„Einkaufen fühlt sich jetzt wie Klauen an“ titelte die BILD-Zeitung zur Eröffnung des ersten Amazon Go Marktes in Seattle. Hineingehen, Waren in die Einkaufstasche packen und dann … „just walk out“ – so wirbt Amazon schon seit einiger Zeit für sein Einzelhandelskonzept. Ich möchte nicht darauf wetten, womit das Unternehmen zukünftig mehr Umsatz machen wird: mit den geplanten Läden oder dem Vermarkten der dafür entwickelten IT-Services etwa für Face Recognition und Moving Objects Detection durch AWS. Aber eines ist sicher: Mit dem Einzelhandel steht wieder einmal eine Branche vor einer weiteren Stufe der Digitalen Transformation – also der Neuausrichtung an den Möglichkeiten digitaler Technologien.
Viele Unternehmen in den unterschiedlichsten Branchen begannen ihre Digitale Transformation damit, die Interaktion mit den Kunden neu zu gestalten: per Internet oder mit Apps auf mobilen Geräten. Auf diesen ersten Schritt eines veränderten – mobilen – Kundenerlebnisses folgt oft eine Neugestaltung und Automatisierung von betrieblichen und auch unternehmensübergreifenden Prozessen mit Hilfe digitaler Technologien wie Clouds, Vernetzung von Geräten, Analytics, Sensortechnik, KI etc. Die Ziele dabei sind die Reduktion von Kosten und Steigerung der Effizienz. Der dritte und weitreichendste Schritt der Digitalen Transformation umfasst die Neuausrichtung des Geschäftsmodells eines Unternehmens mit der Absicht, neue Formen von Kundennutzen zu schaffen und sich so einen größeren Markt zu erschließen (vgl. auch [1]).
Will man das Geschäftsmodell eines Unternehmens mit digitalen Technologien neu ausrichten, führt kein Weg an einer Bedarfs- und Nutzenanalyse vorbei. Für einen kreativen Einstieg in diese Aufgabe bietet sich die Canvas-Technik von Osterwalder & Pigneur (vgl. [2]) an. Sie hilft dabei, beispielweise im Rahmen von Workshops die wesentlichen Bausteine eines neuen Geschäftsmodells wie Kunden, Partner, Kanäle, Aktivitäten, Nutzen, Einnahmequellen etc. mit gezielten Fragen zu skizzieren.
Dies kann allerdings nur ein erster Schritt sein und eine detaillierte strategische Analyse nicht ersetzen. Ein neues digitales Geschäftsmodell in nachvollziehbarer Weise zu definieren, zu realisieren und einzuführen, heißt für eine Organisation, ein umfangreiches Change-Vorhaben durchzuführen. Merkmale eines solchen Vorhabens sind ein breiter technologischer und funktionaler Scope sowie eine große Zahl an Beteiligten aus unterschiedlichsten Disziplinen. Das bedeutet: Change-Vorhaben besitzen eine hohe Managementkomplexität.Wie bekommt man Change-Vorhaben zur Digitalen Transformation in den Griff?
Einen geeigneten methodischen Leitfaden bietet die agile Business Analyse nach BABOK v3 (siehe [4]), ein internationaler Standard, der in Deutschland leider noch wenig bekannt ist. Dieser Standard hilft gleich unter zwei Aspekten:
- Er definiert Artefakttypen und Vorgehen zur Entwicklung der Wertschöpfungskette Bedarf – Lösung – Nutzen: In Change-Projekten zur Digitalen Transformation müssen der Bedarf der Organisation und der zu schaffende Nutzen besonders hinterfragt werden. Requirements Engineering kommt hier an Grenzen. Im Rahmen der strategischen Analyse, einem zentralen Schritt der Business Analyse nach BABOK, entstehen mit Bedarf und Nutzen Artefakte, die die bewährten Konzepte Kontext, Stakeholder, Ziele und Anforderungen des klassisches Requirements Engineering ergänzen.
- Er schlägt eine Technik für die Gliederung eines Change-Vorhabens in agile und/oder klassische Initiativen vor, mit der die Managementkomplexität reduziert werden kann. Eine weitere Eigenschaft dieser Technik ist die konsequente Orientierung am zu schaffenden Nutzen und dem Feedback der Stakeholder, das dabei hilft, Risiken frühzeitig zu minimieren.
Das passende Tool zur Methode
Change-Vorhaben zur Neuausrichtung des Geschäftsmodells sind für Unternehmen von strategischer Bedeutung. Sie sollten deshalb nachvollziehbar sein – vom Bedarf, über die Geschäfts- und Systemanforderungen bis hin zur Lösung und dem Nachweis des geschaffenen Nutzens. Ohne Tool-Unterstützung ist das kaum zu leisten. Und auch die Managementkomplexität bei Planung und Steuerung eines Vorhabens zu Digitalen Transformation erfordert geeignete Tool-Funktionen, die sie beherrschbar machen. Deshalb entwickeln wir zurzeit eine neue Projektvorlage für Change-Vorhaben zur Digitalen Transformation. Sie wird mit der nächsten Version von objectiF RPM ausgeliefert.
Zusätzlich zu der Unterstützung, die objectiF RPM für Requirements Engineering & Management, Systementwurf, Testmanagement und Projektmanagement standardmäßig bietet, bringt die neue Projektvorlage unter anderem Folgendes mit:
- Artefakttypen der strategischen Analyse und ihre Beziehungen zu den Artefakttypen von Requirements Engineering und Lösungsentwicklung.
- Die Repository-Struktur für alle Artefakte – von der Strategieentwicklung bis zur Lösung.
- Ein Gantt-Chart mit einem initialen Projektplan für ein Change-Vorhaben zur Digitalen Transformation.
- Eine Reihe von Mustern zum Skalieren eines Change-Vorhabens, d.h. zum Anlegen u.a. von neuen agilen und klassischen Initiativen, Hinzufügen weiterer Projektteams, Anlegen neuer Sprints in agilen Initiativen etc.
- Eine Dokumentvorlage für die Generierung eines Strategie-Dokuments, das die Ergebnisse der strategischen Analyse zusammenfasst.
- Modelle für die Gestaltung von Geschäftsprozessen und Geschäftsentitäten sowie für den Entwurf der fachlichen Lösung und der Systemarchitektur.
- Dashboards, zahlreiche Realzeit-Auswertungen u.a. für die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse.
Wie sieht die strategische Analyse mit objectiF RPM aus? Wie ist der Übergang zum Requirements Engineering? Wie geht der tool-unterstützte Weg bis zu Lösung und ihrer kontinuierlichen Verbesserung aus? Diese Fragen wurden an einem durchgängigen Beispiel für ein Change-Projekt auf der Basis der neuen Projektvorlage mit objectiF RPM auf der microTOOL Konferenz im April 2018 beantwortet.
Quellen:
[1] Digital Transformation – A Road-Map for Billion Dollar Organizations, MIT Center for Digital Business and Capgemini Consulting, 2011, am 18.01.2018 abgerufen von https://www.capgemini.com/wp-content/uploads/2017/07/Digital_Transformation__A_Road-Map_for_Billion-Dollar_Organizations.pdf
[2] Alexander Osterwalder; Yves Pigneur: Business Model Generation, Ein Handbuch für Visionäre, Spielveränderer und Herausforderer, Campus Verlag, Frankfurt/New York, 2011.
[3] Original-Quelle des Business Model Canvas: https://strategyzer.com/canvas übersetzt und bearbeitet von microTOOL. Die Quelle ist lizensiert als Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported License, siehe http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/
[4] Business Analysis Body of Knowledge BABOK v3, IIBA, 2015