Der Wunsch nach agilen Unternehmen, Agilität und agilem Arbeiten ist allgegenwärtig, und doch wissen wir alle, „ganz schön agil“ ist meist nur die eigene Großmutter. Steckt aber in dieser ausgeleierten Triebfeder nicht doch nur der berechtigte Wunsch nach besseren und effektiveren Abläufen in den verschiedensten Unternehmensbereichen und Projekten? Was genau heißt „agil“ und vor allem, was bedeutet “agil” im Kontext von Unternehmen und der Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA)? Ist „agil“ in diesem Zusammenhang nicht nur ein falsch verwendetes und missbrauchtes „Buzzword“?
Definition Agilität & FMEA
Agilität in Bezug auf die FMEA bedeutet, möglichst früh im Produktentstehungsprozess produktiv nutzbare, qualitativ hochwertige Ergebnisse zu liefern. Das wäre auch ganz im Sinne der 10er Regel, die besagt, dass sich Fehlerkosten für einen nicht entdeckten Fehler von Stufe zu Stufe der Wertschöpfung um den Faktor 10 erhöhen. Auch der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) – ein Grundprinzip des Qualitätsmanagements und unverzichtbarer Bestandteil der ISO 9001 – fordert das.
Was zeichnet also ein agiles Unternehmen aus?
„…die Fähigkeit der Informationsfunktion eines Unternehmens, Vorbereitungen zu treffen, um auf wechselnde Kapazitätsansprüche sowie veränderte funktionale Anforderungen sehr schnell, möglichst in Echtzeit, zu reagieren sowie die Möglichkeiten der Informationstechnologie derart nutzen zu können, dass der fachliche Spielraum des Unternehmens erweitert oder sogar neugestaltet werden kann.“ [1]
Warum agil in der FMEA arbeiten?
Es herrscht Einigkeit darüber, dass Agilität Transparenz schafft. Bei der Erstellung von übergeordneten Basis- und Familien FMEA’s erreicht man das vor allem durch die Aufgabenteilung und durch effektive FMEA Sprints (in der Vorbereitung einer FMEA). Das führt zu einer für jeden spürbar geringeren Arbeitsbelastung. Der individuelle Stress wird gesenkt, die Entscheidungsfähigkeit in der Organisation beschleunigt, die Motivation der Mitarbeiter durch größere Mitverantwortung erhöht, und letztlich wird auch der Kunde schneller und mit häufig besseren Ergebnissen aus der FMEA zufriedengestellt.
Für die FMEA als Gesamtes eignet sich jedoch ein hybrides Vorgehen. Das ist eine Kombination aus agilem und klassischem Vorgehen. In der Vorbereitung bringt Agilität echte Benefits, für die Moderation empfehle ich eher einen klassischen Prozess.
Agil + Klassisch = Hybrid
Agile FMEA (FMEA Sprints) + Klassische FMEA Moderation = Hybrid FMEA
Was zeichnet eine agile FMEA Vorbereitung & Erstellung aus?
- Schnelligkeit
- Flexibilität
- Dynamik
- Vernetzung
- Vertrauen
- Selbstorganisation
- Transparenz
- Konsequenz
- Zielerreichung
Schnelligkeit
Problematik: Tatsächlich finden sich auch heute noch Unternehmen, welche die FMEA ohne nennenswerte Hilfsmittel zu dokumentieren versuchen; meist mit dem Vorsatz: „Über den Einsatz einer Software wolle man in Zukunft nachdenken“.
Ziel: In nahezu jedem anderen Bereich machen wir uns Gedanken, wie Prozesse und Abläufe beschleunigt und optimiert werden können, aber in einem Bereich, der Mitarbeiter tendenziell lange bindet und beschäftigt, versucht man immer noch ein Fleißbienchen zu verdienen, indem man völlig erkenntnisfern Excel-Zellen im FMEA Formblatt hin- und herkopiert. Und das, obwohl diverse mehr oder weniger praktische Softwarelösungen am Markt erhältlich sind, die in jedem Fall eine enorme Zeitersparnis für die Nutzer bedeuten. FMEA Sprints dienen zur FMEA Vorbereitung und sind das Mittel der Wahl.
Flexibilität
Problematik: FMEA Moderationen werden akribisch geplant, was enorm viel Zeit kostet. Selbst der beste Plan übersteht nur selten die ersten Augenblicke der FMEA Moderation. Grund: Die Umstände haben sich geändert, die Teilnehmer und Wissensträger haben kurzfristig abgesagt, etc.
Ziel: Durch erweiterte Verantwortung und eine veränderte Rollen- und Aufgabenverteilung können sich die Gruppen selbst und flexibel organisieren. Das ist oft schneller und effektiver. Das Thema Flexibilität wird an vielen anderen Stellen bereits ausreichend thematisiert und findet seine Berechtigung gleichwohl in der FMEA.
Dynamik
Problematik: In der Regel laufen FMEA Moderationen nach demselben festen Schema ab: Der FMEA Moderator befragt nacheinander die Teammitglieder und verarbeitet deren Input selbst im Formblatt weiter. Bei beispielsweise 6 Entwicklern steht jedem Mitarbeiter sehr wenig Zeit zur Verfügung, um Beiträge zu leisten; der Moderator wird jedem Einzelnen im FMEA Team nicht gerecht.
Ziel: Eine dynamische bzw. agile FMEA kann parallel auf mehreren Ebenen bearbeitet werden und jeder kann selbst die verabschiedeten Beiträge hinzufügen. Der Moderator steht auch weiterhin als Methodenspezialist für die tiefere Ursachenforschung zur Verfügung, nicht aber als Lektor für das FMEA Team.
