowie konsistent zu ändern und umzusetzen.
Wie auch immer die Stellenanzeigen für einen Requirements Engineer am Ende des Tages gestaltet sind, die oben aufgeführten Haupttätigkeiten, sind die Tätigkeiten, die wir als Requirements Engineers ausführen. In den Stellenanzeigen müssten diese also nicht variantenreich ausgeschmückt werden. Stattdessen sollten wir für eine vakante Stelle jemanden suchen, der die passenden Talente mitbringt, um die vier Haupttätigkeiten mit Spaß und Leichtigkeit auszuführen.
Gibt es Talente, die die Arbeit eines Requirements Engineers unterstützen?
Welche Talente braucht es, um die nach Rupp et al. definierten Haupttätigkeiten eines Requirements Engineers mit möglichst wenig Anstrengung, großer Begeisterung, Leidenschaft und großem Mehrwert für Unternehmen und Kunden auszufüllen?
Nachfolgend habe ich einige Gallup-Talente[7] fett und die Haupttätigkeiten, die durch dieses Talent unterstützt werden könnten, kursiv geschrieben.
Talent – Ideensammler – ermitteln
Beschreibung: Interessiert sich für alles Mögliche, sammelt Informationen nicht im Detail, sondern eher, um die eigenen Archive mit Informationen zu füllen. Vielleicht sind die Informationen in der Zukunft für irgendetwas hilfreich.
Talent – Arrangeur – ermitteln und dokumentieren
Beschreibung: In komplexen Situationen schaffen es Personen mit diesem Talent, die Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen und bei Eintritt von neuen Situationen, flexibel neu zu arrangieren. Bei unerwarteten Entwicklungen klammert die Person sich nicht an Regeln/Richtlinien, sondern sucht effiziente Wege und neue Partnerschaften, um sämtliche Optionen offen zu halten.
Talent – Anpassungsfähigkeit – prüfen und abstimmen (umsetzen)
Beschreibung: Eine Person mit diesem Talent kann auf das Gebot der Stunde mit der nötigen Flexibilität reagieren. Die Zukunft entsteht durch die Handlungen der Gegenwart. Unvorhersehbares ist für sie unvermeidbar.
Talent – Intellekt – ermitteln, prüfen und abstimmen
Beschreibung: Eine Person mit diesem Talent hat eine Vorliebe für das Nachdenken. Egal, ob es um die Lösung eines konkreten Problems oder um die Ausarbeitung einer Idee geht. Sie hat Freude daran, sich gedanklich damit zu beschäftigen.
Talent -Wissbegier – ermitteln
Beschreibung: Diese Person lernt leidenschaftlich gerne. Sie findet es aufregend, etwas Neues zu lernen. Nicht das Lernziel steht bei ihr im Vordergrund, sondern der Prozess, sich in ein neues Themengebiet einzuarbeiten.
Talent – Vorstellungskraft – prüfen und abstimmen, dokumentieren
Beschreibung: Diese Person ist ständig auf der Suche nach Verknüpfungen, sie sucht wirkungsvolle Erklärungsmuster für komplexe Zusammenhänge. Mit ungewöhnlichen Perspektiven bringt sie neue Zusammenhänge zu Tage und schafft damit Klarheit und deckt Widersprüche auf.
Talent – Behutsamkeit – ermitteln, prüfen und abstimmen
Beschreibung: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Personen mit dem Talent Behutsamkeit wittern das drohende Unheil und möchten es ans Tageslicht bringen, somit kann die Bedrohung „…identifiziert eingeschätzt und auf ein Minimum reduziert werden.“ Mit dem Wissen um die Gefahren und die möglichen Auswirkungen wägt sie ihr Vorgehen ab.
Talent – Verantwortungsgefühl – prüfen und abstimmen, umsetzen
Beschreibung: Menschen mit einem starken Verantwortungsgefühl halten ihr Wort. Wenn sie Verpflichtungen eingegangen sind, fühlen sie sich auch verantwortlich. Sie halten ihre Versprechen ein. Dafür bringen ihnen ihre Mitmenschen hohe Wertschätzung entgegen.
Talent – Kommunikationsfähigkeit – ermitteln, prüfen und abstimmen, dokumentieren
Beschreibung: Menschen mit ausgeprägter Kommunikationsfähigkeit fühlen sich wohl, wenn sie etwas erklären oder beschreiben dürfen, sie übernehmen gerne die Rolle des Moderators. Dieses Talent versetzt sie in die Lage, Ideen und Ereignisse mit Geschichten, Bildern, Beispielen und Metaphern lebendig werden zu lassen.
Grenzen des Gallup StrengthsFinder-Konzepts & Fazit
Wie auch bei anderen Konzepten/Tools ist der Gallup StrengthsFinder nicht die Antwort auf alle Fragen. Zum einen lassen sich damit keine Aussagen über die Intensität eines Talents treffen, sondern lediglich eine Reihenfolge. Das Konzept lässt auch keinen Vergleich der Intensität zwischen verschiedenen Personen zu. Im Kontext der Suche von Mitarbeitern kann es wohl auch kein persönliches Kennenlernen ersetzen. Allerdings erhält man mit dem Wissen über die Talente zusätzlich einen Leitfaden an die Hand, wie die passende Person gefunden werden kann, wie sie arbeitet, eingesetzt und letztendlich geführt werden möchte.
Der StrengthsFinder ist ein sehr guter Ansatz, die natürlichen Talente und Stärken einer Person zu ermitteln. Das hilft zum einen der Selbsterkenntnis (beim Bewerber) und erklärt manche Erfolge oder Fehlschläge der Vergangenheit. Es hilft aber auch, zukünftig einen Weg einzuschlagen, bei dem man mehr Freude bei der Arbeit oder im Privatleben hat. Den Unternehmen kann es im Mix mit anderen HR-Methoden helfen, geeignete Bewerber zu finden. Es kann auch helfen, die passenden Tätigkeiten für die Mitarbeiter zu finden und die wertvollen Mitarbeiter zu halten.
Konsequenterweise sollten nach dem StrengthsFinder-Konzept die Stärken gestärkt werden. Schwach ausgeprägte Talente sollten nur im Sinne einer Schadensbegrenzung gestärkt werden. Die Stärkung der stark ausgeprägten Talente bringt laut StrengthsFinder den höheren Return on Investment.
Happy Engineering!
Mehr zu René Busch finden Sie auf http://www.requireminds.de/
[1] Dieser Begriff umfasst sowohl männliche als auch weibliche Personen.
[2] Qualitätskriterien für Anforderungen für Anforderungen, IEEE-Standard 830 [IEEE Std 830-1998] aus Basiswissen Requirements Engineering, Pohl&Rupp 2009
[3] Da Arbeitszeugnisse wohlwollend formuliert sein müssen, zähle ich Arbeitszeugnisse nicht als Nachweis.
[4] Talente im Sinne von Gallup
[5] Entdecken Sie Ihre Stärken jetzt! – Marcus Buckingham, Donald O. Clifton
[6] Basiswissen – Requirements Engineering – Rupp et al., 4. korrigierte Auflage
[7] Lesen Sie bitte nicht nur die Überschriften der Stärken, diese Definitionen sind teilweise sehr gallup-spezifsch, sodass Annahmen über die Definitionen nur durch das Lesen der Überschriften zu Überraschungen führen könnten.