Vernetzung
Problematik: Nach wie vor denken und handeln Unternehmen in Projekten und Budgets. Dadurch entstehen oft Redundanzen, auch was die Verantwortlichkeiten betrifft. In den meisten Firmen entwickeln sich die Produkte und Prozesse jedoch ständig weiter. Und trotzdem wird durch die projektgetriebene Arbeitsweise das Rad dabei oft neu erfunden.
Ziel: Die konsequente Umsetzung von Agilität bedeutet, eine vernetzte Zusammenarbeit anzustreben und Überschneidungen und Redundanzen zu vermeiden (bspw. durch Basis- und Varianten-FMEA).
Vertrauen
Problematik: Oftmals ist der FMEA Moderator der einzige, der ausführliche FMEA Kenntnisse hat und eine FMEA Software bedienen kann. Folglich kann und darf nur er Inhalte der FMEA hinzufügen.
Ziel: Das Vertrauen und die Fähigkeit, die FMEA mit Elementen und fundiertem Wissen zu erweitern, sollte sämtlichen Mitarbeitern und Projektgruppen zugestanden werden. Sind die Mitarbeiter für die FMEA nicht befähigt, kann geschult werden. Verfügen diese nicht über ausreichendes Wissen, sind sie falsch im FMEA Team. Schenkt man Ihnen kein Vertrauen, sind sie im falschen Unternehmen…
Selbstorganisation
Problematik: Selbst langjährige Praktiker und FMEA Teammitglieder kommen oft unvorbereitet in FMEA Sitzungen mit einer Erwartungshaltung, erst dort würde man ihnen erklären, welche Dokumentationen, Spezifikationen, Daten, etc. für die „neue“ FMEA von Bedeutung wären.
Ziel: Das Fehlen von Unterlagen ist nervenaufreibend und zeitaufwendig, wenn diese erst zur nächsten Sitzung zur Verfügung gestellt werden. Grundlegendes Wissen und verfügbare Daten sollten stets präsent sein, um Wartezeiten zu vermeiden und die eigene Beitragsfähigkeit zu optimieren.
Transparenz
Problematik: FMEA Teams betreiben häufig eine ungeliebte Geheimwissenschaft in abgeschotteten Besprechungsräumen, angeführt von ihrem Moderator und Meister. Und wenn wir ehrlich sind, genau so finden wir das auch in Ordnung und werden hoffentlich nicht mit der FMEA konfrontiert und in diesen Zirkel hineingezogen…
Ziel: Der aktuelle Stand der FMEA ist für alle jederzeit live einsehbar und transparent. Der Fortschritt der FMEA ist also unmittelbar und für jeden nachvollziehbar und Beiträge von Einzelnen können jederzeit ergänzt werden. Voraussetzung hierfür ist eine allgemein geschulte Methodenkompetenz zur FMEA.
Konsequenz
Problematik: Ohne entsprechendes Konzept und solide Strukturen durchläuft die FMEA immer wieder Wellenbewegungen. Phasen niedrigen Interesses und Phasen von erhöhtem Interesse wechseln sich ab. Letzteres besonders dann, wenn ein Audit bevorsteht oder ein wichtiger Kunde um Einsichtnahme bittet.
Ziel: Die konsequente Umsetzung von Agilität bedeutet in den meisten Fällen auch einen Wandel der Unternehmenskultur. Man muss sich kontinuierlich und iterativ verbessern wollen. Die FMEA muss also als entwicklungsbegleitende Methode und nicht lediglich als Methode zum fleißigen Ausfüllen von Formblättern begriffen werden.
Zielerreichung
Problematik: Manchmal hat man das Gefühl, der FMEA Moderator fühlt sich für die FMEA Ergebnisse ganz alleine verantwortlich. Hinzu kommt noch, dass der Projektleiter eine FMEA ausschließlich für den Kunden und Auditor benötigt. Selbst nach vielen zähen FMEA Sitzungen / FMEA Moderationen, kennen viele Mitarbeiter den wahren Wert und die wahren Ergebnisse einer FMEA nicht.
Ziel: Das mithilfe der FMEA aufgebaute Unternehmenswissen sowie der aus agiler Produkt- und Prozessentwicklung gewonnene Wettbewerbsvorteil sind immaterielle Vermögenswerte. Beiden tragen erheblich dazu bei, die FMEA- und Unternehmensziele zu erreichen.
Klassische FMEA Moderation
Eine agile FMEA, die durch viele kleine FMEA Sprints entstanden ist, gilt es dann in der FMEA Moderation zu perfektionieren. Es ist nun ein leichtes Spiel, zusammen mit dem FMEA Moderator und dem FMEA Team, das Ergebnis zu prüfen und durch eine geführte Moderation „Schritt für Schritt“ zu erweitern und zu verbessern. Sind die Ursachen gefunden, nimmt man sich ausreichend Zeit, die Maßnahmenanalyse durchzuführen. Hier kann eine agile Herangehensweise allerdings zu Fehlern führen, weil man Dinge falsch bewertet oder zu schnell als unwichtig/nichtig erachtet. Deshalb rate ich dazu, die Moderationsphase eher klassisch zu vollziehen.
Lesen Sie noch mehr über die FMEA von André Kapust. Auf seiner Website erfahren Sie alles über Trainings und Seminare zu diesem und mehr Themen: https://www.quality.de/
Außerdem finden Sie noch viele Artikel zum Thema Qualititäsmanagement in seinem Wiki: https://www.qm.wiki/
Quellen: